Jean-Pierre Jeunet: „Filmemachen ist ein Mix aus Poesie und Technik“

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Jean-Pierre Jeunet: „Filmemachen ist ein Mix aus Poesie und Technik“

Mit "Die Karte meiner Träume" entführt der Regisseur Jean-Pierre Jeunet die Kinozuschauer erneut in eine fabelhafte Welt. spot on news hat mit dem Franzosen über sein neues Projekt gesprochen, über die Zusammenarbeit mit Helena Bonham Carter und warum er "Life of Pi" nicht drehen konnte.

Jean-Pierre Jeunet (60, „Micmacs“) entführt in „Die Karte meiner Träume“ den Kinozuschauer in die dramatische Landschaft von Montana und zu der verschrobenen Familie Spivet. Gewohnt liebevoll inszeniert er ein fantastisches Seh-Spektakel, mit einer Geschichte, die gleichzeitig herzerwärmend und herzzerreißend ist. Die Nachrichtenagentur spot on news hat den Regisseur beim Filmfest in München vor kurzem getroffen und sprach mit ihm über sein neuestes Projekt.

Herr Jeunet, was hat sie daran gereizt „Die Karte meiner Träume“ zu verfilmen? Was ist so besonders an dem Projekt?

Jeunet: Die Möglichkeit in 3D zu drehen, die tolle Szenerie, aber vor allem die emotionale Geschichte. Ich habe geweint, als ich die Szene gelesen habe, in der T.S. die Rede vor den Wissenschaftlern hält. Ich liebe die Mischung in der Geschichte zwischen Wissenschaft und Poesie. Es gibt da eine bestimmte Szene in der T.S. im Zug ist und über die Sonne redet. Die ist nicht aus dem Buch, ich habe die Idee einem kanadischen Wissenschaftler gestohlen. Er sagte, dass man die Sonne mit Wissenschaft oder Poesie beschreiben kann, und genau das ist auch mein Job. Filmemachen ist immer ein Mix zwischen Technik und Poesie.

Im Film warnt T.S.‘ Mutter ihn vor Mittelmäßigkeit, würden Sie das auch ihren Kindern raten?

Jeunet: Ja, wenn ich welche hätte. Ich bin ein Perfektionist. Und ich mag es, wenn die Dinge gut und sorgfältig gemacht werden. Dafür habe ich schon viele Preise gewonnen. In Frankreich regen sie sich zwar nur über meine Ästhetik auf und jede Kritik konzentriert sich darauf, aber in den USA zum Beispiel lieben sie genau das an meinen Filmen. Das ist schon verrückt.

Wie war es, mit Helena Bonham Carter zu arbeiten?

Jeunet: Sie ist so herrlich unkompliziert. Immer wenn ich einen blöden Witz machte, hat sie lauthals darüber gelacht. Ich habe sie damals beim Dreh von „Fight Club“ getroffen. Sie kam auf mich zu und sagte auf Französisch: „Wann und wo Sie wollen.“ Als ich dann das Buch zu „Die Karte meiner Träume“ las, musste ich sofort an sie denken. Ich schickte ihr das Skript und sie antwortete nur: „Ich liebe es.“ Ich hätte sie auch gerne für meinen nächsten Film. Sie kann so schön exzentrisch sein, wie in den Tim-Burton-Filmen. Ich muss mir einfach etwas für sie ausdenken.

Schon eine Idee, was?

Jeunet: Es ist noch zu früh um darüber zu sprechen, aber auf jeden Fall irgendetwas mit künstlicher Intelligenz und in der Zukunft. Aber es muss billiger sein. „Die Karte meiner Träume“ hat 25 Millionen Euro gekostet, das ist zu viel.

Apropos Budget – das hat Sie die Regie von „Life of Pi“ gekostet, stimmt das?

Jeunet: Ja, der Film sollte nicht mehr als 60 Millionen Dollar kosten und mein Budget lag bei 85 Millionen. Wir haben aber dann sogar angefangen, nach Locations in Europa und Indien zu suchen und ich hatte schon das gesamte Storyboard gemacht. Das waren vier Monate Arbeit. Meine Adaption wäre eine echte Adaption gewesen und kein Copy-Paste des Buches, wie die Ang-Lee-Version. Auch der Autor Yann Martel liebte unsere Adaption. Aber es war einfach nichts zu machen.

Bereuen Sie, dass Sie den Film nicht machen konnten?

Jeunet: Nein, ich habe aufgegeben. Ich hätte mein ganzes Leben gebraucht für diesen Film, so wie es damals geplant war. Ich sagte: „Wartet noch drei Jahre, dann können wir den Tiger in CGI machen.“ Man konnte damals noch nicht die Haare animieren. Ich habe dann „Micmac“ gedreht und als ich wiederkam, haben sie das Projekt an Ang Lee gegeben. Sein Film kostete allerdings 150 Millionen Dollar.

Sie wurden auch mal gefragt, ob Sie einen „Harry Potter“-Film übernehmen wollen. Warum haben Sie abgelehnt?

Jeunet: Damals war ich gerade fertig mit einem sehr langen Projekt und ich war einfach ausgelaugt. Ich hätte gleich in der nächsten Woche anfangen sollen. Ich dachte schon darüber nach. Alles war schon da: Die Schauspieler, das Produkt-Design, die Kostüme, ich hätte nur noch shooten müssen. Aber dann dachte ich, „das ist doch langweilig“. Stattdessen hab ich dann zwei Jahre an „Life of Pi“ verloren, aber das weiß man vorher eben nie. Zuletzt fragten sie mich, ob ich „Die Schöne und das Biest“ übernehmen würde, dabei lief das vor drei Monaten in Frankreich im Kino. Ich nenne das das „Mona-Lisa Syndrom“, jeder geht in den Louvre weil er die Mona Lisa sehen will, weil sie berühmt ist. So ist es auch mit den Filmen. Ich will aber lieber meine eigenen Geschichten verfilmen.