Xatar: „Ich kann meine Geschichte nicht löschen“

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Xatar: „Ich kann meine Geschichte nicht löschen“

Nach einem spektakulären Goldraub ist Xatar der wohl glaubwürdigste Gangsta-Rapper Deutschlands. Dass seine Fans sich daran ein Beispiel nehmen, will Xatar allerdings nicht, wie er im Interview erzählt.

Xatar (33) gehörte zu den großen Hoffnungsträgern des deutschen Gangsta-Rap, als er durch ein reales Verbrechen in die Schlagzeilen geriet: Ende 2009 beteiligte er sich an dem Überfall an einem Goldtransporter und wurde schließlich nach einer spektakulären Flucht im Irak verhaftet. 2011 wurde Xatar zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Dort besann der Rapper sich auf seinen eigentlichen Weg zurück: die Musik. Per Handy rappte er heimlich sein zweites Album „Nr. 415“ (2012) ein und führte sein Label Alles Oder Nix Records aus der Zelle heraus. Nach der vorzeitigen Entlassung im Dezember 2014 verlor Xatar keine Zeit und begann mit der Arbeit an seinem in der Szene heiß erwarteten neuen Werk „Baba aller Babas“. Die Nachrichtenagentur spot on news hat sich mit Xatar über die Zeit im Gefängnis, seine Rolle als Vorbild und den Kampf seiner kurdischen Landsleute gegen den IS unterhalten.

Ihr letztes Album ist unter, gelinde gesagt, schwierigen Bedingungen entstanden, bei „Baba aller Babas“ hatten Sie wieder die volle Kontrolle. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Xatar: Ja, ich bin sehr zufrieden. Bei „Nr. 415“ waren die Umstände sehr schwierig, weil es im Knast entstanden ist, und ich nicht wirklich hören konnte, was aus meinen Raps und den Beats gemacht wurde. Die Arbeit an „Baba aller Babas“ war jetzt natürlich umso erfreulicher, weil ich komplett bis zum Ende selbst mitproduziert habe und es genau das geworden ist, worauf ich all die Jahre gewartet habe.

Während Ihrer Haft hat sich in der Rap-Szene einiges getan. Haben Sie das vom Gefängnis aus mitverfolgt, und welche Entwicklungen gefallen Ihnen, welche nicht?

Xatar: Verfolgt habe ich einiges, viel über die „Juice“ und auch viel über Hörensagen, von Besuchern und am Telefon. Mir gefällt auf jeden Fall die gesamte Entwicklung, wirtschaftlich und auch musikalisch und inhaltlich. Es sind sehr viele Facetten entstanden im Hip-Hop in Deutschland und das ist auf jeden Fall sehr cool, das ist förderlich für das ganze Game. Und natürlich gibt es auch ein paar Sachen, die mir nicht gefallen. Im Gangsta-Rap ist sehr vieles ausgeartet, weil einfach die Alternative nicht da war. Aber dafür bin ich jetzt ja wieder da, und biete diese Alternative.

Im Opener „Baba aller Babas im Land“ rappen Sie. „Ich trag von drei Kontinenten Knastgestank“ – wo war es im Gefängnis am schlimmsten?

Xatar: Es ist schwer zu sagen, wo es am härtesten war, weil es überall Vor- und Nachteile gibt. Es gibt Knäste, wo die Umstände katastrophal sind, sei es die Hygiene, oder einfach die Tatsache, dass es kein Bett gibt. Und im Irak ist Folter ganz normal. Aber in Deutschland passiert das Gleiche, nur psychisch, das gibt es dafür dort nicht. Im Irak versucht keiner, dich psychisch zu brechen, das ist nur körperlich. Die interessiert auch nicht, wer du gerade bist, die machen einfach nur, was ihnen gesagt wird. Und natürlich ist das in dem Moment schlimm, aber wenn über Jahre hinweg mit einem Plan versucht wird, dich mental zu brechen, ist das auch so eine Sache. Da wird versucht, einem die Selbstachtung und die Würde zu nehmen, das nagt an der Psyche.

In „Justizia“ machen Sie deutlich, dass sie wenig von der Resozialisierung durch das Gefängnis halten. Haben Sie beobachtet, dass Leute dort eher tiefer in die Kriminalität abrutschen?

Xatar: Das habe ich oft mitgekriegt. Ich sage nicht, dass es nicht möglich ist, dort resozialisiert zu werden, nur nicht mit dem System, das da angewandt wird. Viele werden bessere Menschen durch sich selber, weil sie bestimmte Bücher lesen oder in der Einsamkeit anfangen, nachzudenken. Aber ich habe kaum gesehen, dass sich jemand die Programme, die einem zur Resozialisierung aufgezwungen werden, zu Herzen genommen hat. Und viele, die nur in irgendwas reingerutscht sind, werden da erst recht kriminell. Oder sie werden zu Junkies. Harte Drogen, die du als normaler Typ auf der Straße vielleicht nicht so mitbekommst, sind da drin Alltag. Jeden Tag riechst du im Hof und in der Dusche, wie die Leute Heroin auf dem Blech rauchen.

Viele ihrer Fans betrachten Sie vermutlich als Vorbild. Machen Sie sich Sorgen, dass die sich vielleicht an den falschen Dingen aus Ihrer Lebensgeschichte orientieren?

Xatar: Ja, definitiv, manche Leute sehen das und denken, das ist cool. Das einzige, was ich machen kann, ist mit den Leuten reden. Denen erklären, was die Kehrseite der ganzen Scheiße ist und dass sie das auf jeden Fall nicht haben wollen. Das ist halt eine Realität, gegen die ich nichts tun kann, ich kann nicht meine Geschichte löschen. Ich kenne die Jugendlichen, einige verstehen es, die wissen, das ist passiert, aber das muss man nicht unbedingt nachmachen. Es ist ja auch eher eine Seltenheit, dass tatsächlich Fälle aufgetaucht sind, bei denen Jugendliche versucht haben, das nachzumachen. Aber natürlich ist das ein Fakt, dagegen kann ich nicht viel tun, außer mit den Jungs zu reden. Und das tu ich auch.

In „Original“ erwähnen Sie den Kampf der Kurden gegen den IS. Sie haben ja auch selbst Verwandtschaft im Kriegsgebiet…

Xatar: Ja, ich habe einige Verwandte, die da auch kämpfen. Die schicken mir über WhatsApp Videos und Fotos von der Front, ich krieg das also die ganze Zeit mit. Es ist schrecklich, was da abgeht. Alle Jungs kämpfen, alle machen mit, weil es um die Existenz geht. Der Support aus dem Westen, auch von Deutschland, hat sehr viel geholfen. Was die MILAN-Panzerabwehrraketen an der Front geändert haben, ist echt krass. Es ist jetzt ein bisschen besser geworden, aber ein Ende ist leider nicht in Sicht.

Was tun Sie, um die Kurden zu unterstützen?

Xatar: Wir machen bei Our Bridge mit, die Patenschaften für kurdische Waisenkinder vermitteln. Da haben wir als Label eine ganze Familie adoptiert. Wir haben viel im Internet dafür geworben damit die Leute Patenschaften übernehmen, das hat auch gut funktioniert. Wir spenden auch bei UNICEF und kurdischen Organisationen, besuchen Benefizveranstaltungen. Wir versuchen, wo wir können, die Plattform, die wir hier mit Alles Oder Nix geschaffen haben, mit ihrer Reichweite zu nutzen, um die Leute dort zu unterstützen.

Auf Ihrem Youtube-Kanal empfiehlt SSIO, die goldene „Baba aller Babas“-CD als Anhänger zu tragen. Glauben Sie, das setzt sich als Modetrend durch?

Xatar: Das wird sich bald modisch durchsetzen, dafür sorge ich! SSIO hat mich auf die Idee gebracht, und das ist echt keine schlechte Idee. (lacht)