Die Sterne: „Das Publikum der Böhsen Onkelz wollen wir nicht geschenkt“
Magazin
Band Session im Proberaum
Im Volksmund heißt es, sinngemäß: Wer im Erwachsenenalter noch rebelliert, hat keinen Verstand. Die Sterne machen seit 20 Jahren politische Musik mit Hirn - und sind umtriebig wie eh und je. Mit spot on news hat Sänger Frank Spilker über die Schattenseiten großen Erfolgs, die Kollegen von Tocotronic und Wege des "Neinsagens" gesprochen.
Viele Konstanten gibt es nicht, in Deutschlands Konzertsälen: Aber ein paar schon. Zum Beispiel, dass alle drei, vier Jahre ein hagerer Mann die Clubbühnen betritt, fast verlegen die Gitarre stimmt und ruft: „Wir sind’s, Die Sterne!“ Frank Spilker (48) und Die Sterne gehören seit 20 Jahren zu den Lieblingen der Indie-Szene. Von der Aufforderung „Fickt das System“ im Jahr 1992, über die Erkenntnis, dass einem manchmal „St. Pauli auf den Geist fällt“ bis zur arbeitswelt-kritischen Disco-Platte „24/7“ vor vier Jahren. Und sind immer noch eine politische Band mit immer neuem Sound.
Ganz kurz gesagt: Das neue, zehnte Album der Band, „Flucht in die Flucht“, handelt vom „Neinsagen“. Natürlich eine ziemlich gesellschaftskritische Kategorie. Es ist deutlich psychedelischer geworden. Und die Band findet, sie sei geradezu „privilegiert“, nach 20 Jahren immer noch Musik machen zu dürfen. Da gibt es auch keinen Neid auf die Hallentouren der Kollegen von Tocotronic. So erklären es Spilker und Bassist Thomas Wenzel selbst im Gespräch mit der Nachrichtenagentur spot on news. Aber hinter den klaren Antworten lauern natürlich jede Menge Fragen.
Das fängt schon beim „Neinsagen“ an. Ob man das denn überhaupt tun kann, in der Gesellschaft des Jahres 2014? „In ökonomischer Sicht würde ich jetzt als politischer Mensch erwidern: Nein, unmöglich“, sagt Spilker, „weil man nicht einfach rausgehen kann, speziell wenn man Verantwortung für andere hat, Familie oder Kinder“. Oder mit Musik etwas ausrichten? Bestenfalls gebe es Strategien: „Ist das schon eine Art Widerstand, wenn man sagt, ‚es könnte überhaupt so sein, dass jemand in die Situation kommt, Nein sagen zu müssen‘?“ überlegt der Sänger mit einem Grinsen. „Aber auf jeden Fall macht mir die ganze Sache keinen Spaß, wenn sie nicht in irgendeiner Weise die Realität beleuchtet und kommentiert. Weiter würd ich erstmal gar nicht gehen.“
Und dann scheint es auch ganz bemerkenswert, dass sich auch der kritische Geist Spilker als Musiker irgendwie doch als Akteur im Spiel von Angebot und Nachfrage begreift. Denn Die Sterne hätten zwar einerseits „selbst bald keinen Bock mehr darauf“, würden sie versuchen immer gleiche Hitrezepte anzuwenden, meint er. „Aber es gibt so ein Trägheitsprinzip in der Musik – weil Fans, wenn sie was toll fanden, das gerne wieder haben möchten“. „Deswegen müssen wir was Neues machen – was die Fans aber vielleicht auch gut finden, wenn sie’s zum zweiten Mal hören. Das ist, glaub ich, eine typische Sterne-Strategie.“
„Umso größer man wird, umso mehr Idioten hat man im Publikum“
Nach dem letzten Album „24/7“ hatte es etwa beinahe einen „Shitstorm“ gegeben – wenn das Wort denn 2010 schon bekannt gewesen wäre – weil die Platte so synthie- und beatlastig ausfiel. „Ich glaube, dass das 24/7-Album ganz viel Empörung ausgelöst hat. Ich habe aber auch von ganz vielen Leuten gehört, wie toll sie’s dann doch fanden“, sagt Spilker rückblickend. „Vielleicht wäre es beim Konsumenten sogar besser angekommen, hätten wir jetzt das gleiche nochmal getan. Aus Sicht des Labels hätte man das vielleicht sogar tun müssen“, ergänzt Wenzel.
Stattdessen gibt es nun wieder eine neue Wendung – mit jungen Hamburger Musikerkollegen als Gästen und Psychedelic-Einflüssen. Aber so oft die Band ihre Fans auch ein ganz klein wenig vor den Kopf stößt, die Clubs füllt sie eben dennoch immer. Mehr – etwa ausverkaufte Hallen wie bei den alten Kollegen von Tocotronic – sei auch gar nicht nötig, findet Spilker. „Du musst immer eines im Kopf haben: Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von netten Menschen auf der Welt. Und umso größer man wird, umso mehr Idioten hat man im Publikum“, sagt der Sterne-Sänger mit einem Augenzwinkern.
„Ich möchte das Geld haben, aber ich möchte nicht das Publikum von den Böhsen Onkelz auf dem Hockenheim-Ring geschenkt bekommen. Das ist natürlich das Extrembeispiel“, meint er weiter. „Aber es ist klar: Je mehr es in die Breite geht, desto mehr sind das Leute, mit denen man sich eigentlich nicht mehr verbunden fühlt. Um das jetzt mal softer auszudrücken.“
Überhaupt ist der Erfolg Tocotronics – mit denen Die Sterne in den späten 90ern eine, vielleicht auch nur öffentlich inszenierte, Hassliebe verband – kein Grund für Neid oder Verwunderung. Tocotronic seien eben immer „kommerzieller“ gewesen, sagt Spilker. „Vom Konzept her eigentlich leichter verständlich oder verdaulich für den Markt. Weil ganz klar war, das ist jetzt eine deutschsprachige Grunge-Band.“ Die anderen Hamburger Bands habe man damals eben „erstmal verstehen“ müssen.
Sogar mit Nachmittagsslots bei Festivals hat Spilker nach 20 Jahren Die Sterne kein Problem – auch wenn man die ohnehin lange nicht mehr habe ausfüllen müssen. „Ich mag mich eigentlich jeder Situation stellen, wenn ich gut drauf bin. Denn ich denke mal, nachmittags müssen ja auch Bands spielen. Sonst ist’s ja langweilig, auf dem Festival“, sagt Festival-Skeptiker Spilker, der sich selbst eine „Dixie-Klo-Allergie“ attestiert. Bestenfalls sei man „so ein bisschen beleidigt, dass dann andere Leute wichtiger genommen werden“. Aber Spilker und Wenzel haben auch für diese Fälle eine Idee: Einfach einen „Tanztee“ machen und auf die Lightshow verzichten. „Da hat man dann ökologisch ein gutes Gewissen, wenn man nachmittags auf der Bühne steht. Wenigstens das!“