Alissa White-Gluz: „Natürlich gibt es blöde Sprüche“

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Alissa White-Gluz: „Natürlich gibt es blöde Sprüche“

Niemand schreit derzeit so schön wie Alissa White-Gluz. Die 28-jährige Kanadierin ist die neue Frontfrau von Arch Enemy. Die Band ist seit beinahe 20 Jahren eine feste Institution, wenn es darum geht, knüppelharten Death Metal in ein melodisches Gewand zu verpacken. Ein Interview über die Massenkompatibilität extremer Musik und Frauen in einer Männerdomäne.

Es ließen sich jetzt herrlich klischeehafte Bilder zum Thema Frauen UND Heavy Metal zeichnen. Blonde, vollbusige Schönheiten, die sich auf Plattencovern an einen blutverschmierten Hünen mit Schwert klammern, oder sich halbnackt irgendeinem teuflischen Geschöpf hingeben. Heavy Metal: Das ist Lärm, Schweiß, Testosteron, Bier – und die sexy Leder-Miezen sind irgendwie schmückendes Beiwerk. Oder? Ja, manchmal. Heavy Metal kann aber auch Musikgenuss auf höchstem Niveau sein, technisch anspruchsvoll, aufwendig komponiert, intelligent und auf eine eigene Art melodisch. Frauen sind schon lange Teil dieser Musik. Auf Albumcovern, aber auch auf der Bühne und davor.

Trotzdem: Ein bisschen exotisch werden Sängerinnen in diesem Genre vermutlich noch eine Weile bleiben. Erst recht, wenn sie so singen wie Alissa White-Gluz. Wobei „singen“ vielleicht das falsche Wort ist. Außenstehende würden es schreien oder grunzen nennen. Der richtige Fachbegriff wäre growlen. Die 28-jährige Kanadierin ist Frontfrau der schwedischen Melodic-Death-Metal-Band Arch Enemy, deren neues Album „War Eternal“ im Juni auf Platz neun der deutschen Charts einstieg, und es in zahlreichen anderen Ländern auf Anhieb unter die Top 20 schaffte.

Die Band existiert bereits seit 18 Jahren und schafft auch mit dem neuen Album die Gratwanderung zwischen höchst melodisch und knüppelhart. Erst seit diesem Sommer steht Alissa White-Gluz am Mikrofon. Sie übernahm den Job von der Kölnerin Angela Gossow (39), die 13 Jahre lang für den gutturalen Gesang zuständig war und zu dem Thema sogar eigene Workshops anbot. Sie war gemeinsam mit Doro Pesch und Cristina Scabbia (Lacuna Coil) lange Jahre das Aushängeschild, wenn es um das Thema Frauen und Heavy Metal ging. Nun hat Gossow den Posten der Frontfrau an White-Gluz abgegeben. Ein Interview über Erfolg, Sexismus und Rebellion.

Zunächst einmal Glückwunsch! Mit „War Eternal“ ist Arch Enemy kurz nach Veröffentlichung der beste Chart-Einstieg der Bandgeschichte gelungen. Ihr Start hätte kaum besser laufen können.

Alissa White-Gluz: Danke, die ersten Reaktionen waren fantastisch. Ich bin sehr dankbar, dass den Leuten das Album gefällt und dass mich die Fans so toll aufgenommen haben. Das ist nicht selbstverständlich.

Zumal es in diversen Fan-Foren nicht nur Lob gab, als bekannt wurde, dass Sie Angela Gossow ersetzen. Kritische Stimmen befürchteten, dass Sie das Niveau Ihrer Vorgängerin nicht halten können. Spüren Sie Genugtuung?

Alissa White-Gluz: Nein, eigentlich nicht, denn ich lese die Kommentare auf Facebook und Co. nicht. Ich habe kein Problem mit Kritik, aber schon verteufelt zu werden, bevor der erste Song erschienen ist, finde ich ein bisschen albern. Zumal sich diese Kritiker bei unseren Shows ja eh nicht zeigen. Dort haben mich alle wirklich sehr warm und herzlich empfangen.

Keine „Ausziehen, ausziehen“-Sprüche?

Alissa White-Gluz: Bei Arch Enemy zum Glück nicht. Aber natürlich habe ich solche Sprüche in den letzten Jahren bei verschiedenen Konzerten immer mal gehört, vor allem in meinen ersten Jahren auf der Bühne. Meistens ist mir dann aber immer eine passende Antwort eingefallen, weil die Leute, die so etwas rufen, in der Regel ziemlich leicht bloßzustellen sind. Manchmal regeln das dann auch umherstehende Fans für mich und machen den Typen sehr höflich darauf aufmerksam, dass er bitte die Klappe halten soll.

Wie ist es eigentlich als Frau in einer Männer-Band in der Männerdomäne Heavy Metal?

Alissa White-Gluz: Ach, es gibt Vor- und Nachteile. Frauen sind im Heavy Metal natürlich in der Unterzahl, aber das war ja schon immer so. Diesen Exoten-Status kann man aber auch für sich nutzen, denn als weibliche Sängerin bleibt man den Zuschauern eher in Erinnerung. Natürlich gibt es mal blöde Sprüche, aber wichtig ist, dass die Bandkollegen einem den Rücken stärken und das ist bei Arch Enemy zum Glück der Fall. Und wenn die Jungs nicht spuren, kann ich sie ganz prächtig anschreien. Das will keiner riskieren (lacht).

Außenstehende würden Ihnen das typische Death-Metal-Gegrunze vermutlich nicht zutrauen, wenn Sie sie zum ersten Mal sehen. Wo holen Sie diese Stimme her?

Alissa White-Gluz: Keine Ahnung, es kommt einfach aus mir heraus. Ich übe eigentlich gar nicht, ich habe auch nie Gesangsunterricht gehabt, obwohl ich ja auch ganz gut mit klarer Stimme singen kann, auch wenn das bei Arch Enemy gerade nicht gefragt ist.

Und wie haben Freunde und Familie reagiert, als sie das erste Mal Ihre Growls gehört haben?

Alissa White-Gluz: Das war schon witzig, meine Mutter hat mich ziemlich verständnislos angeschaut und hat gedacht, meine Stimme würde irgendwie technisch verzerrt. Hat eine Weile gedauert, bis ich sie davon überzeugen konnte, dass das wirklich ich bin.

Ist es für eine Death-Metal-Band überhaupt ein Kompliment, in den Charts aufzutauchen? Das lässt ja doch auf eine gewisse Massenkompatibiltät schließen, von der sich Heavy Metal ja eigentlich abgrenzen möchte.

Alissa White-Gluz: Ich versteh schon, dass viele Die-Hard-Fans skeptisch werden, wenn eine Band Erfolg hat und plötzlich mehreren Leuten gefällt. Aber ein bisschen ärgert es mich auch. Zum einen ist ja nicht so, dass unsere Songs im Radio rauf und runter laufen oder in der Disko gespielt werden. Davon sind wir zum Glück weit entfernt. Die Anzahl der Menschen, die wir erreichen können, ist begrenzt, weil unsere Musik trotz der melodischen Parts immer noch nicht einfach so ins Ohr geht. Von daher muss man unseren Erfolg schon mit dem Aufwand, den wir betreiben, in Relation setzen. Wir sind eine professionelle Band und wollen die Musik machen, die uns gefällt – und nach Möglichkeit davon leben können. Wir sind weit davon entfernt, reich zu sein, und wäre ich momentan nicht auf Tour, müsste ich mir vermutlich einen Nebenjob suchen. Fans sollten sich also darüber freuen, wenn ihre Band ein paar Alben mehr verkauft. Das garantiert nämlich, dass es sie auch weiterhin gibt.

Trotzdem sollte harte Musik schon noch ein bisschen rebellisch sein. Vertragen sich Kommerz und Rebellion?

Alissa White-Gluz: Das kommt auf die Band an. Sicherlich verbiegen sich einige Musiker und untergraben ihre Ideale zugunsten des Ruhms. Das war immer schon so und wird wohl leider auch immer wieder passieren. Aber davon sind wir bei Arch Enemy weit entfernt. Wir haben politische Überzeugungen und klare Standpunkte, für die wir eintreten und wir singen auch nicht über Partys, Suff und Sex, sondern versuchen schon auch Missstände anzuprangern und unbequem zu sein. Allerdings sind wir Musiker und keine Politiker

Sie sind mit Ihrer Vorgängerin Angela Gossow gut befreundet, außerdem leitet sie die Band weiterhin als Managerin. Haben Sie bei ihr Rat gesucht, als es um’s Songwriting für das neue Album ging?

Alissa White-Gluz: Nein, ich glaube, das wäre für das Album auch nicht gut gewesen. Es war wichtig, dass ich meine Freiheiten hatte und eigene Texte schreiben und meinen eigenen Stil einbringen konnte. Angela hat die Songs erst gehört, als das Album fertig war.