„Sicario“: Der Anti-Feelgood-Film des Jahres

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„Sicario“: Der Anti-Feelgood-Film des Jahres

Wer nach "Sicario" fröhlich aus dem Kino kommt, sollte einen Termin beim Psychologen ausmachen. Denis Villeneuves Film ist spannend, düster und stimmt nachdenklich - glücklich macht er ganz sicher nicht.

Filmemacher Denis Villeneuve weiß, wie er dem Kinogänger einige Euro und Zeit erspart. Für eine Tüte Popcorn muss man sich bei seinen düsteren Filmen in aller Regel nämlich nicht anstellen – es würde einem ohnehin im Halse stecken bleiben. So war es schon beim Psycho-Thriller „Prisoners“, und so ist es nun auch bei seinem topbesetzten Drogen-Thriller „Sicario“.

Überleben des Stärkeren

Der Grenzbereich zwischen Arizona und Mexiko ist durch jahrelange Drogenkriege quasi in eine gesetzesfreie Zone verwandelt worden. Am helllichten Tag baumeln verstümmelte Leichen unter Brücken, Bombenanschläge sind an der Tagesordnung. Die idealistische FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) überlebt selbst nur knapp eine solche Bomben-Explosion, als sie ein grausiges Geheimversteck des ansässigen Drogenkartells räumen lässt.

Doch durch den verheerenden Einsatz ergibt sich für die Agentin eine vielversprechende, wenn auch riskante Gelegenheit, das Kartell zu stürzen. Als Teil einer geheimen Sondereinheit unter der Leitung des undurchsichtigen Matt Graver (Josh Brolin) sollen sie und ihre Kollegen in der Höhle des Löwen Jagd auf die Drahtzieher machen. An ihrer Seite: der knallharte Söldner Alejandro (Benicio del Toro), der nicht minder skrupellos scheint, wie der Feind, den es zu bekämpfen gilt.

Oh say can you see…

Über zu viel US-amerikanischen Patriotismus muss man sich in „Sicario“ definitiv keine Sorgen machen, ganz im Gegenteil. Zu den Klängen der US-Hymne wird etwa ein Gefangener gefoltert, um an Informationen über seine Auftraggeber zu gelangen. Wo Filme wie „American Sniper“ in der Darstellung des Iraks und der USA Schwarz-Weiß malte, hat Villeneuve nur einen Farbtopf geöffnet und malt in Anbetracht des USA-Mexiko-Konflikts Schwarz-Schwarz. Denn mit Ausnahme von Hauptfigur Kate wird dem Zuschauer wenig gegeben, mit dem er guten Gewissens mitfühlen kann.

Das alles darf aber nicht als Kritikpunkt des Films angesehen werden, vielmehr als Warnung, dass man schon Lust auf einen derartig niederschmetternden Film haben sollte. Die schauspielerische Leistung von allen Beteiligten ist nämlich über jeden Zweifel erhaben. Hervorzuheben ist hier neben Blunt vor allem del Toro, der den gebrochenen Auftragskiller ohne Skrupel überragend mimt. Er bleibt aber auch der einzige Charakter in „Sicario“, dem eine (natürlich tragische) Hintergrundgeschichte spendiert wurde.

Nervenzerreißende Spannung

In erster Linie lebt „Sicario“ von den aufreibenden Einsätzen von Kate und Co., die einen so manchen Fingernagel kosten. Bei einem Hinterhalt auf einer überfüllten Straße etwa, in den Kate und ihr Team gerät. Während dieser Sequenz schlägt einem das Herz wahrlich bis zum Hals – Hitchcock wäre stolz gewesen.

In den restlichen Szenen nimmt sich der Film aber oftmals stark zurück. Nicht lauthals oder hysterisch wird dann über Menschenleben entschieden, sondern abgebrüht und berechnend. Es ist dieser offenbare Mangel an Empathie vieler Figuren, der „Sicario“ stellenweise so ungemein deprimierend macht. Einerseits, weil man einfach nicht glauben will, dass auch das vermeintlich Gute derartige Abgründe aufweist. Und andererseits, weil man insgeheim ahnt, dass es der Wahrheit entspricht.

Fazit

Denis Villeneuves „Sicario“ ist schwere Kost, gut gelaunt wird man von ihm nicht in die Nacht entlassen. Nachdenklich wohl eher, gepaart mit einem Gefühl der Leere – darauf muss man schon Lust haben. Wen diese Prämisse abschreckt, verpasst aber ungemein gute und intensive Darbietungen von Emily Blunt und Benicio del Toro. Wer Villeneuves Arbeit mag und sie in einem Setting vergleichbar mit dem des Films „Traffic“ sehen mag, sollte sich „Sicario“ auf keinen Fall entgehen lassen.