Berlin Boom Orchestra: Gameboy nach dem Sex? „Kam nicht gut an“

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Berlin Boom Orchestra: Gameboy nach dem Sex? „Kam nicht gut an“

Das Berlin Boom Orchestra kombiniert tanzflächentauglichen Reggae mit schwerer politischer Kost. Zwischendurch darf es aber auch mal um exzessives Gameboy-Zocken gehen - auch wenn die Freundin von Frontmann Filou das nicht in jeder Situation gerne sieht, wie er im Interview verrät.

Das Berlin Boom Orchestra bringt auf seinem neuen Album „Kopf, Stein, Pflaster“ mit einer mächtigen Reggae-Walze die Tanzflächen zum Beben und macht dabei keinen Hehl aus seiner politischen Einstellung: Das Herz der achtköpfigen Band schläg eindeutig links, links außen. Die Nachrichtenagentur spot on news hat sich mit Sänger Filou über den Ordnungswahn der Berliner Verkehrsbetriebe, die deutsche Flüchtlingspolitik und den Gameboy als Alternative zur „Zigarette danach“ unterhalten.

Beim Anhören von „Kopf, Stein, Pflaster“ musste ich ab und zu ein wenig an Seeed denken. Zählen die zu Ihren Vorbildern?

Filou: Reggae, Berlin, Lyrics auf Deutsch – natürlich denkt man da an Seeed und die haben uns auf jeden Fall mitgeprägt. Ich weiß noch genau, wie ich vor über zehn Jahren „New Dubby Conquerors“ gefeiert habe. Das klang einfach so fett! Aber die Lyrics haben mir nie so viel gegeben und ich war schon damals ein Word-Nerd. Für meine musikalisch-textliche Entwicklung waren zum Beispiel Deutschpunk, Ska und Rap, aber auch Dub Poetry von Linton Kwesi Johnson wichtiger. So richtige Vorbilder, denen wir nacheifern, haben wir als Band nicht. Wir orientieren uns mehr an einem bestimmten Groove, den wir erreichen wollen.

Sie positionieren sich politisch ziemlich eindeutig. Was ist Ihnen wichtiger, die Musik oder die Botschaft?

Filou: Wir wollen niemanden bekehren oder von der Richtigkeit unserer Argumente überzeugen. Wir vertreten eigentlich wenig klare Botschaften, sondern stellen eher Fragen und üben Kritik. Denken und für sich entscheiden müssen die Leute schon selber. Würden wir nur eine Botschaft verkünden wollen, bräuchten wir die Mucke nicht, also ist die Musik natürlich die Hauptsache. Aber Lyrics und Groove greifen bei uns Hand in Hand. Auch die Musik hat eine „Botschaft“, die man erspüren kann. Reggae ist eine freudige, kraftvolle und immer schon tendenziell rebellische Musik. Kraftvolle Reggae-Grooves und eine klare politische Haltung einnehmen – das passt gut zusammen.

Die Reggae-Szene hat ein gewisses Problem mit Homophobie und Sexismus. Wie gehen Sie damit um?

Filou: Homophobie und Sexismus gibt es längst nicht nur im Reggae, sondern das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, wie man so schön sagt. Aber wir setzen da an, wo wir uns bewegen. Auf so einem Reggae-Festival hört man den ganzen Tag „One Love“ und „Freedom“ – da kann man dann gut ansetzen, wenn man fragt, warum das denn bitte ausgerechnet nicht für Schwule und Lesben gelten sollte? Darüber hinaus unterstützen wir die von unseren Freunden von Irie Révoltés gegründete Kampagne „Make Some Noise – Homophobia and Sexism out of my Music“. Die Kampagne versucht, durch Aufklärung das „politische“ Klima in der Subkultur zu verändern und eine Alternative zum homophob-sexistischen Mainstream zu bieten.

Sie haben auch den Berliner Verkehrsbetrieben und ihrem Maskottchen „Betty“ einen Song gewidmet. Was war der Anlass dafür?

Filou: Ich fahre jeden Tag U-Bahn und Bus, weil ich ein fauler Hund bin und keinen Führerschein habe. Aber ich finde es abscheulich, dass in einer Stadt, in der so viele ins gesellschaftliche Abseits gedrängt werden, die sogenannten „öffentlichen“ Verkehrsbetriebe zwar steuerlich finanziert, aber nicht umsonst sind. Aber „Betty“ handelt eigentlich gar nicht von der BVG, sondern nimmt den allgegenwärtigen Wahn von Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung ins Visier – also diese ständige Disziplinierungsdrohung, die man heute in die Mittel der Werbung verkleidet, nämlich als paarungswillig dargestellte Frauen. Die Bilder sagen nicht mehr: „Gib Ruhe, sonst kommst du in den Knast“, sondern sie säuseln: „Wenn du artig bist, blas ich dir einen.“

In „Mörder“ beschäftigen Sie sich mit der deutschen Flüchtlingspolitik. Inzwischen bietet Deutschland dabei ein recht zwiespältiges Bild mit „Willkommenskultur“ auf der einen, Asylrechtsverschärfung und Grenzkontrollen auf der anderen Seite. Ihr Kommentar dazu?

Filou: Das Bild ist gar nicht mehr so zwiespältig, wenn man anguckt, nach welchen Kriterien das Thema bewertet wird. Überwiegend geht es doch darum, was „uns“ nützt. Der Umgang mit Flucht und globaler Ungleichheit ist von Rassismus, Nationalismus und Verwertbarkeitsdenken bestimmt. Das Elend der Flucht fällt nicht vom Himmel, sondern ist eine direkte Konsequenz der europäischen Abschottung, die maßgeblich von Deutschland forciert wird. Gegen die Abschottung hat sich in den letzten zehn Jahren in Deutschland allerdings kaum jemand gewehrt. Seien wir doch ehrlich: Mit der Ungleichheit lässt es sich doch ganz gut leben, so lange die nicht deinen Vorgarten verschandelt.

Ist es nicht trotzdem zunächst mal positiv, dass sich etwa in München so viele Leute spontan bereit erklärten, den eintreffenden Flüchtlingen zu helfen?

Filou: Ich finde es gut, dass viele Menschen jetzt Humanismus demonstrieren und Butterbrote schmieren. Aber die Hilfsbereitschaft bleibt so lange paternalistisch und nationalistisch, so lange die nationalen Verwertungsinteressen und die Sondergesetze für Asylbewerber von der deutschen Bevölkerung nicht selbst- und rassismuskritisch angegriffen werden und so lange nur über Flucht, aber nicht mit den Geflüchteten geredet wird. Ich will keine gönnerhaft gewährte Willkommenskultur, die nur Begleitmusik für den deutschen Griff nach der Macht in Europa ist, sondern eine Kultur des universalen Rechts. Ich fordere für alle Menschen ein Recht auf Leben und zwar auf ein gutes.

In „Retro“ beschreiben Sie sich als leidenschaftlichen Gameboy-Fan – „Gameboy nach dem Sex, meine Perle droht mit Schlussmachen“, heißt es da unter anderem. Sind Sie wirklich so ein exzessiver Zocker?

Filou: Nicht wirklich, nein. Aber alles schon mal vorgekommen. So meine Version der „Zigarette danach“. Kam nicht gut an (lacht). Jamaikanische Reggae-Artists singen vom Leben im Ghetto, von der alltäglichen Gewalt und der krassen Armut, die sie seit der Kindheit geprägt haben. Ich komme aus dem bürgerlichen Westberlin und durfte nach dem Geigen-Unterricht in Ruhe „Super Mario“ zocken. Also singe ich darüber, anstatt etwas zu kopieren, von dem ich keinen Schimmer habe. Spielen und nerdig sein gilt ja vielen als kindisch und uncool – ich finde die Nerd-Kultur aber sehr liebenswert. Letztes Jahr haben bei einem Konzert dutzende Menschen im Publikum zu Beginn von „Retro“ gemeinsam ihre Gameboys eingeschaltet, so dass das charakteristische „Pling!“ durch die Halle schallte. Swagger!