Sido: „Zu nett fürs Ghetto und zu Ghetto für die Spießer“

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Sido: „Zu nett fürs Ghetto und zu Ghetto für die Spießer“

Es gibt wohl kaum einen deutschen Rapper, der so bekannt ist wie er. Mit Songs wie "Mein Block" und "Astronaut" begeistert Sido seine Fans. Im Interview spricht er jetzt über sein neues Album "VI" und die Probleme, die er in seinem Wohnort hat.

Seit über zehn Jahren ist Paul Würdig, besser bekannt als Sido (34, „Liebe“), einer der großen Namen in der deutschen Rap-Szene. Mit Songs wie „Schlechtes Vorbild“ wurde er als Gangster-Rapper berühmt. Seit einigen Jahren sind seine Lieder nachdenklicher und erwachsener geworden. Mit der Nachrichtenagentur spot on news hat er über sein neues Album „VI“ und seinen Platz in der deutschen Gesellschaft gesprochen.

Ihr neues Album „VI“ ist sehr ernst und gesellschaftskritisch. Sie sprechen viele verschiedene Probleme an – von Kinderarbeit über Flüchtlinge bis hin zu Drogen. Was ist Ihrer Meinung nach der zentrale Knackpunkt?

Sido: Es gibt viele Dinge, die scheiße laufen. Woher das kommt, weiß ich nicht genau. Ich muss ehrlich sagen: Ich spreche es an, aber ein anderer Lösungsvorschlag als das altbewährte Rezept Nächstenliebe fällt mir auch nicht ein. Besonders, wenn es um das Flüchtlingsproblem geht, über das ja im Moment sehr viel diskutiert wird, ist Nächstenliebe doch schon die beste Lösung, finde ich. Es geht nicht nur darum, sie aufzunehmen und hier leben zu lassen. Die Flüchtlinge müssen dann auch die Möglichkeit bekommen, einen Job anzutreten; sie müssen betreut werden. Sie müssen wirklich eingegliedert werden. Da gehört ein bisschen mehr dazu, als ein Flüchtlingsheim zu bauen. Das ist aber nicht meine Debatte.

Auch wenn es nicht Ihre Debatte ist, sprechen Sie ja die Probleme an. Was möchten Sie mit Ihrem Album bewirken?

Sido: Ich möchte auf die Probleme aufmerksam machen. Das zieht sich ja durch alle meine Alben. Auch „Mein Block“ war ein Darauf-aufmerksam-machen. Zwar war es damals nicht meine Intention ein politisches Lied zu machen, aber es ist ein grundpolitisches Lied. Auf ironische Art und Weise hat es mit einem Augenzwinkern auf die Missstände aufmerksam gemacht, in denen ich damals gelebt habe. Bestimmt gab es da auch den einen oder anderen Jugendlichen, der dann im Block wohnen wollte, weil das alles so cool klang.

Gerade am Anfang Ihrer Karriere haben Sie noch nicht die Art von Gesellschaftskritik betrieben, die Ihr neues Album ausmacht. Wie kam es dazu, dass Sie jetzt ohne dieses Augenzwinkern rappen?

Sido: Das Augenzwinkern war auch ein kleines bisschen Provokation. Das war ein Stilmittel, um auf mich aufmerksam zu machen. Mittlerweile brauche ich niemanden mehr zu provozieren: Jeder weiß, wer ich bin und hat seine Meinung über mich. Ich muss nicht mehr provozieren, um mir Gehör zu verschaffen. Ich habe Gehör und damit muss ich jetzt etwas anfangen.

Sie selbst sagen auch von sich, dass Sie inzwischen ein bisschen zwischen den Stühlen sitzen. Sie seien „zu nett fürs Ghetto und zu Ghetto für die Spießer“. Ist das wirklich so? Haben Sie das Gefühl, nicht dorthin zu gehören, wo Sie jetzt leben?

Sido: Auf jeden Fall! Ich wohne außerhalb von Berlin in einer Art Vorort. In unserer gesamten Straße wohnen weniger Leute, als in dem Hochhaus, in dem ich früher gewohnt habe. Das waren 16 Stockwerke à acht Wohnungen und in jeder Wohnung haben mindestens zwei Personen gewohnt. In meiner jetzigen Straße gibt es insgesamt vielleicht fünfzig Häuser. Und in jedem Haus wohnt eine einzige Familie. Bei meiner Familie landen ab und zu Briefe, in denen Leute uns drohen, wir sollen zurück in unser Ghetto, wir Zigeunerpack. Wie auch immer diese Leute ihr Geld verdient haben – ich habe mein Geld ihrer Meinung nach nicht verdient. Ich bin zu jung, komme aus dem Ghetto, habe verbrecherische Sachen gemacht und stehe immer wegen irgendeinem Scheiß in der Zeitung. Das geht für die nicht.

Fühlen Sie sich trotzdem wohl mit Ihrer Familie?

Sido: Für mich war das die beste Entscheidung meines Lebens, dorthin zu ziehen. Allerdings hat meine Mutter ein großes Problem damit, wenn ihre Hunde in den Briefen bedroht werden und so. Ich würde natürlich auch gern wissen, wer so etwas tut, um möglicherweise rechtliche Schritte einzuleiten. Ich muss trotzdem sagen, all diese Umstände, sind mir lieber als das, was ich in meiner Jugend hatte. Vor allem bin ich froh, dass meine Mutter mittlerweile bei uns wohnt. Da sind mir diese Briefe tausendmal lieber. Im Märkischen Viertel hätte ich so einen Brief ernst genommen, aber in der Gegend, wo wir jetzt wohnen, ist das lächerlich. Einer älteren Dame wie meiner Mutter, geht das natürlich trotzdem nah.

Haben Sie das Gefühl, immer noch der Bad Boy zu sein, der nicht gern gesehen ist?

Sido: Ich denke, das hat sich verändert. Die letzte gerichtliche Angelegenheit, wegen der ich Schlagzeilen gemacht habe, war schon drei Jahre passé, als sie an die Öffentlichkeit kam. Diese Märkische-Viertel-Phase liegt hinter mir. Ich bin einfach ein ganz normaler Familienvater. Und ich bin sehr froh darum, dass ich den Absprung geschafft habe. Ich kenne viele Jungs, die genauso alt sind wie ich und immer noch im Viertel sind. Ich bin sehr froh, dass ich so ein normales Familienleben habe. Für mich ist das alles so, wie ich es mir gewünscht habe.

Sie unterstützen ja auch junge, noch unbekannte Künstler. Auf „VI“ ist beispielsweise der Rapper Olexesh aus Darmstadt vertreten. Wollen Sie den Nachwuchs-Künstlern so zeigen, dass es einen Weg aus dem Ghetto gibt?

Sido: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, das merkt man: Auf fast allen meiner Alben sind neue Künstler vertreten, genau wie jetzt Olexesh auf der Single „Löwenzahn“. Mir ist es wichtig, junge Künstler zu fördern, weil ich mir damals auch gewünscht hätte, dass mich jemand unterstützt. Für sie ist es eine gute Chance, bei Sido auf dem Album zu sein und diese Möglichkeit möchte ich manchen Künstlern gern geben.

Nach welchen Kriterien wählen Sie diese Künstler aus? Was ist Ihrer Meinung nach ein guter Künstler?

Sido: Da kommt viel zusammen: Texte, Beat-Auswahl, Themen und Aussehen. Das heißt nicht, dass derjenige unbedingt schön sein muss. Kay One zum Beispiel ist ein Mann, den viele junge Frauen schön finden. Den sehe ich nicht als Rapper. Er kann gut rappen, hat vielleicht auch mal gute Themen, aber er sieht einfach scheiße aus. Ich kann das nicht ernst nehmen. Wenn man sichtlich mehr Zeit im Bad braucht als eine Frau, dann passt das für mich nicht. Olexesh passt da für mich wesentlich besser rein. Er brezelt sich nicht auf wie eine Tunte.

Sie machen nicht nur Musik mit anderen Rappern, auf Ihrem neuen Album sind auch Songs mit Adel Tawil und Andreas Bourani zu hören. Was macht diese genreübergreifende Zusammenarbeit für Sie interessant?

Sido: Ich höre nicht nur Hip Hop, sondern auch sehr gerne Gesang. Wenn Sie mich fragen würden, wer gerade die krasseste Stimme in Deutschland hat, würde ich auf jeden Fall Andreas Bourani sagen. Er hat für mich das, was Xavier Naidoo hatte, der sich ja musikalisch ziemlich zurückgezogen hat. Andreas Bourani ist von den neuen, berühmten Sängern mit Abstand der krasseste. Er hat eine tolle Stimme, die ist unfassbar.