Bei „Crimson Peak“ scheiden sich die Geister

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Bei „Crimson Peak“ scheiden sich die Geister

Einen derart gut besetzten Horror-Film wie "Crimson Peak" hat man seit "Dracula" nicht mehr gesehen, das steht fest. Die Handlung kann da leider nicht annähernd mithalten.

Wie gut können Sie sich noch an den Englisch-Unterricht erinnern? Vielleicht an einen Auszug aus Shakespeares „Macbeth“ oder an eine Passage von Hemingways „Der alte Mann und das Meer“? Je nachdem, wie gut einst Edgar Allan Poes Kurzgeschichte „Der Untergang des Hauses Usher“ gefiel, wird man entweder nostalgisch zufrieden oder leicht enttäuscht aus Guillermo del Toros neuem Film „Crimson Peak“ kommen, der ab 15. Oktober durch die Kinos spukt. Denn der Streifen mit Tom Hiddleston, Jessica Chastain und Mia Wasikowska in den Hauptrollen ist ein gotisches Horror-Märchen in Reinform und wirkt zuweilen so alt wie das Genre selbst.

30-Zimmer-Wohung, Küche, Verlies

England im 19. Jahrhundert: Die junge Autorin Edith Cushing (Wasikowska) ist noch nicht lange mit Sir Thomas Sharpe (Hiddleston) verheiratet, doch schon kommen ihr erste Zweifel, ob ihr so ungemein charmanter Ehemann wirklich der ist, der er zu sein scheint. Und auch seine ebenso undurchsichtige wie unterkühlte Schwester Lady Lucille Sharp (Chastain), die gemeinsam mit den beiden das einsame Anwesen im Norden Englands bewohnt, führt ganz offensichtlich etwas im Schilde.

Zudem spürt Edith noch immer die Nachwirkungen einer schrecklichen Familientragödie. Durch ihr neues Leben versucht sie, die Geister der Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen, wird dabei aber von gänzlich neuen Erscheinungen heimgesucht. Immer wieder tauchen grausame Kreaturen vor ihr auf, die ihr offenbar nach dem Leben trachten. Doch vor wem muss sich Edith wirklich fürchten? Den Geistern oder den Menschen?

Poe hätte es gefallen

Wie eingangs erwähnt, muss man nicht lange überlegen, ehe einem die Kernreferenz von „Crimson Peak“ einfällt. Ein Geschwisterpaar, das in einem abgelegenen Haus vegetiert und das ihnen nach und nach unter dem durchtriebenen Hintern verrottet? Bei „Crimson Peak“ müsste den Hinterbliebenen des US-Schriftstellers Poe eigentlich eine Gewinnbeteiligung zustehen, so sehr erinnert der Film an „Der Untergang des Hauses Usher“. Mit jeder Faser ist del Toros Streifen eine Hommage an die alten Grusel-Geschichten des 19. Jahrhunderts, jener Ära, in der „Crimson Peak“ auch spielt.

Dieser Umstand birgt einen großen Vorteil, aber einen nicht minder schwerwiegenden Nachteil: In Zeiten der billig produzierbaren Found-Footage-Machwerke, deren unsägliche Wackel-Kamera weit mehr Schrecken im Zuschauer verursacht als der Film selbst, ist del Toros 55-Millionen-Dollar-Produktion ungemein toll anzusehen. So klassisch die darin gezeigte Ära für das Horror-Genre auch ist, muss man schon eine Weile zurückdenken, ehe einem ein vergleichbarer Film in den Sinn kommt. „Bram Stoker’s Dracula“ wäre dabei auch thematisch sicherlich eines der ersten Werke, die einem einfallen.

Doch del Toro verrennt sich bei „Crimson Peak“ eben auch mit regelmäßiger Sicherheit in der Nostalgie-Falle. Nun braucht man selbstredend nicht alle fünf Minuten den oft zitierten Plot-Twist à la M. Night Shyamalan, der die gesamte Handlung noch einmal auf den Kopf stellt. Damit hat sich der „Sixth Sense“-Regisseur in den vergangenen Jahren immerhin eindrucksvoll selbst demontiert. „Crimson Peak“ dagegen findet sich genau am anderen Ende des Spektrums wieder: Nichts darin ist durch die strenge Richtlinie del Toros, dem gotischen Horror so treu wie möglich zu bleiben, wirklich überraschend. Wenn überhaupt ist der größte Plot-Twist des Streifens, dass es keinen gibt.

Punktueller Horror

Grusel-Fanatiker, denen es gar nicht blutig genug sein kann, werden bei „Crimson Peak“ nur bedingt auf ihre Kosten kommen. Zwar überzeugt der Film immer wieder mit kleinen, feinen Schauer-Sequenzen speziell am Ende, del Toro lässt es für den Großteil des Films aber ruhig angehen. Diese Zeit nutzt er gekonnt, um den Figuren Tiefgang zu verleihen und auch die Romantik nicht zu kurz kommen zu lassen. Das Herzstück des Films ist ein dreiköpfiges Kammerspiel im schier wunderschön designten Haus von „Crimson Peak“, das extra in Toronto für den Dreh errichtet wurde. Wasikowska, Hiddleston und die herrlich durchtriebene Chastain haben eine tolle Chemie und die filmische Zeitreise ins 19. Jahrhundert spielend leicht gemeistert.

Fazit

Passend zum Inhalt scheidet „Crimson Peak“ die Geister. Optisch gehört er zu den eindrucksvollsten Horror-Streifen der vergangenen Jahre. Beinahe könnte man sagen, das Haus ist der geheime Star des Films. Bei der Handlung beschleicht einen hingegen immer wieder das Gefühl, dass eine Menge Potenzial leichtfertig verschenkt wurde. Einen so hervorragenden Cast bekommt man nicht alle Tage in einem Horror-Film zu sehen. Schade also, dass del Toro etwas zu sklavisch versucht hat, eine Hommage an den klassischen „Gothic Horror“ von Poe und Konsorten zu realisieren.