Tom Bohn: „Gegen Urs Odermatt ist Tarantino ein Waisenknabe“

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Tom Bohn: „Gegen Urs Odermatt ist Tarantino ein Waisenknabe“

In Landsberg am Lech findet kommende Woche das Independent-Filmfestival Snowdance statt. Auf was sich die Besucher freuen dürfen, erklärt Veranstalter Tom Bohn im Interview. Der Regisseur spricht zudem über die Brutalität im "Tatort" und wie er die Kritik an seinem ersten Fall für das Erfurter Team aufgenommen hat.

Tom Bohn ist vor allem als „Tatort“-Regisseur bekannt, vom 31. Januar bis 2. Februar veranstaltet er zusammen mit Heiner Lauterbach in Landsberg am Lech das Independent-Filmfestival Snowdance. Was die Besucher dort erwartet, ob seine Tante Gesine Schwan ebenfalls erscheint und was er von zu viel Brutalität im „Tatort“ hält, erzählt der 1959 in Wuppertal geborene Filmemacher im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Herr Bohn, auf was dürfen sich die Besucher des Snowdance Festivals freuen?

Tom Bohn: Auf viele ungewöhnliche, aber unterhaltsame Filme. Auch viele Filmemacher werden dabei sein. Es gibt zudem ein buntes und schräges Rahmenprogramm und viele kulturelle Aktivitäten, die aber viel mit Unterhaltung zu tun haben werden.

Was ist der Reiz daran, das Festival in einer eher beschaulichen Stadt wie Landsberg abzuhalten?

Bohn: Ich finde Landsberg überhaupt nicht beschaulich. Es ist eine ungeheuer kreative Stadt mit einer kulturellen Substanz. Ich bin im Landkreis zu Hause und fahre immer wieder nach Landsberg, um mich hier inspirieren zu lassen. Ich treffe hier ganz viele engagierte Menschen – und deshalb haben wir gesagt: Wir machen das Festival in Landsberg!

Das Sundance Festival von Robert Redford hat schon Quentin Tarantino und den Coen-Brüdern zum Durchbruch verholfen. Gibt es unter den Snowdance-Beiträgen Filme, über die Sie sagen würden: Das ist etwas ganz Besonderes?

Bohn: Ja, auf jeden Fall. Wir haben drei oder vier Filme hier, von denen wir wissen, dass sie hoch umstritten sein werden. Gegen Urs Odermatt, der seinen Film „Der böse Onkel“ zeigt, ist Tarantino ein Waisenknabe. Das ist ganz knallhartes Kino. Es gibt auch einen wunderschönen Liebesfilm von Tom Lass, „Kaptn Oskar“, für mich einer der schönsten Liebesfilme, der je gedreht wurde, der kann es mit jeder Hollywood-Produktion aufnehmen. Trotzdem ist der Streifen independent und schön schräg.

Der Schirmherr des Festivals ist Heiner Lauterbach. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Bohn: Heiner und ich sind befreundet und haben auch schon einen Independent-Film zusammen gemacht: Meinen Streifen „Reality XL“, der im Festival außerhalb der Konkurrenz läuft. Als ich die Idee hatte, in Deutschland ein reines Independent-Festival auf die Beine zu stellen, habe ich Heiner angerufen und er war sofort dabei.

Lauterbachs Film „Harms“ läuft ebenfalls auf dem Festival. „Einen Ritt auf der Rasierklinge“ bezeichnete er hinterher die Arbeit als Produzent eines Independent-Films. Wie schwierig ist es da für weniger bekannte Filmemacher, ein Projekt zu realisieren?

Bohn: Wir bieten auf dem Snowdance Festival am Samstag um 18 Uhr im Rathaus ein Gesprächsforum an, eine Podiumsdiskussion mit Independent-Filmemachern, die werden darüber berichten. Es ist tatsächlich ein Ritt auf der Rasierklinge. Es gibt einige, die schon im Gefängnis saßen oder ihre Schulden nicht bezahlen konnten und trotzdem weitermachen. Das ist ein wirklich hartes Brot, aber es macht unheimlich viel Spaß.

Sie sind auch als „Tatort“-Regisseur bekannt. Wünschen Sie sich von den Sendeanstalten mehr Risikobereitschaft?

Bohn: Das wünschen wir uns seit 30 Jahren. Die Sendeanstalten haben allerdings einen anderen Auftrag: Sie wollen viele Menschen erreichen und dafür zahlen auch viele Leute Geld in die Kasse. Über die kann man sich nicht hinwegsetzen und sagen: Wir machen jetzt mal was völlig Verrücktes. Deswegen ist es schon richtig, wie die Öffentlich-Rechtlichen das anstellen. Ich bin einer der wenigen, der damit keine Probleme hat. Aber wir brauchen Alternativen, allein mit Fernsehen kommen wir in der deutschen Filmszene nicht weiter. Und deswegen ist es wichtig, die zu unterstützen, die ohne die Sender arbeiten.

Zuletzt sorgte der Kölner „Tatort: Franziska“ für Aufregung, weil er auf eine spätere Sendezeit verschoben werden musste. Gibt es eine Tendenz im „Tatort“, mehr Brutalität zu zeigen?

Bohn: Ich bin von den Redaktionen angehalten, nicht zu brutal zu werden. Gewaltverbrechen haben immer eine ungeheure Brutalität. Ich bin aber der Meinung, die sollte man nicht in allen Einzelheiten zeigen. Die Brutalität findet auf einer ganz anderen Ebene statt, nämlich auf der seelischen. Und wir tun als Filmemacher gut daran, uns beim „Tatort“ auf diese Ebene zu besinnen und diese seelische Gewalt zu zeigen, anstatt sich immer mehr in diese Körperlichkeit zu stürzen. Die ist für mich einfach zu oberflächlich.

Der erste Fall des neuen Erfurter Teams „Kalter Engel“ von Ihnen kam bei den Zuschauern gut an, bei den Kritikern weniger…

Bohn: Wenn die Kritiker sagen, mein „Tatort“ war gut und die Zuschauer sagen „was für ein Dreck“, hätte ich als Regisseur und Autor etwas falsch gemacht. Natürlich ist es wunderbar, wenn Kritik und Zuschauer sich einig sind und den Film hochloben, aber das ist in Deutschland nicht drin. Die Film- und Fernsehkritik hat grundsätzlich in Deutschland leider immer eine andere Position als die des normalen Zuschauers. Und ich habe mich entschieden, für den Zuschauer zu arbeiten.

Sie haben zuletzt auch kritisiert, dass die Ermittler beim „Tatort“ zu sehr im Fokus stehen. Ulrike Folkerts‘ Kommissarin Lena Odenthal, mit der Sie auch schon einige Male gearbeitet haben, feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum. Ist das ihr Geheimnis, dass sie so normal und unaufgeregt daherkommt?

Bohn: Lena Odenthal ist im Höchstmaß Ulrike Folkerts, und Ulrike Folkerts ist eine unheimlich gute und integere Kollegin. Ich glaube, dass es ganz viel mit ihrer Person zusammenhängt, dass diese Reihe so erfolgreich ist. Ich wünsche Ulrike, dass sie die nächsten 25 Jahre genauso unbeschadet übersteht.

Sind Sie persönlich schon mal an den Punkt gekommen, wo Sie am liebsten alles hingeschmissen hätten?

Bohn: Den Punkt gibt es jedes Jahr einmal – das ist, wenn die Steuererklärung rausgeht. Aber das ist nach zwei Tagen wieder vorbei und ich freue mich auf neue Aufgaben. Im Ernst: Ich liebe meinen Beruf, es gibt für mich nichts Schöneres, als Filme zu machen. Und solange ich gerade laufen kann und man mich lässt, werde ich drehen.

Wie sieht das Ihre Familie?

Bohn: Meine Familie ist an sich sehr begeistert von meinem Beruf. Es war aber eine Zeitlang so, dass meine Kinder gefragt haben: Wieso ist der Papa schon wieder weg? Jetzt arbeiten sie beide mit mir zusammen bei Filmprojekten und die dritte wird das sicherlich irgendwann auch mal machen. Das relativiert sich also. Die Kinder merken, dass sie einen recht coolen Papa haben, und sehen einem dann die Vergangenheit auch ein bisschen nach.

Ihre Tante ist Gesine Schwan. Wird Sie beim Snowdance Festival anwesend sein?

Bohn: Sie ist eingeladen, aber ich habe noch nichts gehört. Sie ist immer unterwegs und wenn ich Glück habe, ist sie nicht gerade in Mosambik, sondern in Berlin, wenn ich auch gerade dort bin. Ich drücke aber die Daumen, dass sie nach Landsberg kommt.