Shantel: „Kritisches Denken empfinde ich als sehr sexy“

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Shantel: „Kritisches Denken empfinde ich als sehr sexy“

Neues Album, neuer Fokus: In seinem neusten Werk "Viva Diaspora" setzt sich Shantel mit griechischer Musik auseinander. Im Interview erklärt das Multitalent, warum er kritisches Denken schätzt, was es mit dem Smyrna-Sound auf sich hat und was ihm mit dem Frankfurter Bahnhofsviertel verbindet.

Jeder einigermaßen Tanz-affine Partygänger kennt „Disko Partizani“ – doch Stefan Hantel, Künstlername Shantel, ist mehr als nur ein Künstler, der uns mit guter Musik unterhalten will. Er greift auf seinen Werken immer wieder neue Einflüsse der Musik und Gesellschaft auf. Aus verschiedenen Kulturen, Ländern. Für seine neue Platte „Viva Diaspora“ ist er in Griechenland gelandet. Die Menschen dort haben es gerade nicht einfach. Shantel erklärt im Interview mit spot on news, wie die Griechen die Deutschen sehen, warum er Rastlosigkeit schätzt und in welcher Stadt seine musikalische Kinderstube liegt.

Griechenland-Bashing ist „in“ – warum machen Sie dabei nicht mit?

Shantel: Wir leben in einer polarisierenden, medialen Welt. Man muss nicht alles glauben, was in der Zeitung und im Internet steht. Kritisches Denken empfinde ich als sehr sexy, deshalb traue ich keinem Medien-Hype. Die Wortschöpfung „Griechenland-Bashing“ zähle ich so auch zu den dümmsten Kreationen dieser Hype-Maschine. Ich rate deswegen allen, Griechenland zu besuchen und sich selbst ein Bild von der Realität vor Ort zu machen.

Wenn Sie nach Athen reisen, wie nehmen Sie das Bild von Deutschland in der einheimischen Bevölkerung wahr?

Shantel: Die Deutschen sind in Griechenland sehr beliebt. Sie gelten als tugendhaft, fleißig und diszipliniert. Komischerweise treffen diese Eigenschaften nicht auf mich zu. Und der deutsche Urlauber ist in Griechenland genauso willkommen wie zum Beispiel der französische. Da die Griechen sehr gastfreundlich sind, wird sich niemand aufgrund seiner Herkunft diskriminiert fühlen müssen. Schon gar nicht, wenn man Deutscher ist.

Was sagen Sie zur Rettungspolitik der EU und Deutschland für Griechenland?

Shantel: Die europäische Rettungspolitik sollte man durchaus kritischen sehen, genauso wie die griechische Regierungspolitik. Vor allem dürfen wir aber den Blick auf die betroffenen Menschen nicht verlieren. Denn als Europäer – der ich mit großer Überzeugung bin – sitzen wir alle in einem Boot. Also, let’s shake hands in the middle!

Soll Ihr neues Album „Viva Diaspora“ ein politisches Statement sein?

Shantel: „Viva Diaspora“ ist kein politisches Statement, sondern ein musikalisches. Ich arbeite mit vielen verschiedenen Menschen und Musikern zusammen – nicht weil sie Griechen sind, sondern weil die Chemie zwischen uns stimmt und wir Spaß daran haben, zusammen etwas auf die Beine zu stellen

Beschreiben Sie den auf Ihrer neuen Platte verarbeiteten Smyrna-Sound, den viele wohl als griechische Volksmusik bezeichnen würden.

Shantel: Der Smyrna-Sound existiert so eigentlich nicht mehr. Er stammt aus der 1922 durch einen Brand zerstörten Mittelmeer-Metropole Smyrna – dem heutigen türkischen Izmir. Hier hatten sich über Jahrhunderte viele verschieden Kulturen gegenseitig kreativ befruchtet: Juden, Moslems und Christen und viele verschiedene Nationalitäten. Daraus ist eine sehr vielschichtige Musik entstanden. Für uns Nordwest-Europäer klingt sie ziemlich orientalisch, man würde eher meinen, dass es sich dabei um türkische Musik handelt. Smyrna war einfach ein großartiger Schmelztiegel, in dem kulturell vieles möglich war. Diese Idee möchte ich durch meine Musik gerne wiederbeleben.

Welche musikalischen Einflüsse aus Ländern, die Sie noch nicht verarbeitet haben, reizen Sie? Wohin soll ihre nächste musikalische Reise führen?

Shantel: Ich reise nicht, um mich inspirieren zu lassen. Das funktioniert bei mir nicht. Ich verarbeite einfach meine eigene kulturelle Zerrissenheit und Identität. Da ich mit meiner Band und manchmal auch als DJ jährlich und weltweit mehr als 250 Live-Shows spiele, lass ich es mir nicht nehmen, einfach mal länger an einem anderen Ort zu leben – in Tel Aviv, Istanbul, Paris oder auch Athen. Das Spannende an diesem Leben ist, dass man immer wieder bei null beginnen muss und sich nicht auf eingetretenen Pfaden bewegt. Ich empfinde Rastlosigkeit als sehr kreativ und aufregend. Man bekommt dadurch nicht unbedingt bessere Ideen, aber es hilft sehr gut, gegen eine gewisse Routine anzugehen.

Gehen Sie mit Areti Ketime, der griechischen Sängerin, die auch auf „Viva Diaspora zu hören ist, auf Tour?

Shantel: Ja, ich werde mit Areti Ketime und dem Bucovina Club Orkestar auf Tour gehen – wir freuen uns alle sehr darauf!

Was sagen Sie dazu, dass das vorher so verrufene Frankfurter Bahnhofsviertel gerade als hip gilt?

Shantel: Das Frankfurter Bahnhofsviertel war meine Kinderstube. Alles was ich heute mache, habe ich zuerst im Bahnhofsviertel auf kleinen, illegalen Partys ausprobiert. Grenzen und Beschränkungen aufzulösen, keine Angst davor zu haben, verschiedene Einflüsse mit einander zu kreuzen. Musikalisch und kulturell hat das dort vor 20 Jahren schon sehr gut funktioniert. Schön, dass diese Nachricht jetzt auch international ihre Kreise zieht, denn ich glaube, Frankfurt am Main ist die kosmopolitischste Stadt Deutschlands.