„The Visit“: Großeltern aus der Hölle

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„The Visit“: Großeltern aus der Hölle

Frisch gebackene Kekse, selbst gestrickte Pullover und liebevolle Umarmungen - bei Oma und Opa ist es doch am schönsten. Das glauben auch die Geschwister Rebecca und Tyler beim Besuch ihrer Großeltern. Doch stattdessen erwartet sie in "The Visit" ein Albtraum, aus dem es kein Entkommen gibt.

Großmutter, warum… stehst du splitternackt und fuchsteufelswild im Gang und zerkratzt die Wände? Nicht nur Oma macht in „The Visit“ dem bösen Wolf aus Rotkäppchen alle Ehre. Auch mit dem guten alten Opa stimmt irgendwas ganz und gar nicht. Ein Ausflug zu ihren Großeltern wird für die beiden Kinder Rebecca und Tyler zum Albtraum. Für Regisseur M. Night Shyamalan (45, „The Village“) entpuppt sich der Horror-Thriller dagegen als gelungene Rückkehr zu seinen Wurzeln.

Nach diversen Big-Budget-Flops gelingt dem Amerikaner mit indischen Wurzeln ein kleiner fieser Schocker. Zwar bedient er sich großzügig bei sämtlichen bekannten Stoffen der Grusel- und Horror-Geschichte – von „Hänsel und Gretel“ bis „Blairwitch Projekt“ – doch angereichert mit Shyamalans Trademarks ist das dann doch erstaunlich frisch, frech und gelungen.

Eine alleinerziehende Mutter (Kathryn Hahn) hat für ihre Kinder nur die besten Absichten, als sie den einwöchigen Urlaub bei Oma Doris (Deanna Dunagan) und Opa John (Peter McRobbie) in Pennsylvania plant. Doch auf der abgelegenen Farm kommen Bruder Tyler (Ed Oxenbould) und Schwester Rebecca (Olivia DeJonge) schnell dahinter, dass die alten Leute ein verstörendes Geheimnis haben. Denn was verbirgt sich hinter der Regel, das Zimmer nach 21.30 Uhr nicht mehr verlassen zu dürfen? Warum benimmt sich Großmutter nach Einbruch der Nacht, als wäre sie vom Teufel besessen? Und was verbirgt Großvater in dem stets verschlossenen Schuppen?

Frischer Found-Footage-Wind

Für viele Horror-Fans war mit „Blair Witch Projekt“ der Höhepunkt und das gleichzeitige Ende des Found-Footage-Horrorfilms erreicht. Zu viele Nachahmer nutzen den Dokumentations-Stil, um damit über inhaltliche Schwächen hinwegzutäuschen. Bezeichnenderweise tat sich Shyamalan – von ihm stammt nicht nur das Drehbuch, er finanzierte auch den Film komplett aus eigenen Mitteln – nach den Dreharbeiten mit Produzent Jason Blum zusammen, der mit „Paranormal Activity“ den letzten großen Found-Footage-Hit landen konnte.

Die beiden verleihen dem Genre eine nachvollziehbare Daseinsberechtigung. Die Handlung wird nämlich aus Sicht der jungen Rebecca erzählt, die den Besuch bei ihren Großeltern dokumentarisch festhalten will und sich hierfür als ambitionierte Kamerafrau und Regisseurin versucht. Was auf dem Papier vielleicht noch etwas bemüht und fadenscheinig klingt, funktioniert in der Umsetzung erstaunlich gut. Das Grauen wächst aus den Bildern. Sogar auf Musik verzichtet der Regisseur komplett.

Nicht nur die Kameraführung sorgt für ein stetig unbehagliches Gefühl beim Zuschauer. Vor allem dem famosen Spiel von Großmutter Deanna Dunagan ist es zu verdanken, dass einige Schocker so richtig unter die Haut gehen. Sie zieht Fratzen, verrenkt ihre Gliedmaßen, driftet von einem scheinbar völlig normalen Zustand in blanken Wahnsinn ab und schafft es, durch ihre bloße Präsenz Unbehagen hervorzurufen. Gleichzeitig nimmt wohldosierter Humor Druck von der Handlung. Mögen die Rap-Einlagen von Bruder Tyler vor allem in der deutschen Synchronisation noch ein echtes Ärgernis sein, ist es einmal mehr Dunagan, die mit trockenen One-Linern die Lacher auf ihrer Seite hat. Glücklicherweise driftet der Film aber nie ins Alberne ab, sondern behält seine düsteren Ton.

Fazit:

M. Night Shyamalan findet mit „The Visit“ zu neuer alter Form zurück. Und das, obwohl „The Visit“ nicht mit „The Sixth Sense“ zu vergleichen ist. Der Film ist ehrlicher, bodenständiger und augenzwinkernder Independent-Horror im kleinen Rahmen. Eine Farm, vier talentierte Schauspieler und Spaß am Gruseln – mehr braucht es nicht.