„Mensch“, „Bochum“! So funktionieren Grönemeyers Hits

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„Mensch“, „Bochum“! So funktionieren Grönemeyers Hits

Der Meister ist zurück: Herbert Grönemeyer hat ein neues Album herausgebracht - und fast scheint es, als wundere sich das Land, wie es kurz mal seinen erfolgreichsten Popsänger vergessen konnte. Tatsächlich funktionieren Grönemeyers Hits von "Bochum" über "Männer" bis "Mensch" nach ziemlich unvergesslichen Mustern.

Über Fragen des Geschmacks lässt sich streiten – aber eines steht fest: Wenn nach den großen, außergewöhnlichen Stimmen des deutschen Pop gefragt wird, dann ist Herbert Grönemeyer die erste Antwort. Und danach kommt lange nichts.

58 Jahre alt ist Grönemeyer mittlerweile. Zwischen seinen Albenveröffentlichungen vergehen eher vier bis fünf Jahre als zwei. Aber wenn sich der Mann, der Songs wie „Bochum“, „Musik nur wenn sie laut ist“, „Männer“ und „Kinder an die Macht“, „Mensch“ und „Flugzeuge im Bauch“ geschrieben hat, zur Wort meldet, dann lauscht die Nation. So wie jetzt beim neuen Album „Dauernd jetzt“. Was aber ist es, das „Herbie“ so unverwechselbar macht? Nach dem Geheimrezept fahnden lässt es sich am besten anhand der schillernden, bisweilen schrägen Hits des Ausnahmekünstlers.

Interesse fürs Menschliche: „Musik, nur wenn sie laut ist“

Man mag es kaum glauben – aber Herbert Grönemeyer startete einst alles andere als locker in seine Sangeskarriere. Drei erfolglose Alben brauchte es. Dann eröffnete „Musik, nur wenn sie laut ist“ das vierte Werk „Gemischte Gefühle“. Und kam auch erst Jahre später zu Ruhm. Angelegt sind in diesem spätentdeckten Radio-Favourite aber ein paar von Grönemeyers Stärken: Ein melodiöses, etwas theatralisches musikalisches Gerüst im Stil der Zeit – das heißt hier: mit den Fanfaren und dem Gitarrenjaulen der 80er. Vor allem aber ein ausführlicher Blick aufs Menschliche. Hier in die Lebenswelt eines tauben Mädchens, das trotzdem seine Freude an der Musik hat. Grade eigenwillig genug, um ernsthaft berührend zu sein. Und am Ende des Refrains knödelt Grönemeyer „oh-oh-oh-oh ooohh!“.

Den Zweifel hervorpressen und schmunzeln: „Männer“

Erst mit Album Nummer fünf kam für Grönemeyer der Durchbruch: „4630 Bochum“, 1984 noch dicke in Zeiten vierstelliger Postleitzahlen veröffentlicht, zeigt den klassischen Grönemeyer. Der klingt alles andere als entspannt – aber das ist das Land seiner Hörer damals ja auch oft nicht. Im Song „Männer“ presst Grönemeyer eine verdrehte Hymne auf das Klischeehafte, Schwierige, Überkommene am Mannsein hervor. Auf der feministischen Höhe der 80er, und in seiner seltsamen Mischung aus Engagement und Humor. „Ich bin ein bis zur Nervgrenze leidenschaftlicher Sänger“, erklärte Grönemeyer dem „SZ-Magazin“ Jahre später. „Das hat damit zu tun, dass ich immer unter Druck stehe.“

Keine Angst vor Pathos: „Bochum“ und „Halt mich“

Grönemeyer kann aber auch anders: Der Stimme Auslauf geben und die ganz große Geste bringen. Seine mit doppelbödigen Bildern gespickte Ode an die Heimstadt, „Bochum“, intonieren nicht nur die Fans des heimischen VfL im Stadion mit Leidenschaft. Das Schöne im Hässlichen und Fehlerhaften haben wenige so inbrünstig besungen wie hier Grönemeyer. Ganz ironiefrei wird es manchmal beim Thema Liebe: „Halt mich, nur ein bisschen, dass ich schlafen kann“, fordert Grönemeyer in „Halt mich“. Das ist lyrisch gesehen ein dickes Brett. Aber eben auch eine vergleichsweise unplumpe Variante des alten Konzepts „Liebeserklärung“: Wenn Grönemeyer pathetisch klingt, dann meist, weil die Musik durchaus intelligent gewählte Worte noch weiter trägt.

Das ganze Leben in einem Song: „Mensch“

Zwischen dem Grönemeyer von heute und dem der bisher genannten Beispiele liegt eine Zäsur: Spätestens das Album „Mensch“ aus dem Jahr 2002 zeigt einen veränderten Musiker; 1998 waren Grönemeyer Ehefrau und Bruder gestorben. Auf dem Titelsong „Mensch“ greift der gereifte Sänger nach der ganzen Wahrheit – und besingt das „Menschsein“ als solches. Auch „Der Weg“, geschrieben für die verstorbene Frau, ist zwar ein Liebeslied. Es handelt aber dennoch mehr von existenziellsten Fragen als von zwei Menschen. Auch dieses Philosophische – das sich nicht mehr wie „Männer“ an Selbstbildfragen erschöpft – schätzen die Hörer sehr. Genauso wie das bisweilen leicht elektronische, neue Klangbild, dass sich Grönemeyer zwischenzeitlich verordnet hat.

Welche Hits von Grönemeyers neuem Album „Dauernd jetzt“ bleiben werden – das muss die Zeit zeigen. Dass etwas hängenbleibt, dafür stehen die Chancen gut. Zumindest für all jene Songs, in denen Grönemeyer nicht über Fußball singt. Schon sein WM-2006-Soundtrack „Zeit, dass sich was dreht“ schien eher bemüht ambitioniert. Und auch „Der Löw“, der neue Song für Jogis Brasilien-Weltmeister, ist, nun ja… gewöhnungsbedürftig. Inszenierungen auf dem grünen Rasen zu beschreiben zählt eben nicht zu „Herbies“ Erfolgsrezepten. Dann doch lieber Städte, „Flugzeuge im Bauch“, oder das ganze Leben. Keine halben Sachen, eben.