Deichkind: „Wer traurig ist, soll seinen Hund frisieren gehen“

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Deichkind: „Wer traurig ist, soll seinen Hund frisieren gehen“

"Remmidemmi" - dafür stehen Deichkind. Vor der Veröffentlichung ihres sechsten Albums hat die Band mit spot on news über Feiern als Konzertbesucherrecht und "bittere Realität", Drogen und Eitelkeit auf der Bühne und ganz große Karussells gesprochen. Und erklärt, wie man der "Helene-Fischer-Falle" entgeht.

Manchmal muss erst alles zu spät sein, bevor es richtig losgehen kann. So war es zumindest bei Deichkind. 2005 war Hip Hop für die Hamburger vorbei. Man fasste den Plan, „die Band an die Wand zu fahren“, warf sich nacheinander in glitzernde Anzüge, den Bundesvision-Songcontest, Mülltüten-Outfits und Pyramiden-Hüte – und kam als größter anarchisch-anarchistischer Party-Zirkus des Landes auf der anderen Seite der Wand wieder heraus: „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“ heißt der wichtigste Hit Deichkinds. Und die Marschroute auf der Bühne. Aber wenn ein anderer Kracher aus dem Repertoire „Bück dich nach oben“ heißt – dann ist auch ein wenig Gesellschaftskritik nicht fern.

Wenn am Freitag Deichkinds sechstes Album „Niveau Weshalb Warum“ erscheint, ist die Neuerfindung zehn Jahre her. Die verbliebenen Bandmitglieder Sebastian Dürre (37) alias Porky, Philipp Grütering (40) alias Kryptik Joe, Ferris Hilton und Bühnenregisseur Henning „La Perla“ Besser (36) sind fast so etwas wie alte Hasen des musikalischen Wahnsinns. Und haben sich – natürlich – auch so ihre Gedanken über all die Anarchie in ihren Shows und Songs gemacht: Mit der Nachrichtenagentur spot on news haben sie in München über Alkohol auf der Bühne, Feiern als Zuschauerrecht und die „Helene-Fischer-Falle“ gesprochen – und den Moment, als sie sich vor „den Geistern, die sie riefen“, mal so richtig erschreckten.

Auf eurem neuen Album gibt es ein paar interessante Songtitel: „Like mich am Arsch“, „Powered by Emotion“. Wie war denn die Stimmung: Beschwert ihr euch da auch über Dinge, die euch tatsächlich nerven?

Sebastian Dürre: Ein bisschen schon, ja. Einmal hab ich das Album gehört und gedacht, „das ist ja viel zu brav“! Jetzt kommen mir einige Dinge schon zorniger vor – oder vielleicht „ruppiger“. Aber eigentlich passiert das bei uns immer aus einer Beobachterposition. „Like mich am Arsch“, das ist ja eine Beobachtung. Wir sind ja selbst auch so. Wenn man dann mal alle Stecker gezogen hat und am Strand sitzt, ist man dann doch wieder bei Whatsapp.

Philipp Grütering: Spannend. Ich habe noch gar nicht mit Porky über die Frage gesprochen. Das interessiert mich auch, was er dazu zu sagen hat. Witzigerweise ist das, wenn man mit Journalisten spricht, so das erste Mal, dass man zusammenkommt und darüber redet. Wir haben ja auch viel übers Internet Musik gemacht. Man sieht sich da teilweise gar nicht.

Henning Besser: Ich habe das Album auch erst vor kurzem bekommen. Und ich war positiv überrascht! Ich hatte mir was für die Bühnenshow ausgedacht, aber ich wusste natürlich gar nicht ob das damit zusammenpasst, was die Jungs so gemacht haben. Könnte aber klappen.

Na dann: Wie wird denn die neue Deichkind-Show aussehen?

Besser: Ich muss mich natürlich noch etwas bedeckt halten, damit so ein bisschen Neugierde bei den Fans entsteht. Also, was wird es geben: Elefanten. Smartphones. „Höher, größer, schneller“ ist etwas, womit ich mich beschäftigt habe – und da war’s natürlich gut, dass es den Song „Denken Sie groß“ gibt. Da dachte ich, das könnte passen. Die Kunst ist vielleicht, jenseits von „pompös“ und „Technik“ Emotionen bei den Leuten auszulösen.

Dürre: Helene Fischer ist ja jetzt auch durch, weil ihre Show so überladen ist und die Emotionen gar nicht mehr durchkommen, weil man von irgendwelchen Pappdrachen angegriffen wird. In die Falle sollte man nicht tappen.

Besser: Es ist natürlich auch eine Frage, ob das, was wir tun, mit uns etwas zu tun hat. Oder inwiefern wir da eine Pappmachee-Sache konstruieren, die zwar groß und riesig daherkommt, aber am Ende auch kalt ist. Ich war zwar noch nie im Disneyland – aber im Hansapark. Und da frag ich mich natürlich auch: Der Typ, der das gebaut hat, ist der jetzt auch noch jeden Tag hier und fährt der noch mit Freude selbst in den Karussells? Oder hat er sich das ausgedacht, weil er gemeint hat, „das ist für die Leute und damit verdiene ich mein Geld“? Aber bei der letzten Tour habe ich die Show ungefähr 70 mal gesehen – und auch das 70. hat mir noch Spaß gemacht.

Auf „Niveau Weshalb Warum“ gibt es auch Momente, die partykritisch klingen. Wie ist das für euch, wenn auf dem Konzert „Caipi aus Dosen“ fließt und blinde, betrunkene Ekstase herrscht?

Dürre: Aber genau das machen wir doch auch! Wir waren morgens um halb sechs hier noch auf der Straße – also das ist ja nicht nur immer Kritik, sondern auch mal bittere Realität. Feierbremsen sind das Schlimmste was es gibt. Wenn jemand feiern will, soll er feiern. Wenn jemand traurig ist, soll er nach Hause gehen und seinen Hund frisieren.

Besser: Jeder Musiker, der auf der Bühne steht, stellt sich auch die Frage, „was sind das jetzt für Leute, die da abgehen?“. Manch einer ist total glücklich mit seinem Publikum und manch einer nicht. Ich kann für mich nur sagen, dass ich das irgendwann nicht mehr richtig fand, in diesen Kategorien zu denken. Das wäre ja auch so ein bisschen elitär. Und ich glaube, Deichkind ist schon auch für alle Menschen gedacht.

Grütering: Im Grunde genommen ist das Publikum unser Spiegel. Man hat so Phasen wo man denkt, „was ist denn das, besoffene Kids… was ist das denn alles?!“ – aber diese Leute sind wir auch irgendwie, auf eine Art. Manchmal ist die Realität hart…

Besser: …aber das find ich nicht. Ich finde sie ist nicht hart.

Grütering: Aber es gab Momente wo man dachte, „oh Gott, was ist das?!“…

Dürre: Aber das ist auch schon länger her, da hatten wir uns so ein bisschen vor den Geistern erschreckt, die wir selbst gerufen haben.

Besser: Aber bei mir hat sich das so ein bisschen verändert. Ich habe diese Angst nicht mehr. Ich möchte mir nicht mehr erlauben, darüber zu urteilen, wer ist jetzt cool, wer ist es nicht.

Wie ist es denn eigentlich auf der Bühne? Gehört zu einem Deichkind-Konzert Alkohol?

Dürre: Früher bin ich mit Marihuana zugeraucht gewesen, das mach ich jetzt nicht mehr. Alkohol früher auch – aber mittlerweile nicht mehr. Wir fangen meistens auf der Bühne an. Oder hinter der Bühne, wenn man nicht in Gänge kommt: dann vielleicht mal ein Wodka. Aber wir sind nicht weg, wir sind nicht voll.

Besser: Alkohol hat natürlich die Möglichkeit, dich zu euphorisieren oder Hemmschwellen abzubauen. Aber man hat auf der Bühne, wenn man sich traut und sich dafür öffnet, die Chance, wirklich sehr intensiv etwas zu erleben. Wenn du Alkohol trinkst, machst du natürlich auch eine Erfahrung – aber diese nicht. Ich glaube, da hat jeder so seinen eigenen Weg. Das ist ja auch bei Deichkind ein Thema gewesen: Inwiefern wir uns damit auseinandersetzen, was wir selber peinlich finden.

Was war die Lehre aus dieser Erfahrung?

Besser: Also im Müllsack auf der Bühne zu stehen, das heißt auch so ein bisschen an die Grenzen dessen zu gehen, was wir selber aushalten. Man stellt sich auf die Bühne, damit alle einen toll finden. Aber wenn man da im Müllsack steht, halb nackig, mit Wampe, dann torpediert man das. Dann kann man sich fragen: Warum mache ich das trotzdem?

Dürre: Musik ist ja eine ganz eitle Branche. Das ist mir jetzt aufgefallen, als wir mit Peter Maffay und Barbara Schöneberger auf der Bühne standen. Wie die sich alle so schön machen und sich damit identifizieren…

Grütering: Aber wir haben es irgendwie geschafft, so zu tun, als ob wir uneitel sind. Aber natürlich identifizieren wir uns auf unsere Weise sehr mit Deichkind und mit der Haltung. Das ist auch eine Eitelkeit. Vielleicht auf der zweiten Ebene – aber dann vielleicht doch wie Barbara Schöneberger.

Und wofür steht man nun letztlich auf der Bühne?

Dürre: Nach dem Konzert fühle ich mich leicht, befreit. Da fällt eine Riesenlast von den Schultern. Ich hasse Lampenfieber. Und ich habe immer Lampenfieber. Ich habe es in all den Jahren nie geschafft, das loszuwerden. Das Konzert ist geil. Aber das Gefühl danach, das ist der eigentliche Kick.