KI in der Musikbranche

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Schreibt Software bald #1-Hits?

Kaum jemand hätte vor ein paar Jahren geahnt, dass sich Popmusik eines Tages in Textfeldern zusammenklicken lässt. Wo früher Musiker im Studio an Akkorden feilten oder sich Produzenten durch schlaflose Nächte mixten, reicht heute oft ein Prompt.

Ein paar Worte, ein paar Sekunden, schon spuckt die Maschine einen Song aus, samt Melodie, Arrangement und sogar Gesang. Es klingt nach Science-Fiction, ist aber längst Realität. KI schreibt Songs, singt sie ein und schafft es damit in die Charts. Und das mit wachsender Selbstverständlichkeit.

Wenn der Algorithmus zum Songwriter wird

Damit ein Lied überhaupt entsteht, muss eine KI erstmal verstehen, wie Musik funktioniert. Nicht emotional, sondern mathematisch. Sie wird mit tausenden Songs gefüttert. Von Klassik bis Cloud-Rap, von Mozart bis Billie Eilish. Dabei analysiert sie nicht etwa das „Warum“, sondern das „Wie“: Welche Akkordfolgen funktionieren in welchen Genres, wie lange dauert eine Hook, wie wiederholt sich ein Beat? Was wie Intuition klingt, ist für die Maschine nichts weiter als Statistik.

Ein neuronales Netz lernt Muster. Es merkt sich, dass in vielen Popsongs auf einen C-Dur-Akkord oft ein A-Moll folgt und dass Refrains im Durchschnitt nach 45 Sekunden einsetzen. Es kann dadurch neue Melodien generieren, die klingen, als wären sie menschlich komponiert, obwohl sie nur Wahrscheinlichkeiten abbilden.

Das funktioniert inzwischen nicht nur für Instrumentals. Auch Texte, Gesangslinien und sogar Stimmen können synthetisch erzeugt werden. Wer will, lässt sich heute ein ganzes Lied schreiben, singen und produzieren. Und das ganz ohne Gitarre, Notenkenntnisse oder Tonstudio.

Von Emojis zum Ohrwurm

Plattformen wie Suno AI oder Boomy bringen genau das auf die Bühne: Musik aus der Steckdose, maßgeschneidert und jederzeit abrufbar. Dort genügt es, ein paar Schlagworte einzutippen, etwa „melancholischer 90er-Indie-Rock“ oder „fröhlicher Sommerhit mit Reggaeton-Vibes“ und Sekunden später liegt der fertige Track vor. Manche Anbieter gehen noch weiter: Sie liefern nicht nur die Musik, sondern gleich den Text, die Stimme und das Mastering dazu. Alles auf Knopfdruck.

Boomy ermöglicht sogar die Veröffentlichung der KI-Songs auf Spotify und Co., mit Verdienstoption. Bei Suno AI beeindruckt besonders die Soundqualität, die an professionelle Studioproduktionen heranreicht. AIVA hingegen konzentriert sich auf orchestrale Kompositionen, was Filmkomponisten und Game Designer neugierig macht. Inzwischen entstehen sogar komplett künstliche Künstler: Fiktionale Figuren mit KI-generierter Musik, KI-generierter Stimme und KI-generiertem Gesicht. Ein Künstler ohne Vergangenheit, ohne Tourbus, ohne Schlafmangel.

Wie KI menschliche Rollen im Musikgeschäft verändert

Wo Musik früher ein kollektiver Schaffensprozess war, übernimmt KI heute gleich mehrere Rollen gleichzeitig. Sie komponiert, arrangiert, textet und performt. Was bleibt dann noch für die Menschen? Eine neue Rolle entsteht: der Mensch als Kurator. Er sortiert aus, was die Maschine vorschlägt, trifft ästhetische Entscheidungen und sorgt für das gewisse Etwas. Klingt nach wenig, ist aber eine anspruchsvolle Aufgabe. Vor allem, wenn die KI so viel liefert.

Musiker:innen, die früher an ihren Fähigkeiten feilten, experimentieren nun mit Prompts statt mit Instrumenten. Statt Akkorde zu finden, basteln sie an treffenden Beschreibungstexten. Für viele ist das ein Segen: Endlich Songs schreiben ohne Theoriekenntnisse, endlich Ideen umsetzen ohne Tonstudio. Für andere ist es ein Albtraum, denn wenn alle auf dieselben Werkzeuge zugreifen, droht am Ende musikalische Uniformität. Die Demokratisierung der Musikproduktion hat zwei Seiten. Ja, mehr Menschen bekommen Zugang. Aber je einfacher es wird, desto schwieriger wird es, herauszustechen. In einer Flut aus perfekt produzierten KI-Songs entscheidet nicht mehr Können über Erfolg, sondern Sichtbarkeit, Marke und Marketing. Und manchmal schlicht: Glück.

Kann Software kreativ sein oder ist das nur gute Statistik?

Der Streit darüber, ob KI wirklich kreativ ist oder nur gut darin, vorhandene Muster zu mischen, ist nicht neu. Aber er wird lauter. Schließlich klingt das, was aus den Maschinen kommt, oft beeindruckend. Nur: Ist das Kreativität? Oder bloß eine clevere Illusion? Kreativität, so die klassische Vorstellung, bedeutet mehr als nur neue Kombinationen. Es geht um Absicht, Emotion, Überraschung.

KI hat davon nichts. Sie fühlt nichts, sie meint nichts, sie verfolgt keine künstlerische Idee. Was sie produziert, basiert auf Wahrscheinlichkeiten. Sie weiß nicht, warum ein Reim berührt oder warum ein Beat Gänsehaut auslöst. Und trotzdem kann das Ergebnis genau das tun. Gänsehaut erzeugen.

Vielleicht liegt darin das eigentliche Paradox: KI kann Menschen emotional bewegen, ohne selbst Emotion zu kennen. Ob das reicht, um von Kreativität zu sprechen, bleibt eine offene Frage. Aber es zwingt dazu, den Begriff selbst neu zu denken. Denn KI ist längst nicht mehr nur ChatGPT, das auf Texteingaben antwortet.

Sie schreibt Drehbücher, erstellt Produktdesigns und wird sogar im Glücksspiel eingesetzt. Etwa bei Online Slots, um Spieler vor schädlichem Verhalten zu schützen. In der Musik jedoch berührt sie einen anderen Kern: nicht Sicherheit oder Effizienz, sondern Ausdruck und Bedeutung. Und genau dort beginnt es spannend zu werden.

Wenn künstlich erzeugte Musik die Charts erobert

Der Beweis, dass KI-Musik nicht nur ein Spielzeug ist, kam schneller als gedacht. Der Song „Verknallt in einen Talahon“, produziert mit Hilfe von KI, ging viral und landete in den deutschen Charts. Plötzlich stand da ein Track ganz oben, der weder von einem bekannten Act noch von einem Menschen im klassischen Sinn geschrieben wurde.

Ähnlich experimentell, aber nicht weniger symbolisch: Projekte wie „Suno Taris“, ein fiktiver Künstler, bei dem Musik, Text, Stil und Image komplett von KI erzeugt wurden. Alles daran ist künstlich. Und doch: Der Sound stimmt, das Cover sieht gut aus, die Texte wirken, jedenfalls so lange man nicht zu sehr darüber nachdenkt, woher sie eigentlich kommen.

Diese Beispiele zeigen, dass KI-Musik längst nicht mehr nur in Nischen oder auf Tech-Konferenzen funktioniert. Sie ist im Mainstream angekommen. Ob das gut ist, lässt sich diskutieren. Dass es passiert, lässt sich nicht mehr ignorieren.

Wem gehört ein Lied, das niemand geschrieben hat?

Mit dem kreativen Aufschwung der KI kommt die rechtliche Schieflage. Denn wenn ein Song nicht von einem Menschen stammt, stellt sich die Frage: Wem gehört er eigentlich? Juristisch ist das noch weitgehend ungeklärt. In vielen Ländern dürfen nur Werke mit menschlichem Urheberrechtsschutz genießen. Das macht die Sache kompliziert, vor allem für Labels, Streamingdienste und Verwertungsgesellschaften, die Einnahmen verwalten wollen.

Besonders heikel wird es bei KI-Stimmen. Was passiert, wenn die Stimme einem echten Künstler täuschend ähnlich klingt? In den USA wurde mit dem sogenannten „Elvis Act“ ein Gesetz erlassen, das genau das verbieten soll. Es schützt Künstler davor, dass ihre Stimme oder ihr Abbild ohne Erlaubnis durch KI genutzt werden. Ein notwendiger Schritt – und sicher nicht der letzte.

Kollaboration oder Konkurrenz

Zwischen Ablehnung und Begeisterung schwankt aktuell die Branche. Manche Labels experimentieren selbst mit KI, andere warnen vor Ausverkauf der Kunst. Künstlerinnen und Künstler zeigen sich gespalten: Einige nutzen KI als kreatives Werkzeug, andere sehen ihre Identität in Gefahr.

Verwertungsgesellschaften fordern inzwischen eine Kennzeichnungspflicht für KI-Musik. Streamingdienste sollen anzeigen, wenn ein Song nicht von Menschen stammt. Parallel dazu werden Lizenzmodelle diskutiert, die den rechtlichen Graubereich auffangen sollen. Im Indie-Bereich wird KI oft als Chance gesehen. Endlich kann auch ohne Budget produziert werden, endlich haben Stimmen Gehör, die früher überhört wurden. Gleichzeitig wächst der Unmut, wenn KI-Modelle mit urheberrechtlich geschütztem Material trainiert werden. Ohne Einverständnis, ohne Vergütung. Ein Minenfeld, durch das sich derzeit alle Beteiligten tasten.

Das kulturelle Erdbeben

Musik ist mehr als nur Klang. Sie ist Ausdruck, Identifikation und Geschichte. Wenn dieser Ausdruck von Maschinen kommt, verändert sich auch das Verhältnis zu Kunst. Was bedeutet ein Song noch, wenn er nicht aus Erfahrung, Schmerz oder Liebe entstanden ist, sondern aus Wahrscheinlichkeiten?

Die Gefahr liegt weniger in der Technik als im Verlust des Persönlichen. KI-Songs können berühren, aber sie erzählen keine Lebensgeschichte. Sie spiegeln keine Biografien, sie tragen kein Herzklopfen, keinen Kater, keine Kindheit mit sich. Was bleibt, ist ein gut gemachtes Produkt, aber keine Erinnerung, keine Botschaft, keine Wunde. Gleichzeitig eröffnet sich auch eine neue Perspektive. Vielleicht wird Musik dadurch zugänglicher, vielfältiger und internationaler. Vielleicht entsteht eine neue Form der Kunst, in der Mensch und Maschine gemeinsam arbeiten. Entscheidend wird sein, wie bewusst damit umgegangen wird.