„Alles steht Kopf“: Chaos in der Gefühlswelt
Magazin
Publikum feiert zusammen mit der Band
Ob Ohrwürmer, Gedächtnislücken oder Tobsuchtsanfälle: Pixars "Alles steht Kopf" erklärt auf lustige und überraschend tiefgründige Weise unsere Gedanken und Gefühle.
Dieser nervige Werbe-Jingle will einfach nicht aus dem Kopf, Broccoli führt zu Schüttelfrost und von den vier Jahren Klavierunterricht ist nur noch „Chopsticks“ übrig geblieben? Im neuen Pixar-Film „Alles steht Kopf“ erfährt der Zuschauer ab 1. Oktober auf ungemein charmante und witzige Weise, wie es zu diesen Phänomenen kommen kann. Mehr noch als die Kinder kommen während der rund 95 Minuten so die Eltern auf ihre Kosten.
Die Pein des Erwachsenwerdens
Riley ist elf Jahre alt und in der Gefühlswelt der leidenschaftlichen Hockeyspielerin hat meist „Freude“ (im Original Amy Poehler) das absolute Sagen. Doch das ändert sich schlagartig, als ihr Vater einen Job in San Francisco annimmt und mit ihr und ihrer Mutter in die Metropole zieht. In einem winzigen Häuschen und fernab der alten Freunde, kommen zunehmend ihre anderen Emotionen zum Zuge, allesamt als allegorische Figuren in Rileys Kopf dargestellt. „Kummer“ etwa, aber auch „Wut“ und „Angst“. Und dann wäre da noch „Ekel“, die speziell die Broccoli-Pizza in San Francisco moniert.
„Freude“ hat den Buhmann für Rileys missliche Lage schnell ausgemacht – natürlich ist „Kummer“ an allem Schuld. Mit ihrer tapsigen Art schafft diese es sogar, eigentlich schöne Erinnerungen zu trüben. Als „Kummer“ sich anschickt, selbst die wichtigsten Momente in Rileys noch jungem Leben zu vermiesen, kommt es zum Desaster: „Freude“ und „Kummer“ landen durch einen Unfall in Rileys Langzeitgedächtnis und fehlen somit in der Schaltzentrale, von wo aus die Emotionen Rileys Gefühlswelt steuern. „Wut“, „Ekel“ und „Angst“ sind von dieser Situation natürlich komplett überfordert und hoffen, dass es ihre beiden Emotions-Kollegen so schnell wie möglich zurück schaffen.
Raffinierte Gefühlswelt
Bezweifelten manche Leute nach dem launigen Trailer zu „Alles steht Kopf“, dass Pixar das Konzept von personifizierten Gefühlen über 90 Minuten spannend gestalten könnte, kommen diese Skeptiker mehr als geläutert aus dem Kino. Es ist schon beeindruckend, mit wie viel Liebe und Raffinesse so komplizierte Sachverhalte wie menschliche Gefühle und die Funktionsweise des Gedächtnisses in „Alles steht Kopf“ erklärt werden. Wie Erfahrungen ins Langzeitgedächtnis übergehen, wie Erinnerungen verschwinden können, wie Träume entstehen und selbst wie sich Phobien im Unterbewusstsein bilden – all das erklärt „Alles steht Kopf“ auf bezaubernde und unterhaltsame Weise. Es spricht für sich, dass sogar Psychologen von dem Film begeistert sind und manche ihn gar als Möglichkeit sehen, in Therapiesitzungen besser mit Kindern über deren Gefühle sprechen zu können.
Mit visuellen Gags gelingt es „Alles steht Kopf“ dabei ein ums andere Mal, für lautstarke Lacher zu sorgen. Wenn im Hirn eines pubertierenden Jungen etwa komplette Anarchie ausbricht, weil ihn ein Mädchen anspricht. Einem absoluten Frevel käme es gar gleich, während des Abspanns frühzeitig aus dem Kino zu hasten – alleine für die Schlusssequenz, in der wir die Gefühlswelt von Busfahrern und Katzen erklärt bekommen, lohnt sich die Eintrittskarte.
Vor allem für Eltern
An mehr als nur einer Stelle des Films werden speziell die Eltern im Kinosaal feuchte Augen bekommen. All diese tollen Erfahrungen und Erinnerungen, die unwiderruflich verblassen und schließlich komplett verschwinden – ähnlich wie „Toy Story“ lädt „Alles steht Kopf“ zum nostalgischen Schwelgen in der Vergangenheit ein. In Rileys Kopf reicht noch ein kleines Schaltpult aus, um ihr Leben zu steuern – bei ihren Eltern ist es längst ein komplizierter Wirrwarr aus Hebeln und Knöpfen geworden. Ebenfalls bezeichnend: Bei Rileys Vater hat die Emotion „Wut“ die Befehlsgewalt, bei ihrer Mutter sorgt gar „Kummer“ für Ordnung. Und so ertappt man sich während eines vermeintlichen Kinderfilms dabei, die eigenen Gefühle zu reflektieren und fasst den Entschluss, „Wut“ und „Kummer“ im eigenen Leben öfter mal eine wohlverdiente Pause zu gönnen.
Ein weiterer Punkt, der aus „Alles steht Kopf“ beinahe ein „Elternfilm“ macht: Innerhalb der ersten 15 Minuten wird die Art, wie die Welt im Inneren von Riley funktioniert, zwar so kinderfreundlich es geht erklärt. Manche Szenen, wie zum Beispiel die über abstrakte Gedanken, bleiben für Kinder aber genau das – zu abstrakt. Ein großer Teil der Gags dürfte so an den Kids vorübergehen, „Alles steht Kopf“ bietet aber genug Slapstick, dass kein Kind gelangweilt aus dem Kino kommt. Das Prädikat „Familienfilm“ ist hier endlich einmal auch wirklich angebracht.
Kein Bösewicht und ein besonderer Held
Gleich in doppelter Hinsicht muss man den Herren und Damen von Pixar für die Wahl ihrer Hauptfiguren in „Alles steht Kopf“ gratulieren. Riley ist ein toller weiblicher Protagonist, deren innere Zerrissenheit nahe geht und dabei glaubhaft und für jeden nachvollziehbar ist. Beeindruckend auch, dass der Film im Grunde ohne Antagonisten auskommt. Es wäre so einfach gewesen, aus „Wut“ oder „Kummer“ die Bösewichte zu machen, gegen die „Freude“ ankämpfen muss. Stattdessen wartet mit „Kummer“ sogar der heimliche Held des Films auf.
Fazit
Während „Alles steht Kopf“ sitzt im Kopf der Cineasten ganz eindeutig „Freude“ am Schaltpult. Einzig „Kummer“ kommt von den anderen Emotionen hin und wieder zum Zuge, bei der Tatsache etwa, dass nach 95 Minuten schon Schluss ist. Und um Himmels Willen: An alle, die als Kind einen imaginären Freund hatten – würde es euch umbringen, hin und wieder mal an ihn zu denken?