„Gone Girl“: Die Schrecken des Ehe-Alltags
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Hat er oder hat er nicht? Nick Dunne steht unter Verdacht, seine Frau ermordet zu haben. Ausgerechnet am fünften Hochzeitstag verschwindet Amy spurlos, seltsame Hinweise am Tatort geben den Ermittlern Rätsel auf. Und Nick? Der hält Informationen zurück, lächelt in Kameras und scheint zuweilen sogar zu genießen, dass seine Liebste nicht mehr an seiner Seite ist.
Nick Dunne (Ben Affleck, 42) und seine hübsche Ehefrau Amy (Rosamund Pike, 35) sind das Traumpaar schlechthin: Nichts, so scheint es, kann der Liebe der beiden erfolgreichen Autoren etwas anhaben. Doch auf das romantische Kennenlernen, welches direkt aus einer romantischen Hollywood-Produktion stammen könnte, folgt schnell der nüchterne Alltag: Nach fünf Jahren Ehe ist die Luft raus, Nick und Amy haben einander satt, eine Scheidung ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Wo ist „Amazing Amy“?
Am Morgen des fünften Hochzeitstages überschlagen sich dann die Ereignisse: Nick, inzwischen Besitzer einer umsatzschwachen Bar und nebenberuflich als College-Professor tätig, findet das gemeinsame Haus verlassen vor. Im Wohnzimmer liegt der zertrümmerte Couch-Tisch aus Glas, gestohlen wurde nichts. Augenscheinlich beunruhigt, informiert Nick die Polizei und die Eltern seiner berühmten Frau, der Autoren der beliebten „Amazing Amy“-Bücher. Schnell entwickelt sich die Suche nach der Verschwundenen zur medialen Angelegenheit: Die ganze Stadt macht mobil, um den Fall zu lösen.
In der Öffentlichkeit kommt Nick dabei alles andere als gut an. Für einen trauernden Mann, der um das Leben seiner Frau bangt, wirkt er erstaunlich gelassen, lächelt diverse Male sogar in die Kameras. Für die Fernsehanstalten ein gefundenes Fressen: Wie Geier stürzen sie sich auf den einstigen Schriftsteller, vermuten in seiner Emotionslosigkeit gar ein Indiz dafür, dass er etwas mit dem Verschwinden von Amy zu tun haben könnte.
Schnell gerät sein Saubermann-Image ins Wanken: Im Tagebuch der Verschollenen finden die Ermittler Einträge, die von häuslicher Gewalt erzählen. Ein Ehevertrag hätte Nick bei der Scheidung um seine Existenz gebracht, und in der Küche seines Hauses wird eine nur oberflächlich entfernte, große Menge Blut gefunden – Amys Blut. Als dann auch noch ans Licht kommt, dass er mit einer seiner Studentinnen eine Affäre hatte, befindet sich der vermeintliche Killer in den Köpfen der Medienvertreter bereits auf dem Weg in die Todeszelle. Einzig seine Schwester steht ihm in seiner misslichen Lage bei. Gemeinsam machen sie sich ihrerseits daran, den Fall zu lösen – und erfahren, dass auch Amy kein unbeschriebenes Blatt ist.
Ein klassischer Fincher
Seit nunmehr drei Jahren warten Fans auf einen neuen Film von Autodidakt David Fincher (52). Der Regisseur, der nie eine Filmschule besuchte, ist vor allem für seine ungemein düsteren Erzählungen à la „Sieben“ oder „Fight Club“ bekannt. Auch die nervenaufreibende Handlung von „Gone Girl“ kreiert immer wieder eine vergleichbare Atmosphäre, wenn auch nicht derartig durchgängig, wie es die beiden oben genannten Musterbeispielen für Film-Nihilismus taten. Der Einstieg ist allerdings Fincher pur: Gleich mit den ersten Worten scheint Afflecks Charakter dem Publikum unverhohlen zu gestehen, dass er seiner Frau am liebsten den Schädel einschlagen würde – am Ende kennt der Zuschauer die Gründe für seinen bestialischen Wunsch.
Tatsächlich kommt „Gone Girl“ größtenteils als eine Mischung aus Thriller und Sozialkritik daher, die an vielen Stellen unerwartet lustig ist. Denn Fincher hat sich zur einer karikaturhaften Darstellung vieler Charaktere entschlossen: Amys Mutter etwa, ein ungemein versnobtes Schwiegermonster, Neil Patrick Harris als schmieriger Millionär, oder die fast schon lächerlich populistische Nachrichtensprecherin, die eine mediale Hexenjagd gegen Nick vorantreibt. Die Anlehnung an die berühmt-berüchtigten TV-Beiträge der Fox-News, einer ultra-konservativen Sendung im US-Fernsehen, ist hierbei nicht zu übersehen.
Wer ist „Amazing Amy“?
Kaum ein Regisseur versteht es wie Fincher, das Publikum hinters Licht zu führen. Auch „Gone Girl“ ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme: Beinahe minütlich wechseln die Sympathien des Zuschauers zwischen Nick und seinem vermeintlichen Opfer Amy. Wo ein Plot-Twist schnell gezwungen erscheinen kann, hat Fincher schlichtweg den (Film-)Dreh raus: Die 575 Seiten der Buchvorlage wurden gemeinsam mit der Autorin Gillian Flynn (43) in ein schlüssiges Skript verwandelt, keine der zahlreichen Wendungen wirkt an den Haaren herbeigezogen.
Erfolgsrezept ist die clevere Erzählstruktur von „Gone Girl“. Während der Zuschauer das Verschwinden von Amy zunächst aus Nicks Blickwinkel sieht, ändert sich die Perspektive immer wieder und Amy kommt zu Wort: Dank ihres Tagebuchs nämlich, das die Ermittler finden und von der problematischen Ehe berichtet. Nick hingegen widerspricht den glaubhaften Schilderungen in dem Büchlein, sieht sich als Opfer eines Komplotts. Nicht die Frage „Wo ist Amy“, sondern „Wer ist Amy“ beherrscht offensichtlich seine Gedanken.
Sitzfleisch erforderlich
Damit sich die Handlung in Ruhe entfalten kann, wurde dem Film eine recht lange Laufzeit spendiert: 150 Minuten dauert das Katz- und Mausspiel auf der Suche nach der Wahrheit. Ist man innerhalb der ersten zwei Stunden noch komplett gebannt, verliert der Film zum Ende hin etwas an Fahrt. Eine kürzere Laufzeit hätte sicherlich zu einem noch besseren Kinoerlebnis beigetragen, auch wenn das selbstredend Jammern auf ganz hohem Niveau ist.
Nichts zu mäkeln gibt es an den beiden Hauptdarstellern: Was Affleck und vor allem Pike abliefern, ist ganz große Schauspielkunst. Zwischen Mitleid und blankem Hass – der Zuschauer wird das gesamte Spektrum der Gefühlswelt innerhalb des Films auf die beiden projizieren. Bei den Nebenfiguren zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Neil Patrick Harris und gerade Missi Pyle (41) als aufstachelnde Fernsehmoderatorin wirkt bisweilen doch recht übertrieben – genau das soll sie auch, ohne jeden Zweifel, etwas dezenter hätte Finchers Kritik an der Medienlandschaft aber dennoch ausfallen dürfen.
Fazit
Ein Regisseur, der selbst den Rechtsstreit des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg in „The Social Network“ in einen spannenden Film verwandeln kann, hatte mit der Adaption des Buchs von Gillian Flynn fast so etwas wie eine Pflichtaufgabe zu erfüllen. Diese erfüllt er bravourös, was er nicht zuletzt seinen beiden super aufgelegten Hauptdarstellern und der cleveren Erzählstruktur zu verdanken hat. Zwar übertreibt es Fincher vielleicht ein kleines bisschen mit seiner Fernseh-Kritik, der Spannung tut dies aber keinen Abbruch. Redebedarf hat man nach den 150 Minuten von „Gone Girl“ allemal.