M. Night Shyamalans „The Visit“: Gesprengte Ketten

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M. Night Shyamalans „The Visit“: Gesprengte Ketten

Mit dem kleinen fiesen Suspense-Thriller "The Visit" befreit sich Horror-Regisseur M. Night Shyamalan von den Zwängen der großen Hollywood-Studios und feiert eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Im Interview mit spot on news spricht er über die Dreharbeiten, die für ihn wie eine Befreiung waren.

Vom Independent-Regisseur arbeitete sich M. Night Shyamalan hinauf bis zu den Big-Budget-Produktionen Hollywoods. Und wie das so ist mit einem Berg: Es dauert lange, nach oben zu klettern. Aber runter fällt man schnell. Mit „The Sixth Sense“ stieß er die Tür nach Hollywood auf, mit „Unbreakable“, „Signs“ und „The Village“ spielte er im Konzert der Großen mit – und nach „Das Mädchen aus dem Wasser“, „Die Legende von Aang“ und „After Earth“ wurde er wieder vor die Tür gesetzt. Ein bisschen hat der Amerikaner mit indischen Wurzeln wohl Hollywood auch selbst den Rücken gekehrt und sich selbst von den Fesseln befreit, so wirkt es im Interview zumindest.

Mit „The Visit“ knüpft er an seine Independent-Arbeit an. Zwei Kinder werden darin von ihrer Mutter auf einen Kurzurlaub zu Oma und Opa geschickt. Auf der abgelegenen Farm kommen Bruder (Ed Oxenbould) und Schwester (Olivia DeJonge) aber schnell dahinter, dass mit den alten Leuten irgendetwas nicht stimmt… Der im Found-Footage-Stil („Blairwitch Project“, „Paranormal Activity“) gedrehte Film kostete nur fünf Millionen Dollar – Geld, das Shyamalan selbst auftrieb. Erst nach Fertigstellung verkaufte er den Film schließlich an Universal. Ein Risiko, dass sich gelohnt hat.

Sie waren in den letzten Jahren überwiegend für große Produktionen der Hollywood-Studios zuständig. Warum jetzt ein kleiner Low-Budget-Schocker?

M. Night Shyamalan: Die Idee zum Film hatte ich schon vor einer ganzen Weile und ich wusste bereits damals, dass es im kleinen Rahmen gedreht werden sollte. Nach den Erfahrungen der letzten Zeit hat jetzt einfach der Zeitpunkt gepasst. Es war sehr angenehm, den Film einfach so drehen zu können – ohne großes Studio im Nacken, nur fokussiert auf die Story und die Schauspieler. Das war sehr befreiend.

War die Umstellung von Blockbuster auf Independent-Film schwer?

Shyamalan: Nein. Zum einen komme ich ja aus der Independent-Ecke, zum anderen hat mir meine Arbeit an der TV-Serie „Wayward Pines“ sehr geholfen. Fürs Fernsehen muss man schneller und günstiger arbeiten, als für einen Film. Das war eine gute Vorbereitung auf „The Visit“. Ich wusste vorher: Ich darf keine bekannten Schauspieler engagieren, habe wenige Drehtage, arbeite mit einer kleinen Crew und kann eine Szene nicht aus unzähligen verschiedenen Perspektiven drehen lassen. Dafür ist einfach keine Zeit. Auf der anderen Seite hilft einem das ganze Ambiente auch, schnell eine enge Beziehung zu den Schauspielern aufzubauen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Um welche Art von Angst geht es Ihnen in „The Visit“?

Shyamalan: Der Film erzählt von der Angst, alt zu werden. Und letztendlich irgendwann sterben zu müssen. Das ist eine Ur-Angst.

Der Film kommt dabei ganz ohne Musik aus.

Shyamalan: Ja, das wollte ich schon immer mal ausprobieren. Die Musik hat einen enormen Einfluss auf das gesamte Seh-Erlebnis. Stellen Sie sich Ihren Lieblingsfilm ohne Score vor. Ein Orchester im Hintergrund kann uns erzählen, wo wir hinschauen müssen und was als nächstes passiert: Eine Sexszene wird anders untermalt als ein Mord. Musik transportiert Stimmungen. Insofern hat „The Visit“ auch meinen kompletten Arbeitsrhythmus verändert.

Inwiefern?

Shyamalan: „The Sixth Sense“ dauert 107 Minuten, „Unbreakable“ dauert 107 Minuten, „Signs“ ist 107 Minuten lang und „The Village“ ist 107 Minuten lang. Ich habe das nie geplant, das ist einfach der Rhythmus, in dem ich arbeite. „The Visit“ aber dauert 94 Minuten, weil alles schneller und direkter gehen muss. Weil es keine langen Einstellungen gibt, in denen die Musik ankündigt, das gleich etwas Schlimmes passieren wird.

Ihre besten Filme sind für ihre verblüffenden Plot-Twists berühmt. Ist das Ihr Ausgangspunkt, wenn Sie eine Geschichte schreiben?

Shyamalan: Nein. Ich denke nicht über Plot-Twists nach, wenn ich die Idee für einen Film entwickle. So arbeite ich nicht. Ich versuche, interessante Charaktere zu schaffen, und von diesen ausgehend eine Geschichte zu erzählen. Ein Beispiel: Wenn ich eine Geschichte über eine Krankenschwester, die ihre Patienten hasst und quält, erzählen möchte, kann ich auch eine Stunde lang so tun, als wäre sie eine fürsorgliche Person. Und irgendwann fällt eben die Maske. Dadurch entsteht für den Zuschauer der Twist. Ich wusste aber schon vorher, dass sie eigentlich eine fiese Kuh ist…

In ihren Filmen geht es eigentlich immer um Angst. Haben Sie nie Lust, mal eine romantische Komödie zu drehen?

Shyamalan: Doch! Aber irgendwie lässt man mich nicht… Aber im ernst: „The Visit“ hat viele humorvolle Momente, ohne dabei albern oder eine Horror-Komödie zu sein. Das war mir wichtig.

Bleiben Sie künftig in der Independent-Ecke oder folgen Sie dem Ruf Hollywoods, falls er kommt.

Shyamalan: Ich mache erstmal so weiter. Mein nächster Film wird auch ein sehr geringes Budget haben und von der Art sehr ähnlich sein, wie „The Visit“. Ich werde ihn erst drehen und dann versuchen, einen Vertrieb dafür zu finden.