„Hirngespinster“-Regisseur: „Tobias Moretti war ein echter Glücksfall“

Magazin

„Hirngespinster“-Regisseur: „Tobias Moretti war ein echter Glücksfall“

Am Donnerstag startet "Hirngespinster" mit Tobias Moretti in den Kinos. Regisseur und Drehbuchautor Christian Bach erklärt im Interview wie er den Star für sein Debüt begeistern konnte und ob die Geschichte über einen schizophrenen Familienvater übertrieben ist.

Ein wenig erinnert die Geschichte des bereits preisgekrönten Kinofilms „Hirngespinster“ (Kinostart: 9. Oktober) von Regisseur und Drehbuchautor Christian Bach (37) an die des Überraschungserfolges „Das Leben der Anderen“ (2006) von Florian Henckel von Donnersmarck (41). Auch diesem Regiedebüt ging die jahrelange Einarbeitung in ein Herzensthema voraus. Und wie im DDR-Drama des Kölners hat auch der Wahl-Münchner Bach auf die perfekte Besetzung gesetzt. Eine dritte Parallele: Die Themen beider Filme sind von großer gesellschaftlicher Relevanz. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt der Absolvent der Filmhochschule München, wie es zur Zusammenarbeit mit Tobias Moretti gekommen ist und warum „Hirngespinster“ alles andere als übertrieben ist.

In Ihrem Film „Hirngespinster“ führen Sie sehr klar und strukturiert durch ein so schwer fassbares Thema. Kann man daraus schließen, dass Sie nicht persönlich betroffen sind?

Christian Bach: Das stimmt. Es ist keine autobiografische Geschichte. Als direkt Betroffener hätte mir wahrscheinlich die nötige Distanz gefehlt. Dann hätte ich den Film vielleicht erst in 30 Jahren machen können. Inspiriert ist der Film von der wahren Familiengeschichte eines guten Jugendfreundes von mir. Davon habe ich mich dann aber wieder entfernt und nach umfassenden Recherchen vieles weg und dazu gedichtet – aus dramaturgischen Gründen, aber auch aus Diskretion der betroffenen Familie gegenüber. Der Wahrheitsgehalt ist aber der gleiche geblieben, ich wollte die Geschichte ja auch möglichst ehrlich erzählen.

An manchen Stellen könnte man dennoch denken, der Film ist etwas übertrieben. Wie sehr haben Sie übertrieben?

Bach: Der Witz an der Sache ist, dass ich die Wirklichkeit sogar noch entschärft habe. Wenn wir die Geschichte eins zu eins erzählt hätten, hätte jeder Zuschauer, der mit dem Thema noch nicht in Berührung gekommen ist, den Film als total übertrieben empfunden. Die Exzessivität einiger Ausbrüche ist zwar stark dargestellt, in der Realität kann das aber noch viel heftiger sein. Eher untertrieben ist „Hirngespinster“ auch, weil ich einen Film machen wollte, nach dem man sich trotz der schweren Thematik nicht entkräftet aus dem Kino schleppen muss.

Tobias Moretti und Jonas Nay spielen die Hauptrollen in „Hirngespinster“. Beide haben schon fast jeden Filmpreis abgeräumt. Wie konnten Sie die Schauspieler für Ihr Spielfilm-Debüt begeistern?

Bach: Bei Jonas Nay lief das über einen ganz normalen Casting-Prozess. Mit Tobias Moretti habe ich mich ein paar Mal getroffen. Gerade bei seiner Rolle musste ich natürlich vollkommen sicher sein, dass er es wirklich will. Er ist unheimlich weit gegangen und hat enorm viel Mut und Hingabe bewiesen, indem er sich auch von einer Seite gezeigt hat, die nicht so schmeichelhaft ist. Tobias war wie Jonas ein echter Glücksfall für den Film.

Im Film fallen Begriffe wie „Psycho“ oder „Schizo“. Warum?

Bach: Diese Worte werden nicht diffamierend benutzt, sondern aus einem Gefühlsausbruch heraus. Außerdem spiegeln sie die Außenwahrnehmung. Bei solchen Familien wissen die Außenstehenden ja nicht wirklich, was los ist und dass ein pathologisches Krankheitsbild dahintersteckt. Sie wissen nur, dass manchmal komische Dinge passieren. Es gibt sehr viel gefährliches Halbwissen über diese Krankheiten. Geredet und gemunkelt wird aber natürlich trotzdem – unter anderem eben mit solchen Begriffen.

Sie haben sich viel mit diesen psychischen Krankheiten beschäftigt. Haben diese dadurch ihren Schrecken für Sie verloren?

Bach: Ich kann das Gruseln und Unbehagen, das diese Krankheiten auslösen, schon verstehen. Denn wenn ein Mensch in eine Psychose gerät, ist es tatsächlich beängstigend, unberechenbar und quälend anzusehen. Im Film verharmlosen wir das auch nicht. Mir ist aber wichtig, die Krankheit und die Betroffenen nicht zu stigmatisieren, weil es auch viele psychisch Kranke gibt, die mit Medikamenten sehr wohl gesellschaftskompatibel sind. Außerdem ist der Schizophrene ja nicht dauernd schizophren. Es gibt immer auch Phasen, in denen er ganz unauffällig ist. Medikamente setzen allerdings die Krankheitseinsicht voraus.

Was sagen Betroffenenverbände und Selbsthilfegruppen zu Ihrem Film?

Bach: Während meiner Recherchen im Vorfeld gab es seitens der Betroffenenverbände und Selbsthilfegruppen die Sorge, dass in dem Film wieder nur die Klischees à la „Der psychisch Kranke als gefährlicher Axt-Mörder“ bedient werden. De facto und von den Prozentsätzen her ist aber die Gefahr, die von psychisch Kranken für die Bevölkerung ausgeht, wesentlich geringer als jene von „normalen“ Menschen. Das darf man nicht vergessen.

Der Film ist nicht nur eine Krankheitsgeschichte…

Bach: Das stimmt, mindestens genauso wichtig ist die universelle Familiengeschichte. Das Thema Krankheit ist bei den eigentlichen emotionalen Konflikten austauschbar: Wie gehe ich mit der Familie um, aus der ich komme? Wie viel habe ich von meinen Eltern geerbt? Darf ich einfach gehen, wenn es Zuhause Probleme gibt? – Diese Fragen stellen sich viele junge Menschen.

Und was denken Sie: Darf ich gehen?

Bach: Das ist ein Dilemma, auf das es keine richtige Antwort gibt. Ich persönlich denke, man muss nicht gehen, aber man darf es, weil jeder ein Recht auf sein eigenes Leben hat.

Welche Rolle spielen die Eltern dabei?

Bach: Ich denke, dass sie nicht nur die Pflicht haben, ihre Kinder irgendwann gehen zu lassen. Sie sollten diese sogar dazu ermutigen. Außerdem finde ich nicht, dass Kinder die Entscheidungen ihrer Eltern mittragen müssen. Der Vorwurf im Film, warum die Mutter mit einem solchen Menschen Kinder in die Welt setzt, ist natürlich heftig, aber auch ein berechtigter Gedanke. Dass die Mutter diese Entscheidung getroffen hat, ist vollkommen in Ordnung. Es sollte die Kinder aber nicht dazu zwingen, dieses Leben dauerhaft zu teilen.

Psychische Probleme kann man auch durch zu viel Stress entwickeln. Wie schaffen Sie als Filmemacher Ausgleich?

Bach: Einerseits ist es Gewöhnungssache, andererseits habe ich eine gewisse Stressbewältigungsstrategie wohl von Natur aus in mir. Als Filmemacher wäre ich sonst wohl auch aufgeschmissen, weil dieser Beruf einfach stressig ist. Wenn man da anfällig ist, wird man es wohl nicht lange damit aushalten. Grundsätzlich ist es aber sicher hilfreich, wenn man klar bei der Sache bleibt, mit der man sich gerade beschäftigt.