Chris Jericho: „Musik ist mir wichtiger als Wrestling“

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Chris Jericho: „Musik ist mir wichtiger als Wrestling“

Keine Verschnaufpause: Zwei Jahre war Chris Jericho mit seiner Heavy-Metal-Kombo Fozzy auf Tournee, ehe er im Juni sein Comeback in der WWE gab. Es ist allerdings nur ein kurzer Abstecher zurück in den Ring. In wenigen Wochen gehen Jericho und seine Band-Kollegen schon wieder auf Reisen, um das neue Album zu promoten.

Chris Jericho lebt seinen Traum. Das macht ihn glücklich – und müde. Das Interview beginnt mit einer halben Stunde Verspätung, weil der 43-Jährige in der Nacht zuvor seine Frau und die drei Kinder von einem Flughafen abholen musste und er deswegen verschlafen hat. Schlaf ist so ziemlich das einzige, wovon er in seinem Leben zu wenig hat. Jericho, 1970 als Christopher Keith Irvine geboren, ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Wrestling-Superstars der Welt, außerdem Buchautor, Moderator seiner eigenen Radio-Show, gern gesehenes Gesicht in diversen US-TV-Shows und vor allem: Rockstar.

Seit 1999 ist er Sänger der Heavy-Metal-Band Fozzy. Anfangs als reine Cover- und Spaßband gegründet, hat sich der US-Fünfer um den ehemaligen Stuck-Mojo-Gitarristen Rich Ward über die Jahre zu einer echten Institution für radiotauglichen Heavy Metal gemausert. Auch das seit 18. Juli erhältliche „Do You Wanna Start A War“ ist ein Musterbeispiel für wuchtig produzierten und melodischen Stadion-Metal.

Für Jericho ist die Band mittlerweile das Zentrum seines umfangreichen kreativen Schaffens. Immer wieder unterbrach er in den letzten Jahren seine Wrestling-Karriere in der WWE, um mit Fozzy auf Tournee zu gehen. Auch im Interview mit spot on news lässt er keine Zweifel, dass die Musik mittlerweile für ihn an erster Stelle kommt. Außerdem verrät er, warum eine deutsche Band für seinen Künstlernamen verantwortlich ist.

Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie den Traum eines jeden kleinen Jungen leben? Sie sind Wrestling- UND Rockstar…

Chris Jericho: …und ich freue mich jeden Tag darüber. Wahrscheinlich war ich einfach verrückt genug, beiden Berufen eine Chance zu geben. Als ich mit 16 Jahren erzählt habe, ich wolle professioneller Wrestler werden, haben mich alle ausgelacht: ‚Vergiss es, du bist zu klein und zu schmächtig, das schaffst du nie.‘ Mittlerweile habe ich in dem Sport fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Als es dann mit Fozzy losging, haben die Leute gesagt: ‚Vergiss es, du bist Wrestler, kein Sänger.‘ Auch da kam mir zu Gute, dass ich nie darauf gehört habe, wenn mir jemand gesagt hat, was ich alles nicht machen kann. Ich habe einfach das gemacht, worauf ich Lust hatte. Es gibt immer noch viele Menschen, denen nicht gefällt, womit ich mein Geld verdiene. Aber das ist mir ehrlich gesagt scheißegal. Mein Leben ist cool und ich bin jeden Tag dankbar dafür, aber es steckt auch Arbeit dahinter. Wobei ich natürlich in den entscheidenden Momenten oft auch Glück hatte.

Jetzt sind Sie Musiker, Wrestler, Autor, haben Ihre eigene Show im Radio und treten gelegentlich im US-TV in Shows auf. Fehlt noch was?

Jericho: Nein. Ich wollte unbedingt im Wrestling-Business Fuß fassen und Musik machen – beides habe ich geschafft. Der Rest ist Zubrot.

Es macht den Eindruck, als wäre Ihnen die Musik mittlerweile wichtiger als das Wrestling.

Jericho: Das kann man so sagen. Ich habe zuletzt pausiert, weil ich mit Fozzy auf Tour gehen wollte. Vor ein paar Wochen bin ich dann in die WWE zurück gekehrt. Allerdings werde ich nur bis September an Bord bleiben, dann geht die nächste Tournee mit Fozzy los. Wrestling macht mir immer noch Spaß, aber nicht mehr als Full-Time-Job. Dafür ist mir die Musik momentan zu wichtig.

Seit dem 18. Juli ist Ihr siebtes Studioalbum „Do You Wanna Start a War“ erhältlich. Wie sind die Reaktionen bisher ausgefallen?

Jericho: Sehr gut. Das Album ist wahnsinnig vielseitig geworden. Es gibt harte Momente, poppige Songs, das Album ist düster, sexy und heavy. Die einzige Regel beim Songwriting war: keine Regeln!

In jedem Fall interessant ist auch das Abba-Cover. Wie sind Sie denn drauf gekommen, eine Rock-Version von „S.O.S.“ einzuspielen?

Jericho: Die Idee kam mir nach einem Auftritt in Deutschland. Ich hatte meinen iPod auf Zufallswiedergabe gestellt und plötzlich lief „S.O.S.“ Da fiel mir auf, was für ein genialer Song das ist – was für ein fantastisches Riff, bevor der Refrain losgeht! Es hat einfach gepasst. Zumal wir ein Lied wollten, das zwar jeder kennt, mit dem aber niemand rechnet.

Keine Angst, dass zu viel Pop und Melodie die Fans verschrecken könnten?

Jericho: Es geht uns immer um die Melodie! Bei Fozzy ist das vielleicht in manchen Songs offensichtlicher als in anderen. Aber letztendlich geht es auch bei vermeintlich harten Bands nur um eine harmonische Songstruktur: Selbst Slayers „Angel of Death“ ist melodisch, wenn man genau hinhört. Es ist eben eine Frage, wie man das verkauft. Mir ist natürlich schon klar, dass ein Song wie „Lights Go Out“ von manchen kritisch gesehen wird, weil er auch in einer Rock-Disco oder im Radio läuft. Aber wie gesagt: Uns macht es Spaß, vielseitig zu sein. Zumal es auch wichtig ist, dass man Songs im Angebot hat, die Frauen gefallen: Denn wenn die Frauen zu den Shows kommen, werden die Männer folgen.

Als einen großen Einfluss haben Sie einmal die deutsche Metal-Band Helloween genannt.

Jericho: Irgendwann in den 1980ern, als ich etwa 14 Jahre alt war, bin ich mit einem Kumpel in einen Plattenladen gegangen. Damals gab es gerade jede Menge neue Heavy-Metal-Bands und wir wollten uns welche aussuchen, die wir noch nicht kannten. Ich holte mir eine LP von Raven und er griff zum ersten Helloween-Album „Walls of Jericho“. Als wir die Platte zum ersten Mal miteinander anhörten, hat es mich fast umgehauen. Die Musik klang, als hätten sich Metallica und Iron Maiden in einer Band zusammengetan. Schnell, heavy und sehr melodisch. Allerdings hat mir der Gesang nicht so gefallen, das wurde erst mit Michael Kiske und „Keeper of the Seven Keys“ besser. So wurde ich zum großen Helloween-Fan. Für mich sind sie nach wie vor eine der besten Power-Metal-Bands der Welt.

Haben Sie sich in Anlehnung an den Albumtitel dann auch Chris Jericho genannt, als Sie mit dem Wrestling begonnen haben?

Jericho: Ja! Vor meinem ersten Match 1999 habe ich nach einem Namen gesucht, mir fiel aber nichts ein. Da habe ich im Auto die „Walls of Jericho“-Kassette von Helloween entdeckt. Dann habe ich den Verantwortlichen einfach „Chris Jericho“ vorgeschlagen, hat Ihnen zum Glück gefallen. Nachdem das so gut geklappt hat, konnte ich meinen Finishing Move dann auch „Walls of Jericho“ nennen. Mittlerweile habe ich mir das Bandlogo sogar auf den Arm tätowieren lassen. Wenn ich es mir recht überlege, bin ich vermutlich der größte Helloween-Fan, der rumläuft.

Was waren die Highlights, wenn Sie auf die letzten Jahre mit Fozzy zurückblicken?

Jericho: Mit „Sin and Bones“ waren wir zwei Jahre in 17 Ländern auf Tour, wir sind im Vorprogramm von Metallica aufgetreten. Wir haben familiäre Clubshows in London und Berlin gehabt und haben vor zig tausend Menschen in Wacken gespielt. Es ist schwer, da Highlights rauszupicken, denn mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, welche Entwicklung die Band in den letzten Jahren genommen hat.

Sie waren auch mit Slayer auf Tour. Würden Sie gegen Kerry King in den Ring steigen?

Jericho: Klar, er ist doch nur ein großer Teddybär, der ein bisschen böse aussieht. Vermutlich würden wir uns totlachen, wenn wir uns im Ring gegenüber stehen würden.

Wie halten Sie sich während der Tourneen fit? Das klassische, exzessive Rock-Star-Leben dürfte sich ja nur schwer mit Leistungssport vertragen.

Jericho: Natürlich muss ich auf meinen Körper achten, darf nicht zu viel Party machen und muss mich vernünftig ernähren. Nicht nur, um in Form zu bleiben, sondern auch, um meine Stimme zu schonen. Es ist aber auch so, dass ein Gig mit Fozzy im Grunde genauso anstrengend ist, wie ein Wrestling-Match. Ich würde sogar sagen, dass ich auf der Bühne mehr schwitze, als im Ring.