„Birdman“: Der Preis des Ruhms

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„Birdman“: Der Preis des Ruhms

Mit einer Oscar-Nominierung für Michael Keaton hat vor einigen Jahren niemand gerechnet, am wenigsten wohl Keaton selbst. Doch seine Darbietung in "Birdman" ist derart gelungen, dass er sich trotz harter Konkurrenz berechtigte Hoffnungen auf den Goldjungen machen darf.

Noch befindet sich das Kino-Jahr 2015 in den Kinderschuhen. Ohne sich aber allzu weit aus dem Prognose-Fenster lehnen zu müssen, kommt mit Alejandro González Iñárritus Film „Birdman“ am 29. Januar bereits einer der besten Filme des Jahres in die deutschen Kinos. Technisch beeindruckend, schauspielerisch überragend und gleichzeitig herrlich bissig und selbstreflexiv. In anderen Worten: Neun Oscar-Nominierungen, die allesamt ihre Daseinsberechtigung haben.

Nichts währt ewig

„What goes up must come down“ – Die Gesetze der Schwerkraft gelten auch im Showgeschäft, wie der abgehalfterte Schauspieler Riggan (Michael Keaton) auf schmerzlichste Art und Weise erfahren musste. Denn je höher der Flug, desto tiefer der Fall: Riggan war einst ein Superheld, er war „Birdman“. Damals weltweit für seine Rolle bewundert und geliebt, geriet er im Alter wie so viele ehemalige Kino-Helden in Vergessenheit. Sein größtes Zeichen der Integrität zu Beginn des Films ist es, seinerzeit „Nein“ zu „Birdman 4“ gesagt zu haben – doch das soll sich ändern.

Alle Beteiligten gehen an ihre Grenzen

Riggan will sich noch ein letztes Mal gegen das knallharte Showbiz auflehnen und beweisen, dass er noch da ist, es noch immer drauf hat. Gemeinsam mit Freund Jake (Zach Galifianakis), den Schauspielerinnen Lesley (Naomi Watts) und Laura (Andrea Riseborough) sowie dem Selbstdarsteller Mike (Edward Norton) hat er sich ein beinahe hoffnungslos ambitioniertes Projekt vorgenommen: Er will die Kurzgeschichte „What We Talk About When We Talk About Love“ von Raymond Carver ins Theater bringen und nebenher noch die Hauptrolle übernehmen.

Gegen alle Widerstände

Von den „echten“ Theaterschauspielern wird er belächelt, von der Kritikerin Tabitha gar offenkundig gehasst. Denn was bildet sich diese Witzfigur aus Hollywood ein, das Theater erobern zu wollen? Den Verriss hat sie quasi prophylaktisch schon geschrieben, ob das Riggans Ruin bedeutet, ist ihr herzlich egal. Aber ein Ass hat der Schauspieler dank des Mutes der Verzweiflung noch im Ärmel.

Riggan flüchtet sich zunehmend in seine Tagträume

Aus „Batman“ wird „Birdman“

Wer außer Michael Keaton hätte die Rolle des ehemaligen Superhelden mimen können, der es noch einmal zurück ins Rampenlicht schaffen will? Denn Keaton ist Riggan, „Batman“ ist „Birdman“. Ende der 80er und Anfang der 90er durfte der Schauspieler in die Rolle von Tim Burtons Fledermaus-Mann schlüpfen, kurz zuvor den erfrischend schrägen „Beetlejuice“ mimen. Doch danach wollte die rasante Karriere nicht von Bestand bleiben, mit wenigen Ausnahmen reichte es nur für einige seichte Komödien. Eben diese Selbstreferenz ist es, die „Birdman“ ebenso bezaubernd wie berührend macht. Der Kampf um Anerkennung und die Bereitschaft, dafür notfalls den ultimativen Preis zu zahlen: Ein ganzes Stück weit scheint das auch Keatons Hintergrund bei „Birdman“ zu sein – und jetzt ist er für den Oscar nominiert.

Auf der nahenden Premiere ruhen alle Hoffnungen

Wer braucht schon Schnitte?

Zunächst fällt es gar nicht auf, doch spätestens nach zehn Minuten wundert sich auch der letzte Zuschauer: Wie von Geisterhand schwebt die Kamera durch die engen Hallen des Theaters, in dem der Großteil der Handlung stattfindet, folgt dabei den unterschiedlichen Protagonisten bei ihrem regen Treiben und wird allem Anschein nach bis zum Schluss von keinem einzigen Schnitt unterbrochen. Selbstredend wurde hierbei getrickst, kein zweistündiger Film kann als „One Shot“ gedreht werden. Dass aber keiner der versteckten Schnitte auffällt, ist nicht minder als eine technische Meisterleistung. Natürlich ist das alles nicht einmalig in der Filmgeschichte, was ist das heutzutage schon? Alfred Hitchcock („Das Fenster zum Hof“) machte etwas Ähnliches bereits 1948 mit seinem Experimentalfilm „Rope“. Doch in Zeiten von generischen Sequels, Prequels und Reboots ist der geneigte Cineast über jede vermeintliche Innovation dankbar – vor allem, wenn sie derart gut umgesetzt wird wie in „Birdman“.

Willkommen zurück, Herr Keaton

Ob Norton, Watts oder Emma Stone, die Riggans Tochter Sam spielt – sie alle liefern in „Birdman“ eine tolle Leistung ab. So ist Norton für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert, Stone als beste Nebendarstellerin. Vor Keaton müssen sie aber dennoch allesamt den Hut ziehen. Wie seine Rolle beweist er, dass Totgeglaubte oftmals länger leben. Von väterlichen Pflichten zu schauspielerischen Ambitionen bis hin zu stetig wachsendem Wahnsinn durchläuft Keaton alle Gefühlswelten. Gerade der psychische Verfall der Hauptfigur ist herrlich in Szene gesetzt. Zu Beginn des Films schwebt Riggan im Schneidersitz in seiner Umkleide, während ihn das Poster seiner einstigen Paraderolle hämisch aufzieht, später fliegt er voller Euphorie durch die Straßen von New York. Doch je mehr der Zuschauer vom Film sieht, desto weiter rückt die Güte von Riggans Hirngespinste vom Urkomischen hin zum Tragischen.

Riggan ringt um Anerkennung und mit dem Wahnsinn

Manchmal ist weniger mehr

Bevor ein falscher Eindruck entsteht, soll gesagt sein, dass „Birdman“ alles andere als ein effekthaschender Film ist. Bis auf wenige Ausnahmen sind bombastische Szenen Mangelware, der Film konzentriert sich grundsätzlich sehr ruhig auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der Protagonisten, und das ist auch gut so. Vielleicht hätte der Grundsatz „weniger ist mehr“ auch auf das Ende des Films angewandt werden können. Doch ob „Birdman“ rund fünf Minuten früher enden sollte oder nicht, daran dürfen sich die Cineasten-Geister ruhig scheiden – genügend Gesprächsstoff gibt es nach dem Abspann allemal.

Fazit

Wer keine stundenlangen Action-Sequenzen braucht, um sich im Kino unterhalten zu fühlen und stattdessen einen gleichwohl bezaubernden wie selbstreferentiellen Film sehen will, der kommt an „Birdman“ nicht vorbei. Inhaltlich und technisch hervorragend wird dem Showbiz der Spiegel und so seine zuweilen hässliche Fratze vorgehalten, an der schon viele Existenzen zugrunde gingen. Gleichzeitig verströmt Iñárritus‘ Werk einen beinahe irrealen Optimismus. „What goes up must come down“? – Nicht ganz, hin und wieder lernen wir zu fliegen.