Lindemann: Ein kleines bisschen Horrorshow

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Lindemann: Ein kleines bisschen Horrorshow

Wem Rammstein schon immer etwas zu dezent war, dem ist ab heute geholfen: Als "Lindemann" singt der 52-jährige Frontmann nun seine Horrorlyrik auf Englisch zu einer Art Schlager-Metal, die an effekthaschender Opulenz nicht zu überbieten ist.

Als pyrotechnikbegeisterter Zombie-Deutscher hat Rammstein-Frontmann Till Lindemann die ganze Welt um den Mittelfinger gewickelt – nur Deutschland ist noch immer geteilt in Pro- und Contra-Rammstein. Nachdem die Hauptband gerade in Pause ist, hat der Berliner nun „Lindemann“ umgesetzt, ein lang geplantes Projekt mit dem schwedischen Metal-Helden Peter Tägtgren (Pain).

Bisher läuft alles nach Plan: Der Boulevard ist schockiert von der Abtreibungshymne, die als erste Single ausgekoppelt wurde – und treibt die YouTube-Klickzahlen in die Höhe. Die Diskussionen in den Foren lesen sich genauso erbittert wie zu jedem Rammstein-Album. Die Pro-Fraktion ist aus dem Häuschen, die Contra-Fraktion findet es mindestens genauso schlimm, wie den Output der Hauptband. Was merkwürdig ist: Abgesehen von den Streichern soll Tägtgren, Multiinstrumentalist und gefeierter Produzent seines Genres, die Musik komplett alleine geschrieben haben.

Womit er ein kleines, wenn auch nicht unbedingt positives, Wunder erschaffen hat: „Skills In Pills“ klingt noch bombastischer, sakraler, pathetischer und opulenter als Rammstein. Ob Gitarren-Massaker, Chöre, Orgeln oder Synthies – hier wurde alles aufgefahren, was der Computer hergibt und dann mindestens verdreifacht. So entsteht eine wilde Mischung aus Industrial, Metal, Gothic – Hauptsache überwältigend. Und Hauptsache Pop: Jede Melodie geht sofort ins Ohr, auf dem Oktoberfest könnte die Meute schon beim zweiten Refrain mit grölen und wenn Helene Fischer das Ganze als Akustikversion einspielen würde, wäre auch Oma begeistert.

Naja, wären da nicht die Texte. Hier versucht sich Lindemann ja seit Jahrzehnten selbst mit Tabus zu übertreffen. Diesmal werden zum Beispiel die Vorzüge von Natursekt-Spielchen, Pillen jeder Art, gut beleibten Frauen und Ladyboys gepriesen. Die Tocotronic-These, dass es leichter wäre, auf Englisch über Sex zu singen, widerlegen Zeilen wie: „I like to fuck / But no French letter / Without a condom / The sex is better“. Dass Lindemann bisweilen als abschreckendes Beispiel im Englischunterricht gespielt werden könnte, ist übrigens beabsichtigt: Tägtgren bestand auf das „German English“. Noch so ein Punkt, den man vermutlich nur außerhalb Deutschlands versteht.