„Hercules“: Coming-of-Age eines Göttersöhnchens

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„Hercules“: Coming-of-Age eines Göttersöhnchens

In brenzligen Lagen kann es von Vorteil sein, mit Halbgott Hercules verwandt zu sein. Dumm nur, wenn dieser als Mörder seiner eigenen Familie gesucht wird, sich als Söldner durchs Leben schlägt, und überhaupt wenig heldenhaft ist. Aber Dwayne Johnson wäre nicht "The Rock" wäre nicht "Hercules", wenn er sich am Ende nicht doch als Retter herausstellen würde.

Superhelden sind im Trend. Tatsächlich scheint Hollywood derzeit äußerst erpicht darauf, jede Figur der Comic-Geschichte auf Leinwand zu bannen, von Bat- und Ant- bis hin zu – Gott bewahre – Aquaman. Aber warum sich der eher unbekannten Comicfiguren bedienen, wenn doch schon die Antike schlagkräftige Heldensagen hervorbrachte? Das dachte sich wohl auch Regisseur Brett Ratner (45, „Roter Drache“), schnappte sich die Graphic Novel „Hercules: The Thracian Wars“, und machte daraus einen unerwartet witzigen Film über einen Halbgott, der erst noch in seine großen Fußstapfen wachsen muss.

Der Mann, der Mythos

In einer stürmischen Nacht gebar die sterbliche Frau Alcmene Gottheit Zeus einen Sohn. Göttin Hera, die Gemahlin von Zeus, war darüber alles andere als erfreut und entsandte zwei Schlangen, um den Säugling in seiner Wiege zu töten. Doch am nächsten Morgen fand Alcmene ihren Sohn quicklebendig, in seinen Händen die erdrosselten Reptilien. Später stellte sich Hercules (Dwayne Johnson, 42) denn berühmten zwölf Prüfungen: Dabei erschlug er unter anderem die mehrköpfige Hydra, erlegte den erymanthischen Eber, und bezwang den unbesiegbaren nemeischen Löwen. Wer würde sich freiwillig mit solch einem Helden anlegen wollen?

Den nemeischen Löwen soll Hercules mit den bloßen Händen bezwungen haben

Die Geschichte über die Heldentaten von Hercules sind zu Beginn des Films genau das: Geschichten. Iolaus (Reece Ritchie, 28), Hercules‘ Neffe, befindet sich in einer äußerst prekären Situation. Am Seil über einen Holzspieß baumelnd, versucht er mit seinen Märchen alles, um seine Peiniger vom göttlichen Ursprung seines Onkels zu überzeugen – mit wenig Erfolg. Erst kurz bevor ihm ein unschönes Ende droht, kommt Hercules zur Rettung und scheint, seinem Namen tatsächlich alle Ehre zu machen.

„With a little help from my friends“

Doch das Leben als vermeintlicher Halbgott ist nicht so sorgenfrei, wie man meinen könnte. Aus der Heimat wegen des kaltblütigen Mordes an der eigenen Familie vertrieben, ist Hercules nicht mehr als ein gemeiner Söldner. Für seinen Lebensunterhalt geht er im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen und ist dabei wenig heldenhaft: Die Sage über seinen göttlichen Vater ist nur ein Mittel, um den Gegnern Angst einzujagen. So versteckt sich „Göttersöhnchen“ Hercules hinter dem eigenen Mythos. Und wenn es doch zum Kampf kommt, machen seine schlachterprobten Recken im Hintergrund die Drecksarbeit für ihn. Erst als der verzweifelte König Cotys (John Hurt, 74, „Alien“) seine Hilfe und die seiner Gefolgsleute anfordert, um gegen den teuflischen Centauer Rhesus anzutreten, wird seine Herkunft ernsthaft auf die Probe gestellt.

Wahrsager Amphiaraus (Ian McShane) weiß angeblich, wann seine Stunde geschlagen hat

Die Antike im frischen Gewand

Im Vorfeld konnte bei „Hercules“ nicht damit gerechnet werden, etwas wirklich Neues zu erleben. Ein Disney-Film zur Heldensage gab es bereits, eine Fernsehserie ebenfalls – ja selbst im Big Apple trieb er in „Hercules in New York“ schon sein Unwesen und läutete Arnold Schwarzeneggers (67) Hollywood-Karriere ein. Was könnte „The Rock“ der antiken Figur geben, was man noch nicht gefühlt einhundert Mal gesehen hat? Wie es der Zufall so will, eine ganze Menge.

Für König Eurystheus (Joseph Fiennes) ist Hercules nur ein gemeiner Mörder

Johnsons „Hercules“ vereint in sich die perfekte Mischung aus Tragik und Humor. Wie auch immer der Hüne es macht: Trotz seiner Muskelberge wirkt er als Sohn von Zeus stets liebenswert und sympathisch. Ein Held eben, mit dem man nach getaner Meuchel-Arbeit gerne in der hiesigen Taverne auf den Sieg anstößt. Gleich verhält es sich mit seinen Gefährten: Ian McShane (71, „Deadwood“) als leicht lebensmüder Wahrsager Amphiaraus hat im Film stets einen zynischen Spruch auf den Lippen, auch der pragmatische Autolycus (Rufus Sewell, 46) sorgt für Lacher. Überhaupt wächst einem die gesamte Heldentruppe um Hercules quasi nach den ersten Minuten ans Herz, auch ohne ellenlang die Hintergrundgeschichte eines Jeden ausgebreitet zu bekommen. Umso mehr bangt man in der Folge um ihr Wohlbefinden – auch wenn Amphiaraus seinen eigenen Tod eigentlich schon vorausgesehen hat.

Gott oder Hochstapler, Freund oder Feind?

Held tötet Ungeheuer und rettet die Welt. Wer eine vergleichbar simple Story erwartet, ist bei „Hercules“ aber auf dem Holzweg. Tatsächlich entpuppt sich der Film als wesentlich vielschichtiger, als von Trailern vermutet werden kann. Regelrecht irreführend erweisen sich die Vorschauen sogar, denn in der eigentlichen Erzählung des Streifens tauchen gar keine Fabelwesen auf: Der nemeische Löwe war eine ganz normale Raubkatze, die Hydra lediglich mehrere Menschen in einem Kostüm. Auch der Höllenhund Cerberus, den Hercules in der Sage als letzte seiner zwölf Prüfungen bändigen muss, taucht im Film nur metaphorisch auf. Als Hercules‘ Gewissen nämlich, dem er sich nach dem Tod seiner Familie stellen muss und am Ende ebenfalls für eine clevere Wendung sorgt.

Auch hinter den Kulissen hatte Dwayne Johnson sichtlich Spaß bei den Dreharbeiten

Gibt es also gar keine Kritikpunkte an Ratners Helden-Epos? Wenn man partout etwas vorwerfen will, dann dass die 3D-Effekte wieder einmal nur Mittel zum Zweck sind, um Gegenstände mehr schlecht als recht dem Zuschauer unter die Nase zu halten. Bei den streckenweise wunderschön inszenierten Schlachten verliert man wegen ihnen sogar ab und an den Überblick, zu verwaschen ist dabei die Action. Auch ist dem Zuschauer eigentlich von Beginn an klar, dass der durch und durch herzensgute Hercules nie und nimmer am Tod seiner Frau und seines Kindes verantwortlich sein kann.

Fazit

Ratner erzählt in seiner Heldensaga eine unerwartet tiefgründige Geschichte über einen charmanten Hochstapler, der von seinem selbst erfundenen Mythos eingeholt wird. Der Plot beinhaltet einige interessante Wendungen, von denen jedoch nicht alle überraschen können. Dennoch bietet „Hercules“ – nicht zuletzt dank seines sympathischen Hauptdarstellers „The Rock“ – in den knapp 100 Minuten Laufzeit reichlich Spannung und Unterhaltung, Tragik und Humor.