Heiner Lauterbach: „Ich war mein Leben lang von Spießern umgeben“

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Heiner Lauterbach: „Ich war mein Leben lang von Spießern umgeben“

Eine ehemalige Studenten-WG tut sich nach Jahrzehnten wieder zusammen. Mit ihrer nostalgischen Feierwut treten sie allerdings ihren jungen Nachbarn ganz schön auf den Schlips, denn die haben schließlich Prüfungen, für die sie lernen müssen. Sind die jungen Generationen tatsächlich spießiger und pflichtbewusster als die früheren? spot on news hat bei Hauptdarsteller Heiner Lauterbach nachgefragt.

Der Film „Wir sind die Neuen“ (ab 17. Juli im Kino) zeigt einen Generationenkonflikt der etwas anderen Art. Die drei Alt-68er Anne (Gisela Schneeberger), Eddie (Heiner Lauterbach) und Johannes (Michael Wittenborn) lassen ihre alte Studenten-WG wieder aufleben, teils aus finanzieller Not und teils aus purer Nostalgie. Schnell verfallen sie in alte Muster: Wein trinken, philosophieren, Nächte durchmachen. Doch über ihnen wohnen drei Studenten von heute – und die können mit der Feierlaune ihrer Nachbarn wenig anfangen, denn die stört beim Pauken. Die Oldies sind schockiert: Ist die neue Studentengeneration so spießig? Heiner Lauterbach (61), einer der Hauptdarsteller von Ralf Westhoffs Komödie, hat wenig Spießiges an sich. Ob das bei seinen Kindern anders ist, verriet er der Nachrichtenagentur spot on news.

Der Kino-Film „Wir sind die Neuen“ zeigt, dass die heutigen Studenten teilweise spießiger sind als früher. Sehen Sie das auch so?

Heiner Lauterbach: Ich erlebe das ein bisschen anders, ich war schon immer extrem unspießig und in meinem Leben immer von Spießern umgeben, egal ob alt oder jung. Deswegen habe ich das gar nicht auf die Generationen bezogen. Aber während der Arbeit am Film habe ich schon eine gewisse Entwicklung bei den jungen Leuten heutzutage bemerkt. Auch wenn sehe, mit welcher Ernsthaftigkeit mein Sohn oder meine Kinder an die Schule und solche Dinge herangehen, da denke ich mir schon, dass das bei uns damals doch irgendwie anders war. Und bei mir ist es eigentlich auch heute noch anders.

Sehen Sie das bei Ihren Kindern vielleicht auch ein bisschen mit Wehmut? Würden Sie sich wünschen, dass sie ein bisschen weniger ernsthaft wären oder ihr Leben mehr genießen würden?

Lauterbach: Letztendlich sollte jeder selbst wissen, wie er sein Leben gestalten will. Das ist ja auch eine Frage des Temperaments; man muss im Leben selbst sehen, was für einen richtig ist und was einen glücklich macht. Ich würde bestimmt nicht von jedem verlangen, dass er exzessiv lebt. Man muss sein Leben so einrichten, dass man erst mal den anderen nicht auf den Wecker geht und dann aber auch selbst glücklich ist. Und man kann den Menschen schlecht vorschreiben, wie sie glücklich zu sein haben.

Also geht es Ihnen in erster Linie darum, dass ihre Kinder zufrieden und glücklich sind?

Lauterbach: Das ist das Allerwichtigste. Das sage ich ihnen auch immer. Es ist egal, was ihr macht; ihr könnt auch Straßenfeger werden. Wenn du glücklich bist, dann ist auch das in Ordnung. Du kannst schwul oder lesbisch sein – das ist mir alles egal. Das ganze Streben sollte darauf fokussiert sein, dass man glücklich wird, was nicht zwangsweise mit einer großen Karriere oder viel Geld verbunden ist. Man kann auch in einfachen Verhältnissen sehr glücklich sein. Gleichzeitig gibt es viele Reiche, die unglücklich sind.

Sind Sie mit den Spießern in Ihrem Umfeld oft aneinander geraten?

Lauterbach: Nein, sicher nicht. Ich meine das auch gar nicht despektierlich. Im Verhältnis zu mir – wie ich lebe und gelebt habe – sind 99 % der Menschen, die ich treffe, eben spießig. Wobei ich immer betone und auch betont habe, dass ich überhaupt nichts gegen Spießer habe. Es ist mir total egal, ob jemand Spießer ist oder nicht. Der kann von mir aus tausend Gartenzwerge im Garten stehen haben. Wenn das ein anständiger Mensch ist, ist der mir lieber als ein total durchgedrehter Freak, der aber charakterlich ein Arschloch ist.

Sie haben also andere Kriterien, nach denen Sie Menschen beurteilen?

Lauterbach: Ja. Ich bin Kölner, und da ist die sogenannte Herzensbildung das Wichtigste.

Mit welchen Charaktereigenschaften kommen Sie denn überhaupt nicht zurecht?

Lauterbach: Die typischen Verdächtigen wie Unaufrichtigkeit, Unehrlichkeit und solche Sachen. Wobei wir ja alle ein bisschen unaufrichtig sind. Das ist schwer zu sagen, denn es gibt schon Dinge, die mich nerven, die aber letztendlich nicht so schlimm sind. Geiz kann mich zum Beispiel ziemlich nerven. Aber es gibt bestimmt schlimmere Charakterzüge. Letztendlich ist das Gesamtpaket entscheidend. Ein Mensch kann ruhig Fehler haben; solange alles andere stimmt, ist das nicht so schlimm.

Also solange die Herzensbildung stimmt?

Lauterbach: Ja, die ist das Allerwichtigste. Bei meinen Kindern habe ich die bei allen Dreien festgestellt. Ich habe dann zu meiner Frau gesagt: Die können noch so viele Fehler haben, aber wenn sie im Inneren emphatisch sind und für ihre Mitmenschen Mitgefühl haben können, dann ist das mehr als die halbe Miete.

Sind das die Eigenschaften, die Sie bei ihren Kindern am meisten schätzen?

Lauterbach: Absolut. Dass sie empathisch sind, dass sie, trotz aller Wildheit, die mein Sohn zum Beispiel an den Tag legt, einen weichen und mitfühlenden Kern und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben, ist mir sehr wichtig. Mehr noch als Intelligenz oder irgendwelche Talente. Mit Talenten ist das sowieso so eine Sache. Um Dostojewski zu zitieren: „Wenn ich die Wahl hätte zwischen Glück und Talent, würde ich mich für das Glück entscheiden.“

Es gibt ja auch Schauspieler, die sich für ihre Kinder jede andere Karriere als die Schauspielerei wünschen. Denken Sie ähnlich?

Lauterbach: Nein, so denke ich nicht. Sowas würde ich niemals sagen, weil man damit sein eigenes Tun ja grenzenlos in Zweifel und in Frage stellt.

Es ist aber natürlich ein sehr unsteter Job.

Lauterbach: Ja, aber das wissen wir ja alle. Es hat sich ja mittlerweile rumgesprochen, dass es schwer ist und mit einem harten Konkurrenzkampf verbunden ist. Aber in allen Berufen herrscht ja heutzutage ein mörderischer Konkurrenzkampf. Wenn ich die jungen Leute heute sehe, bin ich froh, dass ich zu meiner Zeit jung war. Als ich jung war, gab es kaum Arbeitslosigkeit, und heute gibt es zig Millionen Arbeitslose. Da kann man sich ja vorstellen, wie schwer es die jungen Leute haben. Da nützt ja dann auch Abitur und Studium nichts mehr. Und wir müssen uns alle diesem Konkurrenzkampf stellen, und müssen in dem, was wir tun, gut sein. Ich sage auch meinen Kindern immer, es ist fast noch wichtiger, wie man etwas macht, als was man macht. Wenn man Busfahrer wird und seine Arbeit mit Liebe und Sorgfalt macht, ist das besser, als Bundeskanzler zu werden und das beschissen macht.