Thomas D: „Ich habe dieser Scheinwelt den Rücken zugekehrt“

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Thomas D: „Ich habe dieser Scheinwelt den Rücken zugekehrt“

Hat er der Welt tatsächlich für immer den Rücken gekehrt? Auf seinem neuen Album "Aufstieg und Fall des Tommy Blank" erzählt Fanta4-Urgestein Thomas D die Geschichte eines Freundes, der während der gemeinsamen Arbeit an dem Werk einfach abgehauen ist. Ob es Tommy Blank wirklich gegeben hat, verrät der 45-Jährige spot on news.

Er war „Solo“ unterwegs, lehrte „Lektionen in Demut“ und präsentierte das „Kennzeichen D“. Auf seiner vierten Solo-Platte „Aufstieg und Fall des Tommy Blank“ erzählt Rapper Thomas D (45) die Geschichte eines ehemaligen Hip-Hop-Kollegen, der urplötzlich verschwand. Die Nachrichtenagentur spot on news hat sich mit dem schwäbischen Musiker über die Hintergründe des Albums unterhalten. Dabei verriet Thomas D nicht nur, wovor er im Leben schon einmal gerne weggerannt wäre, sondern auch, was er selbst zum Leben braucht – und dabei steht für das Mitglied der Fantastischen Vier ein Haushaltsgerät mit an vorderster Stelle…

Thomas D: Das Beste der Welt ist gleichzeitig das Schlimmste der Welt: Eine italienische Siebträgermaschine der Extraklasse zu Hause zu haben. Gemahlener Kaffee – das ist das Beste der Welt. Das Schlimmste der Welt: Du kannst nirgends woanders mehr Kaffee trinken.

Sind Sie ein Kaffee-Fetischist?

Thomas D: Ja, aber im kleinen Rahmen. Es gibt da diesen Moment – das ist der perfekte Moment – wenn der Kaffee oder Cappuccino morgens richtig gut geworden ist. Was relativ oft der Fall ist. Dann trinkst du den ersten Schluck und denkst: Egal, was heute noch passiert, das war es wert. Das ist nur so ein kleiner, perfekter Augenblick. Dann halte kurz inne und zelebriere das richtig.

Während der Arbeit an ihrem Album „Aufstieg und Fall des Tommy Blank“ ist Tommy einfach abgehauen, hat alles hinter sich gelassen. Wovon wollten Sie schon einmal davon rennen?

Thomas D: Es gab den Moment des großen Erfolges – mit „Die Da!?!“ -, der sich ganz anders angefühlt hat, als wir uns das vorgestellt hatten. Wir wollten reich und berühmt werden. Aber diese Art von berühmt sein war nicht das, was wir uns erträumt hatten. Das war ein Moment, in dem ich dieser Scheinwelt, dieser Illusion schnell den Rücken gekehrt habe. Wir wollten als Künstler wahrgenommen werden, wir wollten etwas mitteilen. Vielleicht wollten wir auch nur unsere Psychosen heilen, indem wir unseren Gedanken Ausdruck verleihen.

Gab es dann auch mal einen radikalen Schnitt?

Thomas D: Ich hab mal meine Wohnung aufgelöst und bin ins Wohnmobil gezogen. Das war nicht gerade ein davonlaufen, aber ein Loslassen, ein Weglassen, ein Aufhören mit dem alten, ein nicht festhalten an dieser Scheinsicherheit. Ich hab mich gefragt: Was brauchst du wirklich? Du brauchst nicht viel.

Abgesehen von dem frischen Kaffee am Morgen, was brauchen Sie zum Leben?

Thomas D: Ich bin Familienvater, ohne meine Frau und meine zwei Kinder würde mir ordentlich was fehlen – um es milde auszudrücken. So ein Leben will ich mir gar nicht vorstellen. Ich brauche Musik, ich muss sie hören, ich muss sie auch machen. Und ich bin gerne draußen auf dem Land. Ich wohne schon gerne außerhalb. Ich brauche vielleicht mehr die Natur als den Menschen.

Was Ihre Fans derzeit gebrauchen können, weil sie das im Vorfeld am meisten beschäftigt, die Antwort auf die Frage: Gab es Tommy wirklich?

Thomas D: Das soll sie auch beschäftigen. Wenn man das Album hört, wird man Charakterzüge erkennen, die einem vielleicht nicht fremd sind. Vielleicht ist es auch wichtig zu wissen, wieviel von Tommy nicht in uns steckt. Manchmal ist es wichtig, etwas abzulehnen, um sich selbst zu erkennen. Für mich war Tommy Blank durchaus eine reale Gestalt. Mittlerweile gibt es ihn nicht mehr.

Hat er vielleicht irgendwo neu angefangen?

Thomas D: Vielleicht. Das Alte zu verwerfen, vielleicht nicht einmal gut zu finden und dann sagen: „Das nächste Mal muss alles anders werden“ ist auch ein ganz wesentlicher Zug meines künstlerischen Schaffens. Das ist ja meist der Grund, ein neues Album zu machen – sich zumindest künstlerisch neu darzustellen. Die gleiche Wahrheit, die eigene Wahrheit neu zu verpacken. Nach dem Motto: Wenn sie es beim letzten Mal nicht kapiert haben, dann probier ich es diesmal so.

Mussten Sie diese Geschichte von Tommy Blank jetzt einfach loswerden? Wie hat das angefangen?

Thomas D: In einer immer größer werdenden Liebe zum amerikanischen Hip-Hop. Von den Inhalten her ist der natürlich indiskutabel: Frauenfeindlich, menschenfeindlich und vor allem materialistisch ohne Ende. Da ist ja klar: Das sind nicht meine Themen. Trotzdem besitzt er diese Kraft und Wut, die in harten Aussagen oder Wörtern wie „Motherfucker“ oder „Scheiße“ liegt. Diese Wut teile ich durchaus auch. Da ist natürlich Tommy Blank das Beste, was mir passieren konnte. Ein heftiger Typ mit heftigen Texten, die Thomas D vielleicht so gar nicht sagen kann. Das macht es umso einfacher, auch mal „Hurensohn“ oder „Ficken“ zu sagen, ohne dass man gleich denkt: Was ist denn mit dem Thomas D los? Das ist eben eine große Geschichte, ein großes Drama, das da erzählt wird. Und das beinhaltet natürlich auch die heftigen und die dunklen Seiten der menschlichen Existenz.

Deshalb sagen Sie auch: Tommy Blank ist nichts für Kinder…

Thomas D: Man sollte schon etwas reflektieren können. Zu verstehen, dass wenn andere „Hurensöhne“ sagen, das keine Beleidigung eurer Mütter ist. Vielmehr geht es darum, wie Tommy Blank in der Textzeile sagt „Ich bin der größte Hurensohn auf dem Planeten.“ Wir haben unseren Planeten Mutter Erde verraten und verkauft. Und das ist die Philosophie hinter der oberflächlichen und umgangssprachlichen Herangehensweise.

Die heutige Jugend-Sprache orientiert sich viel am Hip-Hop, dadurch werfen Kinder mit Wörtern um sich, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Liegt es in der Verantwortung der Eltern, Kindern mit auf den Weg zu geben, darüber zu reflektieren?

Thomas D: Sobald das Kind im Kindergarten oder in der Schule ist, spielen so viele andere Einflüsse rein, dass Eltern die Kontrolle verlieren werden. Im Kindergarten kommen sie ja schon mit „Star Wars“ um die Ecke. Aber nur weil eine Zeichentrick-Serie dazu erfunden wurde, heißt das nicht, dass das etwas für Kinder ist. „Star Wars“ ist eine große epische Geschichte, da geht es um Macht, um Machtmissbrauch und den verantwortungsvollen Umgang mit Macht. Das hab ich mit 16 noch nicht mal kapiert. Mag sein, dass man das heute vielleicht mit 12 versteht. Aber bei meinem fünfjährigen Sohn wage ich es zu bezweifeln.

Ihr Rap-Kollege Afrob lässt sich auf dem Album auch nicht lumpen und gibt in seinen Textzeilen eher den Part des „Anti-Mitstreiters“ von Tommy Blank…

Thomas D: Als ich gehört habe, was Afrob gerappt hat, saß ich mit offenem Mund vor den Boxen und dachte: Der hat gerade echt „Fick dich Tommy“ gesagt. Wie geil ist das bitte? Der disst den Tommy auf seiner eigenen Platte. Natürlich hatte Tommy auch Feinde. Wer so ein hartes, wahrheitssuchendes, egomanisches Leben geführt hat, macht sich damit nicht nur Freunde. Ich hab so langsam das Gefühl, dass die Zahl derer, die ihn nicht so gut fanden, wächst. Vielleicht wollte er nie diese Platte mit mir machen, vielleicht ist er deshalb kurz vorher abgehauen. Am Ende hat er uns alle verarscht. Kann sein, dass die Stimmung vor Release noch kippt.

Also sagen Sie einen Tag vor Release noch: Nee, bringen wir jetzt doch nicht raus die Platte…

Thomas D: Stimmt, ich könnte sagen: Fick dich, du Wichser! Du hast es gar nicht verdient, dass das Album deinen Namen trägt! Unverschämtheit, lässt uns hier hängen. Bring ich es halt nicht raus. Naja, ich glaube, soweit gehe ich doch nicht. Denn ich höre mir das Album am Stück an und denke mir: Das ist eine fucking story. Du machst die Reise mit von diesem Typen, der hochgeht, der runter geht, der austeilt, der einsteckt, der zwischen den Welten schwankt. Das ist nicht nur irgendein Rapper, der sich an die Eier packt und sagt, wie geil er ist.