Bosse: „Ich hatte ein Billy-Regal, zwei Pappkartons und keine Kohle“

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Bosse: „Ich hatte ein Billy-Regal, zwei Pappkartons und keine Kohle“

7.000 Menschen in der restlos ausverkauften Hamburger Sporthalle und ein überwältigter Axel "Aki" Bosse: Am Freitag erscheint mit "Kraniche - Live in Hamburg" der neue Longplayer der deutschen Indie-Pop-Größe. Im Interview erzählt der Wahl-Hamburger, warum dieses Konzert so besonders war, wann er sich das letzte Mal so richtig einsam gefühlt und was es mit dem Kranich auf sich hat.

Fünfzehn lange Jahre dauerte es, bis Aki Bosse (34, „Kraniche“) sich von schlecht besuchten Konzerten in kleinen Kneipen bis hin zum ausverkauften Konzert in der Hamburger Sporthalle im vergangenen Dezember hochgearbeitet hat. „Ich werde den Abend nie vergessen! Das ist extrem großes Kino, das geht voll in den Körper“, bedankt sich Bosse auf seiner neuen CD. Denn genau diesen besonderen Moment hat er jetzt auf ein Live-Album gebannt – am heutigen Freitag erscheint „Kraniche – Live in Hamburg“, ein Querschnitt durch sämtlich Bosse-Highlights.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news sprach Axel „Aki“ Bosse über seine Zeit in Berlin, was Heimat für ihn bedeutet und was es eigentlich mit dem Kranich auf sich hat.

Warum machen Sie Musik?

Axel Bosse: Aus Perspektivlosigkeit. Ich bin sehr dörflich aufgewachsen, hatte aber nie Lust mich der Freiwilligen Feuerwehr anzuschließen oder andere Sachen zu machen, die man als Jugendlicher auf dem Land eben unternimmt. Mit ein paar Gleichgesinnten habe ich dann eine Band gegründet. Ich bin Schlagzeuger geworden und habe gemerkt, dass mir das echt Bock bringt, zusammen Musik zu machen. Und das ist bis heute so: Es gibt wenige Dinge, die mir mehr Freude bereiten als Musik.

In einem früheren Interview sagen Sie „Ich hab keinen Bock mich zu wiederholen“. Jetzt kommt das Live-Album mit den Highlights Ihrer bisherigen Alben heraus. Ist das keine Wiederholung?

Bosse: Nein, denn ich wiederhole mich eigentlich ganz gerne – nur nicht musikalisch. Alles was auch nur so ein paar Prozent anders ist, ist für mich schon eine neue Welt. Dieses Leben zwischen A-Moll und C und G, das langweilt mich sehr schnell. Und mich langweilen Bands, die immer dasselbe Album schreiben. Das versuche ich zu vermeiden. Ein Live-Album herauszubringen, hat für mich nichts mit Wiederholung zu tun. Vieles hört sich live anders an und viele alte Stücke kommen ganz frisch daher.

Ihr erstes Album „Kamikazeherz“ erschien im Jahr 2005. Was hat sich seither in Ihrem Leben verändert?

Bosse: Ich habe eine kleine Familie gegründet, habe ein ganz schönes Zuhause, bin aus Berlin weg gezogen und wohne jetzt in Hamburg, wo wir uns ziemlich wohlfühlen. Rein musikalisch habe ich meine Art gefunden, Lieder zu schreiben. Ich weiß inzwischen, was ich machen und sagen möchte. Auch wenn wir als Band wichtige Konzerte spielen, hat sich diese Entspannung eingestellt. Das Umfeld Bosse ist eine eingeschworene Truppe, die jetzt seit vielen Jahren unterwegs ist und die nichts mehr schocken kann. Es geht ziemlich lustig, entspannt und familiär zu.

Wirkt sich das auch auf Ihre Alben aus? Bemerkt man diese Entstehung von Vertrautheit an den einzelnen Platten?

Bosse: Das gilt nur für die Live-Auftritte. Ich arbeite für meine Alben fast nie mit der Band zusammen. Die kommt erst dazu, wenn es um das Einspielen der Songs geht. Die Auswirkung auf ein Album haben nur ich oder der Produzent, mit dem ich es mache. Erst wenn wir wirklich ein Klavier brauchen, dann kommt die Band dazu.

Was war das Besondere an diesem Konzert in Hamburg, das auf dem Live-Album zu hören ist?

Bosse: Bei diesem Konzert waren einfach alle da, mit denen ich bis jetzt als Bosse Musik gemacht habe. Zum Beispiel die Cellistin, mit der ich früher Unplugged-Konzerte gespielt habe und die mittlerweile schon seit Jahren in Frankfurt im Orchester spielt. Mein ganzer Freundeskreis war zwei Songs lang zusammen auf der Bühne, unter anderem die Mädels von BOY, Sebastian Madsen und Kim Frank. Und wir haben im tollen Hamburg gespielt, wo wir einfach immer Heimspiele feiern. Es war der Abschluss eines tierisch krassen Jahres.

Was bedeutet Heimat für Sie im Allgemeinen?

Bosse: Heimat ist für mich der Ort, an dem meine Tochter zu Schule geht und Cello-Unterricht hat – oder Kung-Fu-Unterricht oder was auch immer. Erst seit ich Vater bin, habe ich das Gefühl in Hamburg wirklich angekommen zu sein – für Kinder ist es wichtig, ein festes Umfeld zu haben. Aber natürlich habe ich auch Heimatgefühle, wenn ich zu meinen Eltern Richtung Braunschweig fahre und an meine Kindheit erinnert werde.

Ihr Song „3 Millionen“ beschreibt die Einsamkeit in einer großen Stadt. Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig einsam gefühlt?

Bosse: Manchmal fühle ich mich einsam, wenn ich zu lange auf Tour bin und meine Familie vermisse. Zum Beispiel wenn ich mir nachts in meiner Nightliner-Koje den Kopf stoße, aufwache und denke: „Ich muss bald mal wieder nach Hause“. Zu meiner Zeit in Berlin war die Einsamkeit schon prekärer. Ich war 23, hatte ein Billy-Regal, zwei Pappkartons und keine Kohle. Ich habe ganz viel Döner gegessen, viel getrunken und wusste überhaupt nicht wie es weiter geht – weder in der Musik, noch in der Liebe. Das ist ein anderes Einsam-Sein, als mal für ein paar Tage allein zu sein, aber zu wissen, dass zu Hause alles gut ist.

Sie haben Teile Ihres Albums „Kraniche“ in Istanbul geschrieben und der Stadt einen Song gewidmet. Was ist das Besondere an der Bosporus-Metropole?

Bosse: Man kann eineinhalb Stunden auf dem Bosporus entlangfahren und die Stadt hört einfach nicht auf. Ich weiß nicht, ob es einen Menschen gibt, der schon mal ganz Istanbul gesehen hat. Auf den ersten Blick herrscht dort so ein Gewusel, dass einem schwindelig wird. Und Istanbul ist sehr jung. Man kann das vielleicht mit dem Berlin der 80er Jahre vergleichen. Alle jungen Leute, die ich kennen gelernt habe, hatten irgendeine Idee. Sie haben Cafés aufgemacht, Agenturen gegründet oder Theater gespielt. Eine ziemliche Aufbruchsstimmung.

Sie verwenden in Ihren Songs ziemlich oft Tiere als Sinnbilder. Für was steht der Kranich?

Bosse: Der Kranich ist ein Zugvogel. Ich finde, das ist ein schönes Bild – durch die Luft zu fliegen und dann wieder dorthin zurückzukommen, wo man war. In der japanischen Mythologie steht der Kranich für Glück und Langlebigkeit. Das fand ich ein gutes Omen für meine Musik, weil ich das gerne noch machen möchte bis ich alt werde. Außerdem ist er ein guter Tänzer, vor allem wenn er balzt. Und es ist einfach ein Naturerlebnis, wenn man ein paar tausend Kraniche über seinen Kopf hinweg ziehen sieht und der Himmel schwarz wird. Das ist fast so schön als würde man einen Wal sehen.

Ein anderes Lied heißt „Alter Affe Angst“. Wieso ist die Angst ein Affe?

Bosse: Ich wollte der Angst ein Gesicht geben, aber ich hatte das Gefühl, dass man die Angst mal auf die Schippe nehmen sollte. Man sagt ja zum Beispiel auch „einen Affen schieben“. Der Affe tanzt, ist alt und sieht witzig aus. Dadurch wird das Paranoide und Krasse aus diesem Lied entwertet und aufgehoben.