Bill Kaulitz: „Es war Zeit für etwas Neues“

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Bill Kaulitz: „Es war Zeit für etwas Neues“

Nach fünf Jahren bringen Tokio Hotel ein neues Album auf den Markt. "Kings of Suburbia" überrascht mit poppigem Elektro-Sound und einem viel diskutiertem Musikvideo zur Single. Welche Message die Band der Welt damit näher bringen möchte, verraten sie im Interview mit spot on news.

Tokio Hotel haben ein neues Album herausgebracht. „Kings of Suburbia“ klingt verdächtig anders als die früheren Platten der Jungs. Die Songs sind nicht nur elektronischer und poppiger. Mit der neuen Single „Loves who loves you back“ setzen die Jungs aus Magdeburg ein klares Statement. Mit der Nachrichtenagentur spot on news haben Bill Kaulitz (25) und Gustav Schäfer (26) über Schubladen-Denken gesprochen. Außerdem erklären sie, warum es Zeit für eine Veränderung war.

Das Video zu „Love who loves you back“ hat für eine Menge Furore gesorgt. Bill, viele Leute wollten wissen, ob Sie bisexuell sind. Sie haben sich für eine Liebe unabhängig vom Geschlecht ausgesprochen. Warum brauchen die Menschen heutzutage noch ein Label dafür?

Bill Kaulitz: Das ist eine gute Frage, die ich mir auch stelle. Ich verstehe das nicht. Meine Message ist: Lasst uns das nicht betiteln und nicht immer so zum Thema machen. Jeder kann lieben, wen er will – ohne das an die große Glocke zu hängen. Das können wir sowieso nicht selbst bestimmen, Liebe entscheidet unser Herz. Das merkt jeder irgendwann.

Man kann das ja auch nicht voraussagen…

Kaulitz: Genau. Wer weiß, vielleicht laufe ich gleich aus dem Hotelzimmer und treffe die Liebe meines Lebens. Solche Begegnungen können ja auch alles verändern. Deshalb finde ich es schwierig, das am Geschlecht oder der Religion festzumachen oder das in irgendeiner Art und Weise zu limitieren.

Denken die Menschen zu sehr in Schubladen, zu schwarz-weiß?

Gustav Schäfer: Definitiv.

Kaulitz: Absolut. Meiner Meinung nach sollte man viel, viel offener für jede Art von Liebe sein. Dieses Schubladen-Denken finde ich langweilig. Früher haben die Leute immer zu mir gesagt: „Als Junge kannst du das nicht anziehen und auch kein Make-up tragen.“ Ich finde, das gilt sowohl in Bezug auf Mode, als auch auf Liebe und Sexualität. Jeder sollte es so machen, wie es sich richtig und gut anfühlt.

Wie kann man diese Muster aufbrechen?

Kaulitz: Man kann das nur anstoßen. Wir machen das mit dem Video ja auch nicht zu ernst, es gibt auch lustige Details darin. Wir versuchen einfach, dazu anzuregen und wollen sagen: Entspannt euch alle!

Ihr neues Album heißt „Kings of Suburbia“ – Könige der Vorstadt. Was hat es mit diesem Titel auf sich?

Kaulitz: Wir kommen selber aus dem tiefsten Suburb, mit Vorstädten kennen wir uns also aus. Und dann geht es um dieses Gefühl, wenn man zusammen gerade einen geilen Song aufgenommen hat. Man fühlt sich als König seiner Welt und seines Universums. Wenn man aber von oben auf die Welt guckt und die Milliarden Menschen mit ihren kleinen Mikrokosmen sieht, verliert das an Bedeutung. Dieses Gefühl hatten wir auch, als wir die Platte aufgenommen haben.

Das neue Album klingt anders als Ihre früheren Sachen. Wie würden Sie den Sound der neuen Platte beschreiben?

Schäfer: Geil.

Kaulitz: Sehr viel elektronischer. Wir waren viel feiern in L.A. und haben uns von DJs, Festivals und elektronischer Musik inspirieren lassen. Wir haben viel herumexperimentiert, wir hatten ja viel Zeit. Zum ersten Mal haben wir auch selber produziert. Das hat uns als Musiker vorangebracht. Auch ich als Sänger habe neue Sachen ausprobiert. Wir haben uns davor einfach gelangweilt, es war Zeit für etwas Neues.

Ist es wichtig, sich als Künstler immer wieder neu zu erfinden?

Kaulitz: Total! Es sollte auf keinen Fall gezwungen sein, aber bei uns ist das ganz natürlich entstanden. Die Songs auf dem Album sind wie ein „Best-Of“ aus den letzten vier Jahren. Wir hatten nach dieser Zeit so viele Songs und haben überlegt: Was wäre das stärkste und beste Album? So haben wir die Songs dann zusammen gestellt.

Das Album ist in vielen Ländern auf Platz eins. Denken Sie, dass Sie Ihre früheren Fans musikalisch überzeugt haben? Oder kaufen die das Album wegen des Namens Tokio Hotel?

Kaulitz: Der Pre-Sell lief ja schon sehr gut an, also als noch gar keine Musik draußen war. Auch die Deluxe-Version war schnell ausverkauft. Da haben natürlich viele Fans gekauft ohne die Songs zu kennen. Jetzt bekommen wir positives Feedback von den Fans aber auch von Leuten, die neu dazu kommen. Sie finden dann den Song einfach toll und kaufen ihn. Die wollen dann das Album, weil ihnen die ersten drei Songs so gut gefallen.

Haben Sie einen Lieblingssong auf der Platte?

Kaulitz: Das ist schwer zu sagen: Zu jedem Song gibt es eine Geschichte und wir haben ja auch mit jedem Song viel Zeit verbracht. Generell ist aber von uns allen die Lieblingsnummer. Darum ist es auch die Single geworden. „We found us“ ist mein persönlicher Lieblingssong.

Worum geht es in dem Song?

Kaulitz: Es geht um ein bestimmtes Gefühl: Ich gehe unglaublich gerne raus und gerne feiern, noch mehr als die anderen Jungs und Tom. Wenn ich am Wochenende nicht arbeite, kann ich zum Beispiel nicht einfach zuhause sitzen. Ich muss unter Menschen, ich werde sonst depressiv. Ich glaube die meisten von uns mögen das. Ich denke, die Menschen sind nicht dazu gemacht, alleine zu sein. Der Song beschreibt, dass all diese Leute nachts nach etwas suchen. Alle Leute gehen raus, um etwas zu finden. Und im Song haben sich zwei Menschen im Club gefunden.

Bei „Kings of Suburbia“ singen Sie: „Die Dinge akzeptieren, die man nicht ändern kann. Und das ändern, was man ändern kann.“ Welche Dinge muss man akzeptieren im Leben?

Kaulitz: Das ist ein Gebet, das ich schon ganz lange toll finde und in den Song eingebaut habe. Ich habe es nicht selber geschrieben. Für mich ist das die größte Aufgabe im Leben: Zu lernen, dass man Dinge auch akzeptieren und ruhiger werden muss. Ich bin in jeglicher Hinsicht ein totaler Control-Freak. Ich kann nichts aus der Hand geben, vor allem beruflich nicht. Außerdem habe ich ein starkes Autoritätsproblem: Ich kann nicht damit umgehen, wenn Leute mir sagen, was ich machen soll oder was ich anziehen soll, was richtig und was falsch ist. Ich bin sehr selbstbestimmt. Wenn ich mich eingeengt fühle, kann ich schnell mein Gesicht wechseln, dann werde ich ein anderer Mensch. Freiheit ist für mich das allerwichtigste im Leben. Es gibt aber auch Dinge im Leben, die kann man einfach nicht bestimmen, zum Beispiel eben Liebe. Aber auch beruflich. Manchmal passieren mir Dinge, bei denen ich mir denke: „Entspann‘ dich! Du musst das jetzt so hinnehmen und kannst nichts daran ändern.“ Man wünscht sich die Gelassenheit, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie kommen. Und das ist nicht einfach.