Veysel: „Ich verdanke alles dem lieben Gott“

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Veysel: „Ich verdanke alles dem lieben Gott“

Am 17. Oktober erscheint das Debütalbum "Audiovisuell" von Veysel, einem deutschen Rapper mit kurdischen Wurzeln. Nach seinem Gefängnisaufenthalt wurde der 30-Jährige aus Essen vom Rapper Haftbefehl entdeckt und direkt bei seinem Label Azzlackz unter Vertrag genommen. Veysel, ein Rapper mit harter Schale und weichem Kern, wie sich nicht nur in seinen Texten, sondern auch im Interview herausstellt.

Ein weißes Blatt ist Veysels Biografie nicht, doch nach seiner Haftstrafe hat er sich verändert: Er weiß es zu schätzen, dass er Musik machen und eine Welt außerhalb von Essen-Altendorf erleben darf. Dort, wo er herkommt und wo alles angefangen hat. Die Straßen des Problembezirks wurden sein Zuhause und gleichzeitig sein Verhängnis. Doch diese Zeit möchte der Rapper mit kurdischen Wurzeln nicht thematisieren, denn er mag es, nach vorne zu blicken. Hinter der Figur des coolen Rappers steht ein Mann mit Temperament und Herz. Das hört man vor allem in seiner Musik. Sein Album „Audiovisuell“ ist eine Chance, aber auch ein Ventil, um seiner Wut Luft zu machen. spot on news trifft Veysel backstage vor seinem Auftritt in München. Bei einer Tasse Tee gegen die angeschlagenen Stimmmbänder spricht er über Gott, die Welt und seine zukünftigen Kinder.

Sie waren zusammen mit Olexesh und Hanybal als Support-Act auf der „AkupunkTour“ von Celo & Abdi unterwegs. Wie läuft das denn bei den Azzlacks so Backstage ab?

Veysel: Eigentlich ist es bei uns wie auf Klassenfahrt: Wir reißen viele Witze und ärgern uns gegenseitig. Wie Jungs eben so sind.

Lassen Rapper nach dem Konzert die Korken knallen oder geht ihr brav ins Hotel zurück?

Veysel: Wir gehen ganz gern noch miteinander einen Trinken und hören Musik, um vom Auftritt runterzukommen. Es ist also nicht so, dass wir wie Rockstars in jeder Stadt die Hotelzimmer abreißen und 70.000 Euro Schaden anrichten.

Wem haben Sie am meisten zu verdanken, dass Sie heute hier sitzen und Musik machen können?

Veysel: Ich verdanke alles dem lieben Gott, da dieser mir den Weg weist. Alles ist Karma. Gibst du Gutes, bekommst du Gutes zurück. Aber natürlich hat mir mein Bruder Aykut (Haftbefehl) eine wichtige Tür geöffnet. Jedoch musst du im Leben lernen, alleine zu laufen. Ich werde also durch diese Tür gehen und versuchen, nach oben zu kommen.

Denken Sie, Ihr Debütalbum „Audiovisuell“ hat das Potenzial dazu?

Veysel: Ich habe ein, meiner Meinung nach, super Album geschaffen, welches sehr musikalisch ist und von dem man keinen einzigen Song wegdrücken muss. Es ist zudem noch tiefgründiger geworden als es das vorherige Mixtape „43 Therapie“ war. Problemthemen gibt es einfach immer, über welche man schreiben kann. Ich weiß nicht, wie ich es in Worte fassen kann, aber mein Album bedeutet mir extrem viel. Und viel ist noch zu wenig gesagt.

Was sind denn solche Problemthemen?

Veysel: Natürlich die Straße. Ich erzähle meine Geschichte. Traurige Geschichten, die in meinem Stadtteil Altendorf passiert sind. Das Leben hier ist fast wie eine offene Vollzugsanstalt: Das Parterre-Fenster geht auf und ich weiß genau, was die Menschen dahinter denken. Sie kommen nicht heraus aus ihrem eintönigen Mikrokosmos und verdienen nicht genug, um ihren Kindern einen Urlaub zu bieten. Sie haben einfach keine Perspektive. Und das tut mir so leid, dass ich darüber schreiben muss. Leider nutzen aber viele Rapper die Straße und die Ghetto-Krise, um das Ticket ins Business zu erhalten.

Ihre Story hingegen ist echt?

Veysel: Natürlich. Aber ich rappe nicht in der Ich-Person wie viele andere. Ich rappe über Dinge, die um mich herum passieren. Ich mache Feeling-Musik und stimme da wiederum ganz meinem Bruder Celo zu: „Was nützt schon die Technik, wenn es am Ende nach Dreck klingt.“ Auf den Inhalt kommt es an.

Sie wohnen noch bei Ihren Eltern – ist dort auch das Album entstanden?

Veysel: Zu einem großen Anteil schon. Aber ich wohne nicht aus Bequemlichkeit zu Hause, sondern weil ich einfach meine Familie um mich herum haben möchte. Ich könnte auch ganz locker ausziehen, jedoch bin ich der einzige Sohn und ich möchte meine Mama nicht allein lassen. Sie ist nicht mehr die Allerjüngste und die Gesündeste, deshalb. Aber sie sind stolz auf das, was ich mache. Ich soll nur nicht so oft auf die Polizei fluchen.

Der Erfolg kam mit dem ersten Mixtape recht schnell bei Ihnen. Wie macht sich das in Ihrem privaten Leben bemerkbar?

Veysel: Mit der Zeit hört man es immer mehr von links und rechts reden. Ich bin viel bei mir zu Hause in Essen unterwegs und die Leute uterhalten sich dort vermehrt über mich. Ich möchte Musik machen, aber bloß nicht zu auffällig damit sein. Ich rappe und habe dadurch zwar einen gewissen Status bekommen, darauf brauche ich mir aber noch lange nichts einbilden.

Was denken Sie: Kann dieser neue Status einen Charakter verändern?

Veysel: Das kann schon gut möglich sein. Aber warum sollte ich mich verstellen und eine Show abziehen? Ich hab so einen schönen Charakter und so eine gute Erziehung genossen, dass ich mir gern selbst treu bleibe. Natürlich bin ich kein weißes Blatt, aber eben ein Junge mit Temperament. Dafür herzensgut.

Temperament und Herz zeigen sich wie genau bei Ihnen?

Veysel: Wenn jemand wie eine linke Ratte zu mir ist, weiß ich ganz genau, wie ich mit dem unzugehen habe. Ich lasse denjenigen das zu tausend Prozent spüren, denn diese Person bekommt keine Liebe von mir. Auf der anderen Seite ist mein Gewissen sehr schnell angreifbar, das heißt, ich kümmere mich um meine Leute. Angenommen wir treffen uns, du gehst nach Hause und sagst mir nicht Bescheid, wenn du angekommen bist – ich würde mir asoziale Sorgen machen.

Was hat die Musik für Sie persönlich verändert?

Veysel: Es sollte wohl sein, dass ich ins Gefängnis komme, denn alles hat seinen Sinn im Leben. Ich bin heute zwar immer noch aufbrausend, aber seit der Zeit einen großen Schritt zurückgegangen. Sich anstauende Aggressionen werden heute nur noch mit der Stimme und dem Rap verarbeitet. Das war früher anders: Ich habe viele Typen geschlagen. Habe viele Fehler gemacht. Aber die Strafe war meistens zu hoch, die sie von mir bekommen haben.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Veysel: Ich kann dir sagen, was sich meine Mutter wünscht: Viele Enkelkinder. Ich würde natürlich auch irgendwann gern heiraten und Kinder bekommen, aber das ist nichts, was man herzaubern kann. Ich möchte keine Groupies, die nur den Rapper kennen. Ich brauche eine Frau, die mich kennenlernen möchte und selbst mein Temperament steuern kann. Eins ist Fakt: Sie hat in der Beziehung alle Hebel in der Hand.