„American Sniper“: Fragwürdiges Heldendenkmal

Magazin

„American Sniper“: Fragwürdiges Heldendenkmal

Sechs Oscar-Nominierungen, aber nur in der Kategorie Ton-Schnitt erfolgreich. Das wirft die Frage auf: Wurde "American Sniper" zu Unrecht bei den Oscars übergangen, oder waren die Nominierungen von vornherein nicht verdient? Hier gibt es die Antwort.

Ein Hausdach irgendwo im Irak. US Navy SEAL Chris Kyle (Bradley Cooper) liegt auf seinem Bauch, das Scharfschützengewehr im Anschlag. Angespannt blickt er auf die Straße unter sich, der sich seine Kameraden vorsichtig nähern. Ein Mann erspäht die US-Soldaten, wenig später betritt eine Frau und ihr Kind die Straße. Die Irakerin drückt ihrem Sohn etwas in die Hand, dieser läuft daraufhin auf die Streitkräfte zu. Doch was genau hält er in seinen Händen? Ein Stofftier? Eine Granate? Kyle kann es nicht genau erkennen, hat nur Sekunden, um eine Entscheidung zu treffen. Sein Finger nähert sich dem Abzug. Cut.

„American Sniper“ beginnt in medias res, schiebt die Exposition hinter die eingangs beschriebene Szene. Erst danach erfährt der Zuschauer, wie aus dem Rodeo-begeisterten Texaner der treffsicherste Sniper der US-Kriegsgeschichte wurde. Im Film ist es der Angriff auf das World Trade Center, der den patriotischen Kyle dazu bewegt, sich bei der Armee einzuschreiben. Nach den üblichen Schikanen in der knallharten Ausbildung entdecken die Drill-Sergeants aber das ungemeine Potenzial in Kyle – Jedes noch so ferne Ziel wird von ihm mit schlafwandlerischer Sicherheit getroffen.

Oh say can you see…

Die Antagonisten sind leider sehr einseitig

Mit „American Sniper“ hat Regisseur Clint Eastwood ein cineastisches Heldendenkmal errichtet. Das kam – was für eine Überraschung – ausgesprochen gut in den USA an, 320 Millionen Dollar spielte der Film dort bereits ein. Sechs Oscar-Nominierungen, darunter „Bester Film“ und „Bester Hauptdarsteller“, kamen noch hinzu. Der gerechte Lohn? Trotz all der Errungenschaften, die Eastwood und Cooper vereint schon vorzuweisen haben, muss diese Frage verneint werden. Nach der ungemein stimmungsvollen Anfangsszene gleitet „American Sniper“ in bedenkliche Heldenverehrung ab, die filmisch noch dazu kaum etwas Neues zu bieten hat.

Schwarz und Weiß

Wer einen differenzierten Blick auf den Irak-Krieg unter Bush Junior sehen will, der sollte einen weiten Bogen um „American Sniper“ machen. Der stets gesichtslose Iraker ist entweder böse oder stirbt binnen Sekunden, der US-Soldat ist rechtschaffen und gut. Wird hingegen ein Soldat der Gegenseite näher beleuchtet, dann nur um zu zeigen, dass er noch ein wenig böser als seine Kameraden ist. Dabei bot die Einführung eines nicht minder begnadeten Scharfschützen auf der Gegenseite so viele Möglichkeiten. Ist der mysteriöse Schütze vielleicht auch nur Opfer der Umstände und tut, was er tun muss? Oder meint, tun zu müssen? Nein, denn obwohl er dasselbe wie die Hauptfigur macht, ist der komplett in Schwarz gehüllte Mann wie seine Mitstreiter einfach nur böse, dem Endgegner aus einem Videospiel gleich.

Bessere Alternativen

Die Frage ist: Was will „American Sniper“ dem Zuschauer eigentlich vermitteln? Dass Krieg ein schreckliches Übel ist? Dafür wird wie schon in der nicht minder fragwürdigen Biografie von Chris Kyle mit dem martialischen Titel „The Autobiography of the Most Lethal Sniper in U.S. Military History“ zu viel Augenmerk auf die über 150 dokumentierten Abschüsse des Soldaten gelegt. Soll die Unfähigkeit demonstriert werden, die unmenschlichen Gräueltaten im Kriegsgebiet zu vergessen, auch nicht in der Heimat bei Frau und Kind? Dann empfiehlt sich Kathryn Bigalows ungleich eindringlicheres „The Hurt Locker – Tödliches Kommando“.

Oder will er den Lagerkoller und die Ohnmacht in einem fremden Land zeigen, die Absurdität, für Frieden zu töten? Darlegen, wie aus Menschen stumpfe Maschinen werden, die blind gehorchen? In diesem Fall ist „Jarhead – Willkommen im Dreck“ von Regisseur Sam Mendes die bessere, weil tiefgründigere Alternative. „American Sniper“ schafft es zu keiner Zeit, neben Kyle einen anderen Charakter im Kriegsgebiet zu etablieren, dessen Schicksal einem als Zuschauer wichtig erscheint. Daran ändert speziell die gefühlt schon tausendfach gesehene Szene nichts, in der ein Kamerad seine Zukunftspläne offenbart, kurz bevor er das Zeitliche segnet. Beinahe dankbar ist man in diesen Momenten, dass Eastwood auf das obligatorische „Das kannst du ihr selbst sagen“ verzichtet. Ein geringer Trost.

Zu Kyles Kameraden wird im Film wenig Bindung erzielt

Cooper und das Gummi-Baby

Dass der Film dennoch spannende und berührende Momente hat, ist in erster Linie Hauptdarsteller Bradley Cooper zu verdanken. Ob seine Darbietung Oscar-würdiger als die von Jake Gyllenhaal in „Nightcrawler“ war, sei einmal dahingestellt, seine Leistung rettet aber weite Teile des Films. Denn für seine Rolle hat sich Cooper zum Berg von einem Mann aufgepumpt, dennoch (oder gerade deshalb) sind seine Szenen zu Hause mit seinen Kindern sehr emotional und glaubwürdig. Wenn, ja wenn in einem Abschnitt nicht die mit Abstand offensichtlichste Baby-Attrappe der jüngeren Kino-Geschichte zum Einsatz gekommen wäre. Das ist natürlich nicht das Totschlag-Argument, einen Film zu verreißen, aber es ist dennoch etwas, das in einem vermeintlichen „Besten Film“ des Jahres nichts zu suchen hat.

Fazit

„American Sniper“ ist gerade in Hinblick auf dessen erfahrenen Regisseur eine mittelschwere Enttäuschung. Statt ein tiefgründiges Portrait über die Schrecken und Folgen des Krieges zu zeigen, verkommt er mitunter in plakative Heldenverehrung, speziell am Ende. Das und viele kleine Schludrigkeiten ergeben in der Summe keinen sonderlich guten Film. Die Nominierung als „Bester Film“ bleibt angesichts solcher Makel ein Geheimnis der Academy. Einzig Coopers gelungener Darstellung von Kyle ist es zu verdanken, dass „American Sniper“ nicht in die Belanglosigkeit abdriftet.