Mark Oliver Everett: „Ich war ein hoffnungsloser Fall“
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Mark Everett galt lange als der Seuchenvogel der Indieszene. Schickssalsschläge pflasterten seinen Weg. Zusammen mit großen Songs: Seine Band Eels zählt zu den geachtetsten Vertretern des Genres. Mit seinem neuen Album will Everett die Hörer vor schweren Fehlern bewahren. Mit spot on news spricht er über Musik als Rettung - und die Angst vor dem Veröffentlichungstag.
Fast schiene es verfehlt, einen weiteren Artikel über das große Indie-Projekt Eels mit den zahllosen Schicksalsschlägen seines Masterminds Mark Oliver Everett (51) aufzumachen. Also einmal anders herum: Eels zählen seit bald 20 Jahren zu den großen, erfreulichen Konstanten in der alternativen Musikszene. Tieftraurige, energiereiche und experimentierfreudige Musik; aufgestellt um Everetts raue Stimme und seine zündenden Songideen. Die jüngsten Alben kamen auch in Deutschland allesamt in die Nähe der Top Ten. Und Musikjünger wissen ohnehin, was sie an der Kunst Everetts haben. Am Freitag erscheint bereits das elfte Eels-Album.
Aussparen kann man es natürlich trotzdem nicht: Denn dass Eels so ein schillerndes Projekt sind, liegt auch an der schwierigen Biografie Everetts. Binnen weniger Jahre fand er seinen Vater tot auf, verlor seine Mutter an den Krebs; seine Schwester brachte sich um, seine Cousine war Stewardess in einem der Katastrophenflüge des 11. September. Das alles hat Everett in Alben mit sprechenden Titeln wie „Electro-Shock Blues“ verarbeitet – und kann sich nun anderen Aufgaben widmen: Auf dem neuen Eels-Album „The Cautionary Tales of Mark Oliver Everett“ will er die Hörer davor bewahren, seine Fehler zu wiederholen. Im Interview mit spot on news spricht der 51-Jährige über Verantwortung, darüber wie ihn die Musik rettete – und warum er trotzdem den Veröffentlichungstag seiner Platte fürchtet.
Herr Everett, ihr neues Album scheint mir eine große Retrospektive zu sein. Von Songs wie „Where I’m At“ über „Mistakes of My Youth“ bis zu „Where I’m From“. Täuscht der Eindruck?
Mark Oliver Everett: Generell würde ich sagen, die eine Hälfte meiner Musik ist autobiografisch, und in der anderen Hälfte singe ich für Charaktere, die ich erfunden habe, oder die auf der Geschichte jemand anderes basiert. Wenn ich also in der ersten Person singe, heißt das nicht notwendigerweise, dass es um mich geht… – aber in diesem Fall tut es das, ja. Das Album ist die musikalische Version von etwas, das ich durchgemacht habe. Ich dachte, es wäre interessant, Songs darüber zu schreiben. Vor allem, um herauszufinden, wie man verhindern kann, in der Zukunft noch einmal alles zu versauen.
Deshalb also auch die „Cautionary Tales“, die „warnenden Erzählungen“?
Everett: Genau. Das ist meine Art zu sagen: „Mach keine Dummheiten, lass mich das für dich erledigen.“
Was sind es denn für Lehren, die sie dem Hörer hier – kurzgefasst – mit auf den Weg geben können?
Everett: Ach, es ist ja alles auf dem Album… Was zum Beispiel den Song „Agatha Chang“ angeht: Ich hätte bei ihr bleiben sollen.
Das Album ist aber nicht nur negativ gestimmt. Es gibt da unterschiedliche Nuancen.
Everett: Ich denke, es ist alles designt, um am Ende an einem hoffnungsvolleren Ort herauszukommen. Aber dafür musste ich wirklich tief graben und schürfen… Ich wühle mich immer mehr in die Probleme herein, im Verlauf des Albums. Bis es irgendwann wirklich tief herunter geht – und ich anfange, das Problem zu erkennen. Die Lösung lautet: Am Ende ist alles, was wir tun können, uns selbst zu ändern. Wir können niemand anderen ändern – also ist mir klar geworden, dass es allein mein Problem ist. Dann ist es ein Album über Verantwortung geworden.
War es so hart, wie man es sich jetzt vorstellen könnte, sich auf Albumlänge eigenen Fehlern zu widmen?
Everett: Ja, das war wirklich nicht einfach. Eine der schwereren Sachen, die ich geschrieben habe.
Interessiert es Sie da nun auch besonders, wie ihre Musik aufgenommen werden wird?
Everett: Das ist tatsächlich ziemlich hart! Eine CD herauszubringen gibt einem ein Gefühl großer Verletzlichkeit. Man hat volle Kontrolle, solange man daran arbeitet – und dann ist sie einfach draußen in der Welt. Um beurteilt zu werden! Bei diesem Album ist es sogar noch schlimmer, weil es meinen Namen und mein Gesicht auf dem Cover trägt. Es wird in diesem Fall schwer sein, Kritik nicht persönlich zu nehmen…
Sie machen seit gut 30 Jahren Musik, die Schicksalsschläge die sie in dieser Zeit durchlitten haben, sind in der Öffentlichkeit mehr als bekannt. Hat Musik da nicht zugleich für Sie auch als ein Trost funktioniert?
Everett: Musik hat mich gerettet, ich war ein hoffnungsloser Fall! Ohne Musik wäre ich heute nicht hier. Ich bin sehr glücklich, dass ich sie hatte und damit etwas anfangen konnte – es ist wie ein Wunder.
Nach dem Songschreiben und Aufnehmen kommt das Touren. Wie steht es damit: Freuen Sie sich auf die bevorstehenden Reisen?
Everett: Als ich jünger war, konnte ich das Touren nicht ausstehen! Aber über die ganzen Jahre musste ich mich dem Konzept einfach unterwerfen – und mittlerweile ist es einfach Teil meines Lebens und ein ziemlicher Spaß für mich. Es hängt aber natürlich auch an der Zusammensetzung der Leute. Wenn man die richtige Kombination hat, kann es eine unglaubliche Freude sein, zu touren.
…und dann gibt es ja auch Musiker, die zum Albumrelease längst gedanklich ein paar Schritte weiter sind. Haben Sie schon Pläne für die Zeit nach den „Cautionary Tales“?
Everett: Nein, jetzt geht’s erstmal nur um Touren, dahinter gibt es noch nichts Neues am Horizont… ich habe keine Ahnung, was danach kommen wird.
Zum Abschluss noch eine eher ungewöhnlich gestrickte Frage zum Hier und Jetzt: Sie haben einmal gesagt, sie hätten Probleme, sich musikfachsprachlich auszudrücken – und würden stattdessen mit ihren Bandkollegen mittels Farbbeschreibungen kommunizieren. Welche Farbe hat Ihr aktuelles Album?
Everett: …das Album ist blau. Ich habe es mir immer als blaues Album vorgestellt.