Tobias Moretti: „Das Rennen Paris-Dakar war ein Irrsinn!“

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Tobias Moretti: „Das Rennen Paris-Dakar war ein Irrsinn!“

Schauspieler Tobias Moretti ist so heiß begehrt, dass man sich angesichts seiner vielen Projekte schon fragen kann, ob er denn auch genug Freizeit hat. Blöde Frage! Denn wie intensiv er diese sogar nützt, erklärt der Österreicher im Interview zu seinem neuen Kinofilm "Hirngespinster".

„Das finstere Tal“ (2014), „Mobbing“ (2012), „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ (2010) – die Liste der anspruchsvollen Filme mit Tobias Moretti (55) ist lang. Am kommenden Donnerstag (9. Oktober) kommt ein weiterer hinzu: Dann ist der österreichische Schauspieler im Drama „Hirngespinster“ als Familienvater und Architekt zu sehen, der an Schizophrenie leidet. Für diese Leistung wurde Moretti bereits mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Was den intensiven, aber alles andere als niederschmetternden Film so besonders macht, erklärt der Künstler im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Darin verrät er auch, wie normal sein eigenes Familienleben ist und warum ein extremes Motorrad-Abenteuer alles verändert hat.

Was ist für Sie das Besondere am Kinofilm „Hirngespinster“?

Tobias Moretti: Die Geschichte ist sehr raffiniert geschrieben, weil sie so nachvollziehbar normal beginnt. Der Vater, Hans Dallinger (Moretti), ist ein gut situierter Mensch, der in einer Familiensituation lebt, die sich viele sicher wünschen würden. Und dann kippt die ganze Sache. Faszinierend ist aber auch, dass die Geschichte ums Eck erzählt ist, nämlich aus der Perspektive des Sohnes Simon (Jonas Nay). Das gibt dem ganzen noch einen Drall mehr.

Wie haben Sie sich in diese komplexe Rolle hineingearbeitet?

Moretti: Ich war drei Tage lang in der geschlossenen Abteilung einer Klinik, um zu beobachten. Obwohl das gar nicht so einfach ist mittlerweile. Die Patienten sind erstaunlich klar im Kopf. Oft entwickeln sie einen unglaublichen geistigen Überlebenstrieb: Sie analysieren sich und ihre Krankheit und wirken den Erkenntnissen entschieden entgegen. Hinzukommt die Verdrängung. Das macht das Ganze unberechenbar, beklemmend.

Man sieht einige Krankheitsschübe im Film. Warum ist der Streifen dennoch nicht voyeuristisch?

Moretti: Weil Regisseur und Drehbuchautor Christian Bach die Geschichte unheimlich liebevoll und ohne jeden Zynismus erzählt. Genau deshalb hält man sie überhaupt aus. Der Film beherzigt das Prinzip Hoffnung mit offenem Ende.

Leichtere Formen von Neurosen kann man ja auch schon bekommen, wenn man zu viel arbeitet. Sie arbeiten auch sehr viel. Wie schaffen Sie Ausgleich?

Moretti: Ich bekomme eher Neurosen, wenn ich nicht arbeite. Erst freut man sich unglaublich auf die freie Zeit, und dann steht man plötzlich da und findet weder Ruhe noch einen Ankerpunkt, weil auch daheim so viel los ist. Wichtig ist, glaube ich, dass man nie in einem Spannungsfeld zu dem steht, was man gerade macht. Optimalerweise nimmt man in guten Zeiten alles mit und zieht daraus dann auch in schlechten Zeiten die Reserven.

Familie ist keine Entspannung?

Moretti: Entspannung kann man das nicht nennen. Angespannt, entspannt, verkrampft oder entkrampft bin ich beim Arbeiten und privat gleichermaßen. Neugier, Freude, Überforderung, das ist alles immer im Gesamtzustand enthalten.

Dann ist es auch nicht so schwer, sich nach so einem intensiven Dreh wieder in das normale Familienleben einzufädeln?

Moretti: Ich kenne kein normales Familienleben, aber ich war auch noch nie bei Menschen, die ein normales Familienleben haben. Das ist immer ein Drunter und Drüber.

Zuletzt waren Sie reihenweise in vielfach ausgezeichnete Dramen zu sehen. Haben Sie mal wieder Lust auf eine Komödie?

Moretti: Ja, sehr! Im Dezember kommt „Der Vampir auf der Couch“ ins Kino. Darin spiele ich den depressiven Graf Geza von Kösznöm, seines Zeichens Vampir. Er ist seit 350 Jahre mit seiner Frau verheiratet, ebenfalls eine Vampirin, wunderbar gespielt von Jeannette Hein. Deshalb sucht er in den 30er Jahren Sigmund Freud auf, weil er’s nicht mehr aushält.

Wie viel Mut hat es Ihnen als Schauspieler abverlangt, als vollkommen erschöpfter kranker Mann in „Hirngespinster“ vor der Kamera zu stehen?

Moretti: Mut ist die Grundvoraussetzung meines Berufsverständnisses. Wenn ich meine Rolle nicht in allen Stadien hätte zeigen wollen, dann hätte ich was falsch gemacht. Wer gut aussehen will, muss Model werden.

Wie viel Spaß hat die Szene mit der Axt gemacht?

Moretti: Sehr viel! Die Szene folgt jeder Phase von Schüchternheit und tiefer Verletzung bis hin zum Ausbruch, also zum Crash. Wir haben sie ohne Proben gedreht, weil wir nur zwei Motorhauben zur Verfügung hatten.

Unlängst war auch eine Doku („Africa Race – Zwei Brüder zwischen Paris und Dakar“) über Sie und Ihren Bruder Gregor Bloéb (46) zu sehen. Wie mutig sind Sie denn beim Motorradfahren?

Moretti: Das war ein hartes Rennen und eine lebensentscheidende Tour, eigentlich ein Irrsinn. Wir haben uns ein dreiviertel Jahr lang vorbereitet und sind dann das Rennen Paris-Dakar gefahren. Unsere Familien haben diesen Enthusiasmus gespürt, und weil wir nicht zu stoppen waren, haben sie uns dann zum Glück bei diesem Unternehmen unterstützt. Im Nachhinein war es unglaublich, aber währenddessen kamen wir physisch und psychisch schon mehr als an unsere Grenzen.

Was hat das Rennen mit Ihrem Beruf zu tun?

Moretti: Es hat sehr viel damit zu tun. Unser Beruf ist ein Spiegel des Lebens: Wie oft haut’s einen da auf die Fresse, und du musst wieder aufstehen. Manchmal schaffst du dann sogar mehr als nur zu überleben und fährst einen Sieg ein. Ein anderes Mal landest du wieder mit der Nase auf dem Boden und weißt nicht mehr, wie es weitergeht. Nach dieser Zeit war ich wie eine Kellerassel, man tritt drauf, und sie läuft weiter. Es relativiert sich alles.

Was bedeutet das für Ihre schauspielerischen Arbeiten nach dem großen Abenteuer?

Moretti: Kurz danach war es so, dass sich meine Einstellung zu meinem Beruf noch einmal verdichtet hat. Ich habe ihn mehr gewollt, mehr geliebt und mehr gebraucht als davor. In den Arbeiten „Hirngespinster“ und „Im finsteren Tal“, aber auch jetzt beim „Trenker“ ist es eher eine spielerische Herausforderung, ohne Netz und doppelten Boden zu spielen, das passiert einfach.