„Der Marsianer“: Im Weltall hört dich niemand fluchen
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Obwohl im Film so ziemlich alles schiefgeht, macht "Der Marsianer" mit Matt Damon fast alles richtig. Herausgekommen ist eine Buch-Adaption, die dem hervorragenden Roman von Andy Weir gerecht wird und absolutes Blockbuster-Potenzial aufweist.
Den Überraschungsroman der letzten Jahre als Vorlage, dazu Ridley Scott auf dem Regie-Stuhl und Everybody’s Darling Matt Damon in seiner neuen Parade-Disziplin als gestrandeter Astronaut: Mit „Der Marsianer“ scheint alles für den ersten absoluten Herbst-Blockbuster dieses Jahres angerichtet zu sein.
Einwohnerzahl: 1
Der US-Astronaut Mark Watney ist Glückspilz und Unglücksrabe in Personalunion. Zwar hat er einen verheerenden Sandsturm an der Mars-Oberfläche auf schier unglaubliche Weise überlebt, seine fünf Kollegen wähnten ihn aber dummerweise mausetot und verließen den kargen Planeten mit der einzigen Rettungskapsel. Wieder bei Bewusstsein schleppt sich der verwundete Watney also zurück zur Mars-Station und muss schockiert feststellen, nun der einzige Bewohner eines gesamten Planeten zu sein.
Auf sein Überleben würde der Botanik-Spezialist der Gruppe wohl selbst keinen Cent setzen. Das zeltartige Hub, in dem er nun alleine verweilt, ist für einen Aufenthalt von nur rund einem Monat konzipiert, auch Wasser und Nahrung ist knapp bemessen. Doch um die nächste bemannte Mission zum Mars abzusitzen, müsste er seinen Berechnungen nach gut und gerne vier Jahre auf dem roten Planeten überleben. Zumal er durch die zerstörte Funkanlage keine Möglichkeit sieht, die Erde von seinem Schicksal in Kenntnis zu setzen. Doch entgegen aller Wahrscheinlichkeit beschließt Watney, nicht als erster Mann der Menschheitsgeschichte auf dem Mars verenden zu wollen und beginnt mit seiner Überlebens-Planung.
Gegen alle Widerstände
Der Kampf Mensch gegen Natur, dann auch noch derart bildgewaltig in Szene gesetzt wie in „Der Marsianer“, scheint während der rund zweieinhalb Stunden Laufzeit regelrecht einen Urinstinkt der Zuschauer anzusprechen. Trotz Überlänge langweilt man sich nie in Scotts Film, was nicht zuletzt an der bärenstarken Einzelleistung von Damon liegt. Zwar werden auch immer wieder die unzähligen NASA-Mitarbeiter oder Watneys Crew-Mitglieder gezeigt und diese nehmen, wie im Buch, einen durchaus großen Teil ein, der einsame Star bleibt aber selbstredend der Marsianer wider Willen. Daran ändert auch der namhafte Cast mit Sean Bean, Kate Mara oder Jessica Chastain nichts.
Gleich mehrere Filme fallen einem als Referenz für „Der Marsianer“ ein. Die offensichtlichste Kombination dabei lautet „Cast Away“ trifft auf „Apollo 13“. Doch noch ein anderer Film bietet sich wie kein zweiter für ein Einsamkeits-Double-Feature mit „Der Marsianer“ an, nämlich „All Is Lost“ von und mit Robert Redford. Wo der eine verzweifelt im All gegen die erbarmungslose Natur kämpft, schippert Redford durch die gefühlte Unendlichkeit des Ozeans. Zwar deutlich entschleunigter und weniger für den Massenmarkt produziert, aber nicht minder spannend.
Der Physik-Leistungskurs fällt aus
Über stellenweise dutzende Seiten erklärt Weir im gleichnamigen Buch, wie sein Protagonist dank der physikalischen und wissenschaftlichen Gesetze überlebt. So „baut“ sich Watney an einer Stelle etwa aus Wasserstoff und Sauerstoff kostbares Wasser – und sprengt sich dabei beinahe in die Luft. Auch im Film hat er diesen genialen wie gefährlichen Einfall, der Streifen nimmt sich aber deutlich weniger Zeit, sein Handeln zu erklären. Auch an seinen Berechnungen über Nahrungs- oder Luftverbrauch lässt einen der Film-Astronaut weitaus weniger explizit teilhaben, als sein Buch-Pendant. Das macht aber für den Ablauf des Films durchaus Sinn, kommt dieser auch ohne derartiger Szenen schließlich auf stolze 140 Minuten.
Fuck, fuck, fuck!
Was hat es nur mit der US-amerikanischen Panik vor Nacktheit und Schimpfwörtern auf sich? Während Ersteres in „Der Marsianer“ kein Problem ist, macht sich der Streifen hinsichtlich der „bösen Wörter“ ein wenig lächerlich. Auch wenn es Gerhard Polt („Mein Sohn schreit nicht fuck!“) vielleicht anders sieht, aber: Wer hätte es mehr verdient, lautstark das F-Wort in die Kamera zu brüllen, als ein Mann, der zum Sterben alleine auf dem Mars zurückgelassen wurde? Zumal es Damon nach „Interstellar“ nun nun schon zum zweiten Mal passiert. Angedeutet werden die Ausbrüche der Hauptfigur im Film zwar immer wieder, „zugemutet“ wird es dem Zuschauer aber nie. Wie im Roman gibt es später zwar einen Grund, warum Watney seine Wörter mit Bedacht wählt, zuvor macht das aber schlichtweg keinen Sinn. Das Buch legte da ein gänzlich anderes Tempo vor: Gleich der erste Satz darin lautet „I’m pretty much fucked“ – „Ich bin so was von im Arsch“.
Rettet Mark Watney!
Zuletzt wurde der Pixar-Film „Alles steht Kopf“ noch dafür gelobt, auch ohne Antagonisten beste Kino-Unterhaltung zu garantieren – nur eine Woche später zieht „Der Marsianer“ eindrucksvoll nach. Filme, in der eine bestimmte Nation oder ein besonders verbohrter Befehlshaber als ebenso plumpe wie plakative Hassfigur dienen, gibt es fürwahr schon genug. „Der Marsianer“ und sein einsamer Existenzkampf vereint hingegen die Erdbevölkerung, jeder will seinen Teil dazu beitragen, um einen der ihren zu retten. Neben guter Unterhaltung bietet der Film so gleich auch noch eine der positivsten Botschaften, mit der man je aus dem Kino gekommen ist: Alle für einen, einer für alle.
Fazit
„Der Marsianer“ ist abwechslungsreich, unterhaltsam, spannend und ergreifend. Ob Damons quasi One-Man-Show oscarreif ist, muss die Academy im kommenden Jahr entscheiden, gelungen ist sie allemal. Wer bei seinem zweieinhalbstündigen Kampf ums Überleben nicht sämtliche Gefühlslagen durchläuft und mit dem Todgeweihten hofft und bangt, jubelt und trauert, für denjenigen scheint es keinen Film mehr auf Erden zu geben. Vielleicht sollte er es auf dem Mars probieren.