Trachten-Knigge Fehlanzeige: Warum bei Dirndln fast alles erlaubt ist

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Trachten-Knigge Fehlanzeige: Warum bei Dirndln fast alles erlaubt ist

Wer etwas wagt, gewinnt in den Augen anderer nicht zwangsläufig etwas. Zu oft heißt es, Dirndllänge und -form seien unpassend. Warum diese Haltung wenig Sinn macht, erklärt der Leiter des Trachteninformationszentrums aus Oberbayern im Interview.

Zu kurz, zu knapp, zu bunt – an der Trachtenmode scheiden sich die Geister. Traditionell soll das Dirndl wirken, nicht zu modisch und richtig kombiniert. Dabei ist fast alles erlaubt, ein Trachten-Knigge – also eine Art Fibel für Dirndl und Co. – gibt es nicht. „Das ist alles eine Frage des Stils“, sagt Alexander Wandinger, Leiter des Trachten-Informationszentrums im Bezirk Oberbayern. Es gibt kein Richtig oder Falsch, und Moralempfinden bezüglich Rocklängen oder Ausschnitten wie im 19. Jahrhundert sei fehl am Platz: „Wir sind nicht mehr im 19. Jahrhundert.“ Das Schönheitsempfinden wechsle „von Generation zu Generation, von Region zu Region, von Epoche zu Epoche.“ Das Dirndl habe sich erst Anfang des vergangenen Jahrhunderts seinen Weg in die Mode gebahnt „und war so nie Bestandteil der institutionalisierten Trachtenpflege.“ Der modische Aspekt „ist beim Dirndlgewand deshalb wesentlich.“

Dekolleté

Fast kein Kleidungsstück setzt das Dekolleté so fesch in Szene wie ein Dirndl. Zwar gibt es die Tracht auch in hochgeschlossener Form, vorherrschend sind laut Wandinger aber immer noch die ausgeschnittenen Modelle. Wie tief ein Dirndl allerdings blicken lässt, ist zunächst einmal regional bedingt: „Im Tegernseer Tal zum Beispiel wird das Dekolleté traditionell stärker betont als in Niederbayern.“ Zudem ist es auch eine Frage des Schönheitsempfindens und des Mutes, „was gefällt mir, was traue ich mich?“ Damit der Ausschnitt nicht ordinär wirkt, ist vor allem einen perfekte Passform wichtig. „Der Zentimeter mehr nach oben oder unten macht meist den Unterschied“, so Wandinger. Eine Schneiderin habe ein Gefühl dafür, bei „Billig“-Dirndln sei ein perfekter Sitz aber eher Glücksgriff. Auch ein spezieller Dirndl-BH kann ein schönes Dekolleté formen. „Am Ende muss das Dekolleté vor allem natürlich wirken.“

Rocklänge

Auch bei der Länge gibt es keine allgemeingültigen Richtlinien: In der Geschichte „war das Dirndl zunächst Arbeitskleidung, hier passte die Wadenlänge. In den 60er Jahren kam die Mini-Mode, die auch die Trachten beeinflusst hat.“ So gesehen sind kurze Dirndl keine Neuheit, Wandinger versteht die Aufregung nicht. „Das war doch alles schon einmal da.“ Auch ein Mini-Dirndl könne entzückend aussehen, sehr apart wirken – „wenn das Alter der Trägerin stimmt“. Außerdem sei auch hier wichtig, sich beim Kauf gut beraten zu lassen und selbst kritisch in den Spiegel zu gucken.

Übers Dirndl…

„In der Trachtenmode galten Tücher über Jahrhunderte hinweg als übliches Kleidungsstück zum Schmücken und Wärmen. Egal ob aus Baumwolle oder Kaschmir, mit Fransen oder ohne – ein Tuch passt immer.“ Der Klassiker wirke edel, zudem könne er nach Belieben drapiert werden: „Ich kann damit zum Beispiel ein Dekolleté verdecken oder freilassen.“ Trachtenjacken hingegen kommen ursprünglich aus der Männermode, „wenn Schnitt und Taillierung stimmen, können Modelle für Frauen aber auch über dem Dirndl toll aussehen.“

Unterm Dirndl…

Wer meint, Strumpfhosen unterm Dirndl seien spießig, der irrt offenbar. „Selbst zu Festtagstrachten hat man in den 1920er Jahren bereits Seidenstrumpfhosen getragen.“ Von der Feinstrumpfhose bis zu halterlosen- oder weißen Kniestrümpfen mit Lochmuster sei alles möglich – es kommt auf die Art des Dirndls an. Jüngere Mädchen könnten mit festeren Stoffen und knalligeren Farben experimentieren.

Schuhe und Accessoires

Beim Schuhwerk formuliert Wandinger ein doch recht eindeutiges No-Go: „Grobe Haferlschuhe passen weniger gut zum Dirndl.“ Eine Ausnahme bilden schmale, feminine Modelle mit geschwungenem Absatz. Klassische Schuhe zum Dirndlgewand „sind aber Ballerinas und Pumps.“ Auch hier gilt: Modell und Absatzform sind Geschmackssache. Junge Mädchen könnten natürlich auch Chucks zur Tracht tragen. Da das Dirndl ursprünglich aus der Arbeitskleidung kommt, hält Wandinger von kitschigem Modeschmuck eher wenig. Generell sei aber auch bei den Accessoires wichtig, dass sie farblich zur Trägerin passten. Taschen sollten nicht zu groß oder grob sein, bei jungen Mädchen könne ein Rucksack sportlich und frech wirken. Auch feine Gürteltaschen sähen gut aus. „Das Kombinieren von Dirndlgewändern lebt von eigenen Ideen und dem Engagement zur Gestaltung“, so das Fazit.