Der echte Leatherface: Wie Serienmörder Ed Gein Filmgeschichte schrieb

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Der echte Leatherface: Wie Serienmörder Ed Gein Filmgeschichte schrieb

Vor 30 Jahren starb der Mörder und Grabräuber Ed Gein in einem Sanatorium. Er galt als einer der berüchtigsten Verbrecher Amerikas - und war Vorbild für einige große Klassiker unter den Kino-Schockern.

Am 26. Juli 1984 erlag Edward Theodore Gein im Sanatorium von Madison, Wisconsin seiner Lungenkrebs-Erkrankung. Der stille ältere Herr galt als Musterpatient, doch 27 Jahre zuvor schockierten seine Verbrechen das Örtchen Plainfield und den Rest der Vereinigten Staaten. Gein, der bis dahin bei seinen Nachbarn als freundlicher Sonderling galt, war in Verdacht geraten, etwas mit dem Verschwinden der Ladenbesitzerin Bernice Worden am 16. November 1957 zu tun zu haben.

Doch was die Ermittler auf seiner abgelegenen Farm vorfanden, übertraf ihre schlimmsten Erwartungen: Sheriff Arthur Schley stieß im Dunkeln von Geins Schuppen gegen ein von der Decke baumelndes Objekt, das sich im Licht seiner Taschenlampe als die Leiche Wordens entpuppte – an den Füßen aufgehängt, enthauptet und ausgeweidet wie die Hirsche, die die Einwohner Plainfields zu dieser Jahreszeit jagten. Ihren Kopf fanden die Polizisten in Geins Haus, und er war nicht sein einziges grausiges Souvenir.

Die „Sammlung“ in den zugemüllten Räumlichkeiten des Eigenbrötlers umfasste unter anderem Schalen aus Schädeln, Polster, Lampenschirme und Kleidungsstücke aus gegerbter Menschenhaut sowie Masken aus den Gesichtern toter Frauen. Gein wurde in der Folge mehrerer ungeklärter Verbrechen verdächtigt, darunter auch der mysteriöse Tod seines eigenen Bruders Henry bei einem Brand. Doch er bekannte sich nur zu zwei Morden, neben Worden hatte er 1954 die Barbesitzerin Mary Hogan getötet. Für die anderen Körperteile hatte er seiner Auskunft nach in wahnhaften Zuständen bei Vollmond Gräber von Frauen, die seiner Mutter ähnelten, ausgeraubt.

In der verdrehten Beziehung zu seiner Mutter sahen Psychologen später die Ursache für Geins Wahnsinn. Die deutschstämmige Augusta Wilhelmine Gein war eine religiöse Fanatikerin, die ihren Söhnen den Hass auf alle anderen Frauen und die Sündhaftigkeit jeglicher Äußerung von Sexualität einimpfte. Gein war völlig auf seine Mutter fixiert, die nach dem Tod von Vater und Bruder seine einzige Bezugsperson war. Er pflegte sie aufopfernd, nachdem sie durch einen Schlaganfall teilweise gelähmt wurde. Die Lücke, die ihr Tod im Jahr 1945 hinterließ, versuchte ihr verstörter Sohn offenbar schließlich mit den Körpern anderer Frauen zu füllen – gelegentlich schlüpfte er mit seiner makabren Haut-Kostümierung selbst in die Frauenrolle.

Gein verbrachte den Rest seines Lebens in psychiatrischen Einrichtungen, in der Außenwelt entstand unterdessen ein bizarrer Kult um seine Person. Reporter und Schaulustige überfluteten Plainfield, Geins Haus sollte gerüchtehalber eine Touristenattraktion werden, bevor ein Feuer kurz vor seiner Versteigerung diesem möglichen Vorhaben einen Riegel vorschob. Sein Auto, in dem er die Leichen seiner Opfer transportiert hatte, wurde gegen Eintritt auf Jahrmärkten herumgezeigt. Nach Geins Tod meißelten Souvenirjäger regelmäßig Teile seines Grabsteins ab, 2000 wurde er ganz gestohlen. Geins Taten hatten einen tiefen Graben in der perfekten Fassade der 1950er gerissen, und faszinierten seine Zeitgenossen ebenso, wie sie sie abstießen – wenig überraschend also, dass sie auch zahlreiche Bücher und Filme beeinflussten.

Der Schrifststeller Robert Bloch lebte zur Zeit von Geins Verhaftung nur 56 Kilometer von Plainfield entfernt und ließ sich von den Nachrichten zu seinem Roman „Psycho“ inspirieren, ohne sich allerdings eingehender mit dem Fall zu beschäftigen. Später erklärte Bloch, er sei selbst überrascht gewesen, wie sehr Norman Bates, das mörderische Muttersöhnchen mit der gespaltenen Persönlichkeit, tatsächlich Gein ähnelte. Das Buch erschien 1959, ein Jahr später schrieb Alfred Hitchcock mit seiner Verfilmung Kino-Geschichte. Bates, im Film verkörpert durch Anthony Perkins, trug freilich keinen Anzug aus Menschenhaut, ihm genügten die Kleider seiner Mutter, um in ihre Rolle zu schlüpfen.

Deutlich weniger subtil als bei Altmeister Hitchcock ging es in dem Splatter-Klassiker „The Texas Chainsaw Massacre“ (1974) zu. Doch auch der Schlächter Leatherface (Gunnar Hansen) stand völlig unter der Fuchtel seiner, in diesem Falle noch lebenden Familie, für die er Durchreisende ermordete. Regisseur Tobe Hooper griff einige der grausigsten Elemente aus Geins Geschichte auf, etwa die Art, wie das Haus von Leatherfaces Sippe mit den Knochen ihrer Opfer geschmückt wurde, den Kannibalismus, der dem echten Gein allerdings nie nachgewiesen wurde, und natürlich die Masken aus Menschenhaut, die Leatherface seinen Namen gaben. Der kettensägenschwingende Irre wurde eine der Kultfiguren des Horrorgenres schlechthin und machte in zahlreichen Fortsetzungen und Remakes die Leinwände unsicher.

Bei der Erschaffung von Jame „Buffalo Bill“ Gumb griff Autor Thomas Harris in die Vollen: Gleich sechs Serienmörder hatte der Gegenspieler aus seinem Thriller „Das Schweigen der Lämmer“ zum Vorbild. Von Ed Gein erbte Gumb, wie könnte es anders sein, den Wunsch, sein Geschlecht zu wechseln – den er durch das Tragen von Kleidung aus Frauenhaut auslebte. Dennoch stand er immer im Schatten des kannibalischen Psychiaters Hannibal Lecter – auch beim Oscar-Regen für Jonathan Demmes Verfilmung von „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) ging Buffalo-Bill-Darsteller Ted Levine leer aus.

Gein hinterließ in zahlreichen weiteren Filmen seine Spuren, darunter etwa „Maniac“ und „Carrie“. Auch der originale Fall wurde mehrfach auf die Leinwand (oder direkt aufs Videoband) gebracht, insbesondere „Deranged“ (1974) mit seinem grandiosen Hauptdarsteller Roberts Blossom in der Rolle des eng an Gein angelehnten Ezra Cobb gilt unter eingefleischten Horrorfans bis heute als Kultfilm. Dennoch erreichte keine der realistischeren Versionen Geins die Popularität der großen Hollywood-Bösewichte, die er inspirierte. Ohne den Filter der Fiktion ist seine Geschichte offenbar einfach zu grausig für ein größeres Publikum.