„Whiplash“: Der Klang des Wahnsinns

Magazin

„Whiplash“: Der Klang des Wahnsinns

Am 19. Februar startet kurz vor der Oscar-Verleihung mit "Whiplash" einer der Anwärter auf den Preis für den "Besten Film". Die Nominierung ist nicht nur absolut gerechtfertigt, Schauspieler J. K. Simmons sollte sich den Goldjungen als "Bester Nebendarsteller" schon mal gravieren lassen.

Ein Film ausschließlich über die Kunst des Schlagzeugspiels. Doch nicht in einer Rockband, nein, ausgerechnet das Jazz-Schlagzeug steht bei „Whiplash“ im Mittelpunkt. Muss das nicht der langweiligste Film der Welt für alle Nicht-Jazz-Drummer sein? Mitnichten, denn Damien Chazelles Film ergründet dank der beiden glänzenden Hauptdarsteller die Tiefen der Musik-Passion, der Obsession, und des Wahnsinns. Nebenbei erschafft er mit „Whiplash“ quasi eine neue Filmgattung, die Mischung aus Thriller, Musikfilm und Psycho-Spiel – einen Musycho-Thriller.

Der steinige Weg an die Spitze

Der 19-jährige Andrew Neiman (Miles Teller) ist ein ehrgeiziger Student an der prestigeträchtigen Musik-Akademie Shaffer Conservatory in New York. Seit er ein kleiner Junge war, steckt er sein gesamtes Herzblut in den Traum, seinem großen Vorbild Buddy Rich nachzueifern und einer der besten Jazz-Schlagzeuger der Welt zu werden. Das große Problem: Um es an seiner Musik-Schule bis ganz nach oben zu schaffen, kommt er nicht an dem diabolischen Musiklehrer und Dirigenten Terrence Fletcher (J. K. Simmons) vorbei.

Und tatsächlich, eines Tages hört Fletcher den Erstsemester-Studenten spielen und lädt ihn daraufhin in sein elitäres Orchester ein. Um dem Ganzen eins obendrauf zu setzen, macht der Musik-Lehrer einen netten Eindruck auf Andrew, redet ihm Mut und viel Glück zu – dieser sympathische Mann soll ein solcher Tyrann sein? Andrew ist an seinem ersten Probetag guter Dinge – nur Minuten später ist er ein zitterndes und weinendes Wrack und versteht plötzlich, warum die Selbstmordrate in Fletchers Musik-Regiment erstaunlich hoch ist.

Auch für Musik-Legastheniker

Wenige der aktuellen Oscar-Anwärter wissen derart zu überraschen, wie „Whiplash“. Während etwa „Birdman“ oder „The Imitation Game“ (völlig zurecht) im Vorfeld der Preisverleihung am 22. Februar in aller Munde sind, droht Chazelles Film unterzugehen, was ein absoluter Jammer wäre. Natürlich, die Prämisse des Films scheint auf ein sehr spezielles Publikum zugeschnitten, doch dieser Schein trügt. Ähnlich wie Ron Howards großartiger Film „Rush – Alles für den Sieg“ nicht ausschließlich für Formel-1-Fans oder Darren Aronofskys „The Wrestler“ nicht nur für Wrestling-Anhänger sehenswert war, sollte nicht angenommen werden, „Whiplash“ sei nur etwas für Jazz-Fanatiker. Ist dieser Irrglaube erst einmal aus dem Weg geräumt, wartet ein genialer Film über Intrige, Obsession und Wahnsinn auf den Zuschauer.

Alles für die Musik

Dass dem so ist, verdankt „Whiplash“ neben seiner offensichtlichen Detailverliebtheit zur Musik den beiden Hauptdarstellern und Widersachern Miles Teller und J. K. Simmons. Warum Letzterer „nur“ in der Kategorie des „Besten Nebendarstellers“ nominiert wurde, wird auf ewig das Geheimnis der Academy bleiben, denn mit Simmons als sadistischer Tyrann steht und fällt der Film. Trostpflaster für ihn wird sein, dass er so sicherlich die besseren Chancen auf einen Goldjungen haben dürfte, als fiesester Musik-Lehrer nämlich, den die Kino-Geschichte je gesehen hat.

Auch Nachwuchs-Schauspieler Teller leistet Großes. Eingangs wurde erwähnt, seine Figur Andrew würde sein Herzblut in seinen Traum als Jazz-Star stecken – das darf bei „Whiplash“ durchaus wörtlich genommen werden. Der Schüler übt, bis seine Hände blutig und von Blasen übersäht sind und kriecht in einer Szene förmlich auf die Bühne. Sein soziales Leben gibt er für seinen Traum ebenso auf, wie seinen gesunden Menschenverstand. Und das, obwohl Fletcher keine Gelegenheit auslässt, ihn zu demütigen – alles für die Musik. Das ebenso Schlimme wie filmisch Geniale: Am Ende von „Whiplash“ verspürt man dennoch eine perfide Faszination und Respekt vor Simmons Charakter – wenn das mal nicht nach Oscar schreit.

Fazit

Gleich der Figur des genialen wie hassenswerten Orchester-Leiters Terrence Fletcher schickt einen „Whiplash“ durch einen Spießroutenlauf zwischen Zuckerbrot und Peitsche. Der Film baut den Zuschauer auf, nur um ihn im nächsten Augenblick am Boden zu zerstören. Das ist vor allem eins: ungemein spannend und nervenaufreibend. Denn wiederholt man diesen Vorgang nach Fletchers Logik oft genug, wird entweder ein neues Jazz-Wunderkind geboren, ein Mensch zerstört… oder beides – das ist der Preis der Perfektion.