Coldair und die 38.000 Kilometer: Ein Newcomer reist auf eigene Faust um die Welt

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Coldair und die 38.000 Kilometer: Ein Newcomer reist auf eigene Faust um die Welt

Das Musikbusiness ist nicht mehr das, was es einmal war: Statt Plattenkonzernen macht das Internet nun die Stars. Und auch hochgelobte Newcomer müssen neue Wege gehen, um im Gehörgang der Zielgruppe zu landen. Der polnische Indie-Songwriter Tobiasz Bilinski hat sich nun kurzerhand seine eigene, 38.000 Kilometer lange Tour organisiert.

Wenn es ein Adjektiv für das Musikgeschäft zu Zeiten des Internets braucht, bitte, hier ist es: „unübersichtlich“. Hypes entstehen irgendwo in der Grauzone zwischen Musikblogs, gekauften Youtube-Hits und Mundpropaganda. Die ohnehin sparsamen Plattenkonzerne halten Newcomer an der kurzen Leine. Da reicht „einfach nur gute Musik“ nicht mehr zum Durchbruch. Schon lange nicht mehr. Nun braucht es Zufälle, ein wenig Glück. Der polnische Indie-Songwriter Tobiasz Bilinski (23) alias Coldair hat die notwendige Musik. Das Glück will er jetzt erzwingen. Mit „harter Arbeit“, wie er der Nachrichtenagentur spot on news verraten hat. Genauer gesagt: einer 38.000 Kilometer langen, selbst organisierten Tour durch Europa und die USA.

Denn all das zu erhalten, was es braucht, um wie die Stars der Genres um die Welt zu reisen, mit Roadie, Tourmanager und von Experten geplanter Tour-Route, das ist nicht so einfach. Selbst, und das ist das eigentlich erstaunliche an Coldairs Geschichte, wenn Kritiker und Szene-Insider eigentlich begeistert sind. „Coldair ist ein Projekt, das übersprudelt an trügerischer Einfachheit, ohne dabei Antworten zu bieten… Nur ein beeindruckend schönes Unbehagen“, hatte sich vor knapp einem Jahr „MTV Iggy“ gefreut – und Coldair zum Künstler der Woche gemacht.

Auch die Organisatoren der Indie-Messen Eurosonic in Groningen und SXSW in Austin, Texas – zwei der renommiertesten Newcomer-Sprungbretter der Welt, wenn es um Musik mit Anspruch geht – haben Bilinski bereitwillig Auftritte zugesichert. In Dallas wird er seine so eingängigen wie beunruhigenden Songs neben Indie-Helden wie Ezra Furman, den Kooks („Ooh La“) und Wye Oak vortragen dürfen. Dort anfragen musste er allerdings selbst.

Ein Schicksal, dass der Musiker mit den eiskristallkalten und komplex ausgearbeiteten Post-Folk-Songs allerdings ergeben in Kauf nimmt. „Ich bin es gewohnt, mir meine Auftritte selbst zu besorgen. Ich habe erst kürzlich angefangen, mit einem polnischen Booking-Agenten zu arbeiten. Im Rest der Welt arbeite ich schon lange auf eigene Faust – und ich mag es sogar irgendwie“, berichtet er. Es läuft ja auch ganz gut: Eine Tour von 38.000 Kilometern Länge, fast der Distanz einer Weltumrundung hat sich Bilinski um die beiden Auftritte in Holland und Texas gestrickt. Das hat „eine Menge Zeit und Energie gekostet“, wie er sagt.

Am 7. Januar geht es mit einem Auftritt in Berlin los. Erst Ende März wird die Tour beendet sein. Von der Rundreise, die einige Kollegen vielleicht als „Höllentrip“ bezeichnen würden, erhofft sich Bilinski Spaß – und einen Schritt zum Durchbruch. „Ich erwarte einen großartigen Trip, und viele unbezahlbare Erlebnisse“, sagt er spot on news. „Und ich bin glücklich, wenn die Clubs richtig packevoll sind.“

Genug Substanz um wenigstens einen kleinen Insider-Hype auszulösen, hat Coldairs Musik jedenfalls. Als ein „sehr dunkles Album, absichtlich inhuman und verstörend, das trotzdem Frieden und Wärme bietet – für alle, die genau genug hinhören“, bezeichnet Bilinski sein aktuelles Werk „Whose Blood“. Und das ist nicht die schlechteste Beschreibung. Für ein Album, das mit seinen klaren, metallischen Gitarrenläufen, sachten Erzählungen über Hassliebe, dem Rumpeln und Rattern von Umgebungsgeräuschen und gelegentlichen Bläsereinsätzen klingt, wie ein Spaziergang durch einen eiskalten Park in Warschau. Oder so, als hätten die großen Kings of Convenience Gefallen an nüchternen, kleinen Gemeinheiten gefunden. Oder Bon Iver die Gitarre ins Tiefkühlfach gelegt: Da trifft die Sehnsucht nach Schönheit auf Trauer und Abgrund.

Coldair ist ab heute für dreizehn Auftritte auch in Deutschland zu Gast:
7.1. Madame Claude, Berlin +++
8.1. Tonfink, Lübeck +++
9.1. Astra Stube, Hamburg +++
10.1. Shangl Hangl, Berlin +++
11.1. Wärmehalle Süd, Leipzig +++
14.1. Galerie Lunar, Hannover +++
15.1. Artheater, Köln +++
16.1. Kulturbunker, Bremen +++
22.1. Die Kassette, Düsseldorf +++
25.1. Kleines Spiel, München +++
26.1. Bedroomdisco, Darmstadt +++
28.1. Ostpol, Dresden +++
29.1. Aaltra, Chemnitz