Zugezogen Maskulin: „Wir wollen Johannes Oerding vom Rap-Thron stoßen“

Magazin

Zugezogen Maskulin: „Wir wollen Johannes Oerding vom Rap-Thron stoßen“

Ganz egal, wer da jetzt genau an der Hip-Hop-Spitze steht - Zugezogen Maskulin blasen zum Angriff. Im Interview mit spot on news plaudern die Rapper über Nationalismus und Wikipedia-Neid.

Das Duo Zugezogen Maskulin gehört zu den Hoffnungsträgern des anspruchsvolleren Teils der Rap-Szene. Kein Wunder, schließlich glänzen Grim104 und Testo mit intelligenten, gerne kritischen Texten, die allerdings dank einer ordentlichen Portion Biss und pechschwarzen Humors zu keiner Zeit Gefahr laufen, ins Studentenrap-Fahrwasser abzudriften. Kennengelernt haben sich die beiden bei einem Praktikum in Berlin, den ersten Track nahmen sie nur zum Spaß auf. Nun veröffentlichen Zugezogen Maskulin mit „Alles brennt“ bereits ihr zweites Album und sind drauf und dran, richtig durchzustarten. Die Nachrichtenagentur spot on news hat sich mit Grim104 und Testo über Ghetto-Touristen und falsch verstandene Texte unterhalten.

Das aktuelle Album von Johannes Oerding heißt wie Ihres „Alles brennt“. Wussten Sie davon im Vorfeld, und hätten Sie sich vielleicht lieber einen anderen Titel ausgesucht?

Testo: Wir haben uns überlegt, wie wir unser Album nennen können, haben dann gesehen, dass Johannes Oerding dieses Album rausbringt, und haben daraufhin auch den Namen genommen, einfach, um ihn zu ärgern. So wie bei Kollegah und Savas damals, mit „Bossaura“ und „Aura“. Und so ist es bei uns auch, denn wir wollen Johannes Oerding vom Rap-Thron stoßen.

Hat er darauf schon reagiert?

Testo: Bis jetzt noch nicht, weil er sich nicht traut.

In den Feuilletons werden Sie derzeit gerne als Beispiel für eine Repolitisierung des Rap herangezogen. Sehen Sie sich überhaupt als politische beziehungsweise linke Band?

Grim104: Ich bin politischer Künstler, aber ich bin kein rappender Politiker. Also ich muss nicht so ein ewiges Brainwash-Programm von mir geben mit Sachen, die man gut finden soll oder nicht und so weiter und so fort. Ich finde es ganz fürchterlich, wenn Kunst aus ihrem Selbstzweck – nämlich, Kunst zu sein – herausgenommen und auf einmal als Transportmittel für Parolen missbraucht wird. Auf der anderen Seite bin ich selber als Künstler und als Privatmensch natürlich politisch und es lässt sich jetzt auch nicht verleugnen dass ich – auch wenn es manche Leute anzweifeln – dann doch links bin.

Der Song „Oranienplatz“ basiert auf eigenen Erlebnissen während der Räumung des Flüchtlingslagers dort. Was genau ist da passiert?

Grim104: Ich war da ganz in der Nähe in einer Bar in Kreuzberg. Ich hänge da rum, trinke, quatsche mit Leuten. Da ist dieses hippe Agenturen-, und Medienpublikum, so coole, junge Menschen halt. Ich gehe raus, bin besoffen, wundere mich über das blau reflektierende Licht in den Scheiben, gehe weiter zur U-Bahn, am Oranienplatz vorbei. Und da sehe ich mehrere Wannen mit Bullen, die vor einem Baum stehen, in den die sudanesische Aktivistin Napuli nach der Räumung des Refugee-Camps geklettert ist. Und diese Absurdität, noch vor einer Sekunde mit so coolen Medien-Dudes über irgendwelche Partys zu quatschen, und auf der anderen Seite jemanden zu sehen, der aus dem Sudan gekommen ist und hier auf einen Baum flüchtet, das war so ein starkes Bild, dass wir dann einen Song darüber gemacht haben.

In „Agenturensohn“ kritisieren Sie eine Art „Ghetto-Tourismus“, die in Berlin gerade bei Zugezogenen gelegentlich anzutreffen ist.

Testo: Sowohl Grim als auch ich sind jetzt nicht nach Berlin gezogen, um in so ein geiles, roughes Viertel zu ziehen – okay, Grim schon (beide lachen). Aber halt nicht mit dem Gedanken, „ich will jetzt hier gucken, wie die Unterschicht lebt und mich darüber lustig machen und mich damit brüsten, dass ich jetzt in so einem Viertel wohne“, als würde man in einem Zoo leben. Das ist auf jeden Fall eine Haltung, die ich richtig eklig finde.

Ist das tatsächlich so verbreitet?

Testo: Es gibt wirklich viele Leute, die eben nach Neukölln ziehen und sich dann bei Twitter „Franziska44“ nennen oder so, damit auch jeder mitbekommt, dass sie jetzt in Neukölln wohnen. Die leben da aber wie in einer Blase und nehmen nicht an dem normalen Leben teil. Die sind wie Aliens, die die Erde besuchen und nach Hause anrufen: „Ey, ich wohne jetzt auf der Erde, Alter! Weißt du, wie die aussehen? Ach du Scheiße! Zwei Arme, zwei Beine, kannst du dir das vorstellen? Und die sind bekloppt, die hauen sich hier die Schädel ein, kann man sich gar nicht mehr vorstellen bei uns, ne?“ Das hat was von einer Oberschicht, die die Unterschicht und das „Barbarische“ und „Wilde“ studiert und davon angezogen wird, aber aus der Haltung „Haha, guck mal, wie scheiße die sind und wie geil wir sind“ heraus.

Bei „Endlich wieder Krieg“ kam mir irgendwie auch Deso Dogg und sein Wandel vom Gangster-Rapper zum IS-Kämpfer in den Sinn…

Grim104: Deso Dogg? Ja, also, tatsächlich hat sich wohl auch ein Deso Dogg in seinem Leben immer nach Extremen gesehnt und die sich dann auch gesucht… Aber ich behaupte jetzt mal, Leute, die wirklich so scharf drauf sind, töten zu können und sterben zu dürfen, aus welchen Überzeugungen auch immer, sind tatsächlich selten. Man wird kaum Leute finden, die sagen „Ich hab so Bock darauf, in einen richtig geilen Krieg zu ziehen!“ Uns geht es eher um Leute, die schon gar nicht mehr realisieren, was sie gerade reproduzieren: Diesen übersteigerten Nationalismus, der vielleicht auch erst mal nur so party-mäßig rüberkommen soll. Dieses „Wir gegen die anderen, wir besiegen die jetzt, so gehen die Argentinier“, und so weiter. Und die realisieren gar nicht, dass sich das halt nicht so sehr von Kriegseuphorie unterscheidet.

Gab es auch schon Missverständnisse wegen dem Track?

Testo: Ja klar, gerade wenn wir den live irgendwo spielen, ist auf jeden Fall vorprogrammiert, dass sehr viele Leute den auch falsch verstehen. Wir haben zum Beispiel mal auf einem Festival in Berlin-Mitte gespielt, da war der Raum bei uns so halb voll. Dann haben wir irgendwann „Endlich wieder Krieg“ angestimmt, da war der Raum nur noch zu zehn Prozent voll. Auch auf der Tour mit Kraftklub haben wir am Anfang in Leipzig noch „Endlich wieder Krieg“ gespielt, worauf sehr viele Leute uns nach dem Konzert dann angesprochen haben von wegen „Also sowas finde ich gar nicht ok, weil ich find Krieg scheiße, wie könnt ihr sowas sagen, da habt ihr bei mir verloren!“

Wie antworten Sie auf solche Vorwürfe?

Testo: Den Leuten sage ich dann, dass sie sich das nochmal in Ruhe anhören sollen. Also ich kann auch nachvollziehen, dass, wenn man das live direkt erstmal so ins Gesicht geschlagen bekommt, man das erstmal nicht so richtig einordnen kann. Es gab auch Leute, die dachten, wir wären eine Naziband. Aber das ist auch ok, damit muss man sich halt nochmal in Ruhe beschäftigen und da wird man dann, wenn man ein Prozent gesunden Menschenverstand besitzt, erkennen, dass das jetzt kein Pro-Krieg-Song ist.

Mir ist aufgefallen, Grim104 hat einen eigenen Wikipedia-Artikel, Testo nicht – sorgt das für Neid in der Band?

Testo: Ja, also auch gerade dadurch, dass Sie es jetzt auch nochmal so gesagt haben. Das war wie ein Messer, das mir gerade in die Brust gefahren ist. Das sind so Dinge, die mich unheimlich traurig machen.