„Interstellar“: Hinterm Saturn gleich links

Magazin

„Interstellar“: Hinterm Saturn gleich links

Hollywoods Chef-Philosoph Christopher Nolan sprengt mit seinem neuesten Film jeden inhaltlichen und zeitlichen Rahmen. "Interstellar" ist eine ebenso beeindruckende wie schwer zu fassende Space-Opera, die kaum in Worte zu fassen ist.

Das Weltall ist nicht genug. Zumindest nicht für Christopher Nolan (44). Der Regisseur der neuesten „Batman“-Trilogie überwand in seinem genial-komplexen Science-Fiction-Thriller „Inception“ sämtliche Grenzen des menschlichen Geistes. Drehte sich darin alles noch um das Unterbewusstsein, den inneren Kern des Menschen, wagt Nolan nun die größtmögliche Expansion: „Interstellar“ führt die Zuschauer über die Grenzen des Sonnensystems in eine andere Galaxie. Dass die Reise gegen Ende hin ein bisschen aus der Bahn gerät und sich nicht jeder Handlungsstrang stimmig in das Gesamtbild fügt, lässt sich angesichts der Opulenz und Wucht des Films verschmerzen.

Die Grundannahme ist nachvollziehbar: Irgendwann in der Zukunft geht es mit unserem Planeten zu Ende. Die Menschen haben die Erde ausgebeutet, außer Mais lässt sich nichts mehr anbauen und heftige Sandstürme machen das Leben zunehmend beschwerlich. Höchste Zeit, sich nach neuem Lebensraum umzusehen. Leichter gesagt als getan: Im Angesicht der Apokalypse hat sich die Menschheit vom ständigen Fortschritts- und Entdeckerdrang gelöst. Es herrscht eine wissenschaftsfeindliche Stimmung. Der Versorgungsnotstand führt dazu, dass Heranwachsende eher zu Landwirten denn zu Ingenieuren oder Forschern ausgebildet werden. Die Mondlandung wird aus den Schulbüchern verbannt und als Fälschung abgetan. Die Menschen sollen sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren.

Im Geheimen wagt die mittlerweile im Untergrund operierende NASA einen letzten Versuch, die Menschheit zu retten, indem sie nach neuen bewohnbaren Planeten jenseits unserer Galaxie sucht. Möglich wird die Reise in die unendlichen Weiten durch ein Wurmloch, das plötzlich in der Nähe des Saturns auftaucht. Der Farmer, Ingenieur und Ex-Astronaut Cooper (Matthew McConaughey) entpuppt sich als der ideale Kopf, um die finale Rettungsmission anzuführen. Das Problem: Er muss dafür seine beiden Kinder auf der Erde zurücklassen.

Wenn man es kurz machen möchte, könnte man festhalten: „Interstellar“ ist „Inception“ im Weltall. Nicht nur der Titel weist eine gewisse Ähnlichkeit auf, sondern auch die beiden Hauptprotagonisten: Während Cobb (Leonardo DiCaprio) in „Inception“ durch Traumebenen sprang, um am Ende bei seinen Kindern zu sein, muss Copper (McConaughey), genannt Coop, in „Interstellar“ durch verschiedene Galaxien und Zeiten reisen, um seinen Nachwuchs zusammen mit dem Rest der Menschheit vor dem Untergang zu bewahren. Beide Filme sind in sich extrem verschachtelt und komplex, wirklich nachvollziehbar ist vieles von dem, was sich auf der Leinwand abspielt, allenfalls im Nachhinein. Und selbst dann bleiben Fragen offen.

Man kann sich über weite Strecken der fast dreistündigen Odyssee gut unterhalten fühlen, ohne mit dem Namen Kip Thorne etwas anfangen zu können. Es schadet allerdings auch nichts, kurz einen oberflächlichen Blick auf die Beiträge des Professors der theoretischen Physik zu werfen. Thorne ist der wissenschaftliche Beistand hinter „Interstellar“. In seinem Buch „Gekrümmter Raum und verbogene Zeit“ aus dem Jahr 1999 beschreibt er unter anderem eine fiktive Reise ins Zentrum eines schwarzen Lochs.

Relativitäts- und Gravitationstheorie, Krümmung der Raumzeit, verschiedene Auswirkungen von Zeitdehnung und Zeitraffung, der Mensch als Gott – das klingt alles wunderbar kompliziert und ambitioniert, letztendlich verstecken sich aber auch einige Nebelkerzen hinter den philosophischen Fragen. Nolan spielt mit diesem Stoff und biegt ihn sich so zurecht, wie es ihm für seine Dramaturgie passt.

Auf einer der potentiellen Ersatz-Planeten, die Cooper und seine Crew (unter anderem Anne Hathaway) besuchen, vergehen in einer Stunde sieben Erden-Jahre. Wegen eines tragischen Unfalls müssen die Astronauten dort drei Stunden ausharren – und später in kurzen Videobotschaften mit ansehen, wie ihre Angehörigen auf der Erde um 21 Jahre gealtert sind. „Interstellar“ ist vollgespickt mit solchen stilistisch wunderbar in Szene gesetzten Ideen.

Die Bilder wurden diesmal übrigens nicht von Stamm-Kameramann Wally Pfister eingefangen, der mit seinem Regie-Debüt „Transcendence“ beschäftigt war, sondern von Hoyte Van Hoytema („Her“). Alleine für seine optische Imposanz lohnt es sich, „Interstellar“ anzusehen. Anders als das oscar-prämierte Werk „Gravity“ von Alfonso Cuarón, in dem die alles verschluckende Stille im Weltraum das Gesehene verstärkte, ist „Interstellar“ aber eher eine Space-Opera, bei der im Hintergrund der Bombast-Soundtrack eines Hans Zimmer aus den Lautsprechern dröhnt.

Die Komplexität und Poesie des Films in Ehren – aber ganz nüchtern betrachtet hätte man den Stoff auch in zwei Stunden erzählen können, ohne dass er deswegen weniger beeindruckend gewesen wäre. Im ersten Drittel wird Coops Beziehung zu seiner Familie ausführlichst breitgetreten. Dabei ist nur sein spezielles Verhältnis zu Tochter Murphy (Mackenzie Foy) für die weitere Handlung entscheidend. Warum man ihm auch noch einen Sohn, der von seinem Vater seltsam gleichgültig behandelt wird, ins Drehbuch geschrieben hat und diesem im Finale auch noch einen Auftritt spendiert, bleibt Nolans Geheimnis. Überhaupt zieht sich der Film gegen Ende in die Länge, da man die entscheidenden Szenen bereits zuvor gesehen hat – nur aus einer anderen Perspektive.

Richtig befriedigend kann Nolan seine Geschichte dann leider auch nicht auflösen. Von einer Enttäuschung zu sprechen, wäre übertrieben, trotzdem ist ihm das bei „Inception“ deutlich besser und stimmiger gelungen. Dagegen wirkt das Ende hier seltsam sentimental und rührselig.

Fazit

Man kann „Interstellar“ überladen und langatmig finden, sich an physikalischen und philosophischen Fragen abarbeiten – und dann zu dem Schluss kommen, dass Nolan hier inhaltlich ohne Maß und Ziel durch die unendlichen Weiten irrt. Oder man akzeptiert die Gesetzmäßigkeiten des Weltraum-Labyrinths und verliert sich bereitwillig und mit Genuss in eben dieser Maß- und Ziellosigkeit. Worüber es keine zwei Meinungen geben kann: „Interstellar“ ist durch und durch beeindruckend inszeniertes Science-Fiction-Kino fern von jedweder Beliebigkeit. Dafür gebührt Nolan und seinem Team großer Respekt.