„Her“: Überwindet Liebe alle Grenzen?

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„Her“: Überwindet Liebe alle Grenzen?

Seit heute kann auch in deutschen Kinos Spike Jonzes Oscar-ausgezeichneter Film "Her" gesehen werden. Während die Liebesgeschichte zwischen Joaquin Phoenix und seinem Betriebsystem Samantha vor allem in der ersten Hälfte zu überzeugen weiß, geht dem Streifen im zweiten Teil jedoch etwas die Luft aus.

Eines ist klar: Mit seinem neuen Film „Her“ ist Regisseur Spike Jonze (44, „Being John Malkovich“) bereits jetzt die ungewöhnlichste Liebesgeschichte des Jahres gelungen. In einer nicht allzu entfernten Zukunft verliebt sich Joaquin Phoenix (39, „Walk The Line“) darin schließlich in ein Betriebssystem und führt quasi eine Beziehung mit seinem Smartphone – zugegebenermaßen gesprochen von Scarlett Johansson (29, „Lost In Translation“). Mit „Her“ macht Jonze viele Dinge richtig, einen entscheidenden Punkt jedoch falsch: Gerade aufgrund des rasanten Starts geht dem Film ab der Hälfte der knapp zwei Stunden Laufzeit etwas die Puste aus.

Theodore Twombly ist einsam. Seit der Trennung und der bevorstehenden Scheidung von seiner Jugendliebe Catherine zieht sich der ohnehin schüchterne Mann immer mehr zurück, geht sozialen Kontakten so gut es geht aus dem Weg. Nur in seinem Beruf blüht er auf: Theodores Aufgabe ist es, rührende Liebesbriefe für Menschen zu schreiben, denen es selbst schwer fällt, den Liebsten ihre Gefühle verständlich zu machen. Nur für sich hat er niemanden, dem er seine romantische Seite zeigen kann. Er beschließt daher, sich die künstliche Intelligenz Samantha auf den heimischen Rechner zu installieren, um zumindest etwas Gesellschaft in seinem tristen Leben zu haben.

Gleich bei der ersten Unterhaltung wird klar, dass Samantha mehr als nur ein Programm zu sein scheint. Sie bringt Theodore zum Lachen, wird mehr und mehr zu seiner Vertrauten und lässt ihn jeden Kummer über seine gescheiterte Ehe vergessen. Via Kamera seines Telefons lässt er sie wiederum an seiner Welt teilhaben, geht mit ihr spazieren und führt sie sogar aus. Schnell werden die Unterhaltungen zwischen den beiden privater und es kommt wie es kommen musste: Theodore verliebt sich in die Software – und sie sich in ihn.

Ist Liebe wirklich grenzenlos? Führt die technische Evolution irgendwann zu Empathie-fähigen, künstlichen Intelligenzen? Mit „Her“ geht Spike Jonze diesen philosophischen Fragen auf den Grund. Die schauspielerische Leistung von Joaquin Phoenix als introvertierter Außenseiter ist dabei herzzerreißend. Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich bei „Her“ im Grunde um ein Monodrama, eine Soloperformance. Ohne physisch anwesenden Gegenpart hat das Publikum nur Phoenix als visuellen Ankerpunkt – und diese Aufgabe trägt der Schauspieler sehr souverän auf seinen Schultern. Auch Scarlett Johansson macht als künstliche Intelligent Samantha eine – sinnbildlich gesprochen – gute Figur. Nur mit ihrer Stimme vermittelt sie tatsächlich den Eindruck eines Computerprogramms mit echten Gefühlen und einem Herz aus Gold.

Auch optisch weiß „Her“ zu überzeugen. Die Kinematografie des Streifens erfasst die melancholische Stimmung der Handlung perfekt. Ein ums andere Mal kann Jonze nur mit der gewählten Kameraeinstellung die Gefühlswelt der Hauptfigur einfangen und dem Zuschauer vermitteln. Seine optische Vision der nicht allzu weit entfernten Zukunft ist ebenfalls sehr interessant. Modisch feiern in „Her“ die 50er Jahre ihr großes Comeback, während sich das Stadtbild nur in Nuancen verändert zu haben scheint.

Nach diesen positiven Aspekten muss aber auch das Negative angesprochen werden. Hauptproblem des Streifens ist das Pacing, also die Geschwindigkeit, mit der sich die Handlung entfaltet. Im allerersten Moment der Aktivierung des „Operating Systems“ ist Samantha schon derart nah an einer echten Person, dass dem Film dadurch eine spannende Möglichkeit verloren geht, die Menschwerdung der künstlichen Intelligenz eingehender zu betrachten. Als Folge davon scheint der – in doppelter Hinsicht – Höhepunkt des Films schon nach knapp einer dreiviertel Stunde erreicht: Theodore und Samantha haben Sex miteinander und das Computerprogramm erlebt den ersten Cyber-Orgasmus der Filmgeschichte. Das ist zwar beispiellos und interessant, nur leider eben viel zu früh im Film verbraten.

Auch die Unterhaltungen des ungewöhnlichen Liebespaares verlieren viel ihres Potenzials dadurch, dass Samantha von Beginn an zu sehr wie ein Mensch klingt. So wirken sie schnell wie ein einfaches Telefongespräch zweier Menschen in einer Fernbeziehung, anstatt der ungewöhnlichen Natur des Verhältnisses der beiden Nachdruck zu verleihen. Eben weil der Film aber hauptsächlich aus den Konversationen von Theodore und Samantha besteht, schöpft Jonze hier nicht die volle Bandbreite der erzählerischen Möglichkeiten aus.

Das merkt man sehr stark am zweiten Teil von „Her“. Zwar gelingt es Jonze, mit der kriselnden Beziehung zwischen Theodore und Samantha eine neue Wendung einzubringen und er beantwortet damit auch schön die Frage, ob es wirklich jemals eine Alternative zu zwischenmenschlichen Beziehungen geben kann. Dennoch hat der Film in Hälfte zwei arge Längen und ist zudem doch recht vorhersehbar. Vielleicht wäre der Stoff besser in einem Kurzfilm aufgehoben gewesen, sicher ist aber: Zwei Stunden Laufzeit waren doch etwas zu viel.

„Her“ ist ein zweischneidiges Schwert. Er ist optisch und schauspielerisch überzeugend und fesselt vor allem in seiner ersten Hälfte. Danach kommt man als Zuschauer aber nicht um den Gedanken herum, dass wesentlich mehr mit der vielversprechenden Prämisse möglich gewesen wäre. Dennoch ist es Jonzes in vielen Momenten rührendes und Oscar-prämiertes Liebesdrama allemal wert, gesehen zu werden.