Egotronic: Vom Punkrock zum Electro und zurück

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Egotronic: Vom Punkrock zum Electro und zurück

2015 ist das "Electro" aus dem Electropunk-Sound von Egotronic fast verschwunden. Was sich sonst noch in der Band und im Leben von Sänger Torsun so getan hat, erzählt er im Interview.

Frontmann Torsun hat seine Electropunkband Egotronic schon durch einige Höhen und Tiefen und viele Veränderungen geführt. Nun hat die Band ihren bisher größten Wandel hinter sich. Die elektronischen Sounds sind zwar nicht ganz verschwunden, doch inzwischen beherrschen Live-Instrumente das Klangbild von Egotronic. Für „Egotronic, c’est moi!“ haben Torsun und seine Mitmusiker einige ihrer Klassiker neu eingespielt, und der Kontrast zu den oft auf 8-Bit-Sounds basierenden Originalen könnte kaum größer sein. Mit der Nachrichtenagentur spot on news hat Torsun sich über notwendige Stilwechsel, die frustrierende politische Lage und Wahlverwandtschaften unterhalten.

Sie sind vor Jahren vom Punk zum Electro gewechselt, weil Sie der Punk gelangweilt hat. Ist es nun genau umgekehrt?

Torsun: Genau, ich fand das damals wirklich sehr langweilig, nur noch Punkrock zu machen. Es gab für mich zu der Zeit nichts im Punk, was wirklich frisch gewesen wäre. Da war für mich der Wechsel ins Elektronische quasi schon zwanghaft. Und im Moment ist es halt wirklich andersherum, dass mich das wiederum gelangweilt hat und ich gesagt habe, es muss wieder eine Gitarre her, es muss ein echtes Schlagzeug her, es muss ein Bass her. Und es ist ja nicht so, dass ich komplett auf die Elektronik verzichtet hätte oder verzichten wollen würde, aber es ist schon eine Rückbesinnung auf andere Instrumente.

Gab es auch Songs, die mit dem neuen Sound nicht funktioniert haben?

Torsun: Absolut, zum Beispiel „Lustprinzip“ war unmöglich, wir haben es im Proberaum wirklich versucht und versucht, und es klang immer scheiße. Eigentlich wollte ich den schon draufhaben, weil es ja auch ein ganz wichtiger Song für die Geschichte von Egotronic ist, aber es hat halt einfach soundmäßig nicht funktioniert, dementsprechend mussten wir es lassen.

Die neu aufgenommenen antifaschistischen Songs wie „Toleranz“ und „Exportschlager Leitkultur“ sind 2015 fast aktueller denn je. Man braucht eigentlich gar nicht zu fragen, was Sie von der aktuellen Entwicklung halten…

Torsun: Furchtbar, es ist eine unfassbare Zeit im Moment. Wir haben fast jeden Tag Attacken auf Flüchtlingsheime, es ist wieder so ein Backlash wie Anfang der 90er. Die Stimmung ist so unfassbar rechts wie schon lange nicht mehr. Und die Konsequenz der Bundesregierung ist, das Asylrecht noch weiter zu verschärfen. Ich finde das extrem frustrierend, und ich kann nur jeden, der anders denkt, dazu auffordern, zumindest zu versuchen, so viel wie möglich dagegen zu tun. Es ist fast nicht auszuhalten, vor allem natürlich für die Flüchtlinge. Das muss man sich mal vorstellen, die flüchten aus Kriegsgebieten, sind wahrscheinlich schon traumatisiert, und werden dann hier wieder Opfer von Hass. Wie man so beschissen sein kann, das wird nie in meinen Kopf gehen.

Sie hatten in den vergangenen Jahren mit einer rheumatischen Arthritis zu kämpfen. Wie geht es Ihnen heute damit?

Torsun: Es ist medikamentös jetzt ziemlich im Griff, so dass ich wieder Musik machen kann, wieder schreiben kann, ein relativ normales Leben führen kann. Das fühlt sich sehr gut an, weil es halt eine ganze Zeit anders gewesen ist. Mir ist schon bewusst, dass das nie wieder ganz weggehen wird, dass ich nie wieder 100 Prozent schmerzfrei sein werde, aber so wie es sich jetzt eingependelt hat, kann ich definitiv ganz gut damit leben. Auch bei den Konzerten habe ich wieder extrem viel Spaß, ich kann wieder richtig tanzen, mich ganz anders bewegen auf der Bühne, das ist natürlich ein gutes Ding.

Nach der 2011 erschienenen Autobiografie „Raven wegen Deutschland“ haben Sie angekündigt, dass Sie einen Roman schreiben wollen. Wie sieht es damit inzwischen aus?

Torsun: Ich habe vor kurzem angefangen, weiter an ihm zu arbeiten. Durch die Handgelenkschmerzen war ich letztes Jahr überhaupt nicht dazu in der Lage, zu schreiben, aber jetzt ist mein Plan, dieses Jahr definitiv fertig zu werden. Es wird dieses Mal wirklich ein Roman, der aber auch im Techno-Umfeld, in den Berliner Clubs spielt. Allerdings ist es eine wesentlich wirrere Geschichte. Es geht um mächtigere Entgleisungen, als sie im wirklichen Leben passiert sind. Beim Schreiben des ersten Buchs hatte ich oft den Gedanken, wenn das jetzt eine erfundene Geschichte wäre, könnte ich jetzt herrlich abschweifen und das Ganze ins Skurrile steigern. Und das ist jetzt der Versuch, das wirklich umzusetzen.

In „Raven wegen Deutschland“ haben Sie aber auch schon ein paar ziemlich mächtige Entgleisungen aus dem Jahr 2007 geschildert. Inzwischen lassen Sie es vermutlich ruhiger angehen?

Torsun: Absolut, es ist wirklich so, dass sich da manches geändert hat. Ich mache sowas nur noch ganz selten – neulich ist es mir mal wieder passiert, dass ich Nachts aufgelegt und dann halt die Nacht durchgemacht habe, auf irgendeiner Afterhour gelandet bin, dort bis in die nächste Nacht weitergefeiert habe und so weiter. Das macht dann auch richtig viel Freude, es ist allerdings nicht mehr so, dass ich das jede Woche brauche. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo es schon ein bisschen langweilig geworden ist. Man hat das jetzt schon 1.000 Mal gehabt, und stellt sich die Frage, ob das 1.001. Mal wirklich noch sein muss. Aber ab und zu werde ich vermutlich immer Ausflüge in dieses Leben brauchen.

Im Kommentar zur neuen Version der Liebeskummer-Hymne „Maybe Someday“ schreiben Sie, „zum Glück war ich dieses Mal nicht liebeskrank“. Heißt das, Sie sind glücklich vergeben, oder glücklich Single?

Torsun: Glücklich vergeben. Also wirklich sehr, sehr glücklich vergeben jetzt seit drei Jahren, das ist ein gutes Gefühl.

Sie sind vor Jahren unverhofft zu einer Tochter gekommen: Yari, das Kind einer früheren Freundin, hat Sie zum „Papa“ ernannt, und das ist auch nach der Trennung von der Mutter so geblieben…

Torsun: Ja genau, das ist auch bis heute so und das wollte ich auch nicht mehr missen. Sie hat ja mittlerweile auch ihr eigenes Leben, ist jetzt 19 Jahre alt und wohnt in ihrer ersten WG. Jetzt ist sie ein erwachsener Mensch, das ist schon wirklich erstaunlich, das zu sehen. Das ist schon cool, das fühlt sich ganz gut an.