„Diplomatie“: Die Schicksalsstunden von Paris
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Publikum feiert zusammen mit der Band
Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs drohte Paris noch die Zerstörung: Nach Hitlers Willen sollten seine Soldaten die Stadt vor dem Abzug in Schutt und Asche legen. Warum es nie dazu kam, ist bis heute nicht geklärt. Volker Schlöndorff erzählt seine Version der entscheidenden Nacht vor dem Einmarsch der Alliierten als packendes Kammerspiel.
General Dietrich von Choltitz gehört zu den rätselhafteren Figuren des Zweiten Weltkriegs. Der linientreue Karrieresoldat verweigerte auch unter der NS-Herrschaft nie einen Befehl und gehörte nach dem Attentat des 20. Juli zu den wenigen Offizieren, denen Hitler noch vertraute. Deshalb wurde ihm im August 1944 das Kommando über das besetzte Paris übertragen. Teil dieses Auftrags: Die französische Hauptstadt durfte höchstens als Trümmerfeld den Alliierten überlassen werden. Doch Choltitz kapitulierte am 25. August und übergab die Stadt weitgehend unzerstört.
Warum er diesen letzten Befehl missachtete, ist bis heute unklar. Choltitz versuchte, sich im Nachhinein als spätberufenen Widerständler darzustellen, belegen lässt sich das nicht wirklich. Hatte er tatsächlich noch den Wahnsinn Hitlers erkannt? Hatte er größere Hemmungen, Paris zu verwüsten, als zuvor Rotterdam und Sewastopol? Ließ er sich doch eher von alliierten Drohungen beeindrucken, ihn als Kriegsverbrecher zu behandeln? Oder fehlten ihm schlicht die Mittel, das Zerstörungswerk durchzuführen, wie einige Historiker annehmen?
Zumindest letzteres ist in „Diplomatie“, dem neuen Film von Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff (75, „Die Blechtrommel“), nicht der Fall: Die strategischen Punkte und Wahrzeichen von Paris sind bereits vermint, alles wartet nur noch auf den Zerstörungsbefehl des Generals Choltitz (Niels Arestrup, 65). Basierend auf einem Theaterstück von Cyril Gély wird Choltitz‘ Entscheidungsfindung auf ein fiktives Treffen mit dem schwedischen Konsul Raoul Nordling (André Dussollier, 68) verdichtet, der den Offizier von seinem Vorhaben abbringen will. Die Handlung von „Diplomatie“ ist völlig auf die Konfrontation der beiden Männer konzentriert.
Ein derart dialoglastiger Film braucht natürlich starke Hauptdarsteller um spannend zu bleiben, und die hat Schlöndorff mit Arestrup und Dussollier gefunden, die die eigenwillige Chemie zwischen Choltitz und Nordling perfekt einfangen. Die Rollen scheinen zunächst klar verteilt, verwischen aber im Lauf der Handlung immer mehr. Der Konsul tritt zunächst als neutraler Vermittler auf den Plan, doch es wird immer deutlicher, dass er in erster Linie als Pariser agiert, der seine Stadt schützen will – und dem dabei jedes Mittel recht ist. Auf der anderen Seite bröckelt die militärisch-hartherzige Fassade des Generals stetig, bis er Nordling eine entscheidende Schwachstelle offenbart.
Neben der schauspielerischen Leistungen – auch der Nebendarsteller – glänzt „Diplomatie“ natürlich auch durch Schlöndorffs Inszenierung. Der Regisseur macht den Kammerspielcharakter der Vorlage zur Stärke des Films und zeichnet auf engstem Raum ein packendes Bild des Kriegsgeschehens. Wenn das Luxushotel, in dem die Deutschen ihr Hauptquartier eingerichtet haben, sich zunehmend in eine mit Sandsäcken verbarrikadierte letzte Abwehrstellung verwandelt und wenn Nordling dank eines Geheimganges plötzlich in Choltitz‘ Suite steht, zeigt das mindestens ebenso effektiv, wie der Wehrmacht die Situation entgleitet, wie aufwändige Schlachtszenen es tun würden.
Auf dem Weg zu dem Treffen hat Nordling im Vorspann das zerstörte Warschau vor Augen, gezeigt in Archivbildern – das Schicksal, vor dem er Paris bewahren will. Am Ende erstrahlt die gerettete Stadt in all ihrer Pracht. Denn „Diplomatie“ ist vor allem eines: Eine Liebeserklärung an die Seine-Metropole, deren Zerstörung den Lauf der deutsch-französischen Nachkriegsgeschichte sicher drastisch verändert hätte.