Kult-Regisseur Terry Gilliam: „Christoph Waltz ist großartig“

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Kult-Regisseur Terry Gilliam: „Christoph Waltz ist großartig“

Die Optik, die Erzählweise, die Figuren: "The Zero Theorem" ist ein typischer Terry-Gilliam-Film geworden. Wieso der Kult-Regisseur ursprünglich eine andere Idee im Kopf hatte und wie er die Arbeit mit seinem Hauptdarsteller empfunden hat, verrät er im Interview.

Wie seine dystopischen Vorgänger „Brazil“ oder „12 Monkeys“ ist Terry Gilliams (74) neuer Film „The Zero Theorem“ (ab 27. November im Kino) reichlich düster geraten. Ein starker Kontrast zu Gilliam selbst. Der Mitbegründer der legendären Comedy-Truppe Monty Python hat bis heute nichts von seinem jugendlichen Enthusiasmus eingebüßt und ist im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news eine echte Frohnatur.

Sie haben „The Zero Theorem“ nicht selbst geschrieben, aber Autor Pat Rushin ist ein großer Fan von Ihnen. Haben Sie quasi eine Hommage an sich selbst inszeniert?

Terry Gilliam: Ich sah es eher als Chance, ein Kompendium meiner Arbeit zu machen. Als ich das Drehbuch las, war mir klar, dass Pat jeden meiner Filme gesehen hat, es war voll von Referenzen an meine Arbeit. Also wollte ich das machen, was Federico Fellini mit „Amarcord“ oder Ingmar Bergman mit „Fanny und Alexander“ gemacht haben. Das war mein Plan. Was letztendlich dabei rausgekommen ist, weiß ich auch nicht so genau. Das gefällt mir am Filmemachen: Man beginnt mit einer bestimmten Vision und während du den Film machst und die Realität dazwischenfunkt, wird etwas Anderes daraus, normalerweise etwas Besseres. Ich glaube, ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis, aber es ist anders als das, was ich ursprünglich im Kopf hatte.

Qohen Leth ist der Ansicht, dass der Mensch nicht lebt, sondern nur auf den Tod zugeht. Sehen Sie selbst das denn auch so?

Gilliam: Ich fürchte, dass ich Qohen da ein wenig zustimme. Ich neige dazu, zu oft das Negative in den Dingen zu sehen. Qohen ist eine Figur, die sich nicht einmal erlaubt, richtige Beziehungen einzugehen und sich in seinem Einsiedlerdasein sicherer fühlt. Und ich glaube, genau das machen wir heute. Die Menschen machen viel Lärm und haben ständig Kontakt, sie twittern die ganze Zeit, aber was sagen sie, und was denken sie wirklich? Sind sie nur zufriedene Konsumenten? Die Konzerne geben uns schöne Dinge und aufregende Technik, mit der wir spielen können. Aber irgendetwas fehlt in alldem. Es geht nur noch um das Individuum und nicht mehr um das Allgemeinwohl.

Sind Sie wirklich so pessimistisch wie Qohen, der sein Leben lang herumsitzt und auf einen Anruf wartet?

Gilliam: So fühle ich mich, wenn ich Geld für einen Film beschaffen will. Das ist der Anruf, auf den ich immer warte. Beim Filmemachen verbringe ich mehr Zeit mit Warten – auf das Geld, auf die Zusage eines Schauspielers, auf die Genehmigung eines Drehorts – als damit, wirklich etwas zu erschaffen. Insofern finde ich mich schon darin wieder. Aber Qohen ist darin viel extremer. Für mich steht er für alles, was am modernen Menschen falsch ist. Ich finde ihn unglaublich egozentrisch. Für mich handelt der Film davon, seine menschliche Seite wieder zum Vorschein zu bringen. Und das tut er, er verliebt sich, aber er kann sich auf niemanden einlassen. Er ist machtlos, und ich denke, das sind wir auch als Individuen. Wir sind machtlos, wenn es darum geht, die Welt zu verändern und zu verbessern.

Das klingt reichlich pessimistisch.

Gilliam: Aber eigentlich finde ich das Leben wunderbar (lacht). Vielleicht ist das Problem, dass ich ein Produkt der 60er Jahre bin, als wir die Welt tatsächlich veränderten.

Jedenfalls halten Sie der Gesellschaft gerne einen Spiegel vor. Ist das der Grund, weshalb Sie „The Man Who Killed Don Quixote“, mit dem Sie im kommenden Jahr einen neuen Versuch starten, nun im aktuellen Zeitalter spielen lassen wollen?

Gilliam: Ja und nein. Ich habe schon bei „Time Bandits“ diese Sprünge in die Vergangenheit gemacht. Für diese Geschichte hatte ich eine bessere Idee. Die Schlüsselszenen in meiner Version von „Don Quixote“ handeln davon, wie gefährlich Filme sind und wie sehr sie das Leben von Menschen durcheinanderbringen können. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Ich habe das Drehbuch immer wieder anhand dessen verändert, was mir passiert. Ich schätze, es gibt immer ein autobiografisches Element in dem, was ich tue. Nur so kann ich Dinge kommentieren. Also bleibt Quixote so, wie er ist. Aber anders als in der Originalversion, wo romantische Geschichten von Rittern und Königen sein Weltbild verzerrten, sind diesmal Filme die Verzerrung der Welt.

Sie sprechen von einem autobiografischen Element. Bekommen wir mit jedem Film von Ihnen einen kleinen Blick in Ihren Kopf?

Gilliam: In erster Linie erzähle ich einfach nur Geschichten, die mich interessieren. Während ich einen Film mache, treffe ich dann allerdings andauernd Entscheidungen, und ich muss hinter jeder dieser Entscheidungen stehen können. So kann es letztendlich sein, dass das Ergebnis autobiografischer ausfällt, als ich es geplant hatte. Und manchmal habe ich das Gefühl, zu einer der Figuren zu werden. Ich glaube nicht, dass ich vor „The Zero Theorem“ wie Qohen war, aber vielleicht bin ich das jetzt. Ich baue eine seltsame Beziehung zu diesen Figuren auf. Ich nehme etwas von ihnen an, und Aspekte meines Lebens oder meiner Gedanken fließen in sie ein. Irgendwann weiß ich nicht mehr, was zuerst da war.

Sprechen wir über Hauptdarsteller Christoph Waltz. Woher wussten Sie, dass er der Richtige für die Rolle ist?

Gilliam: Ich hatte seine Arbeit für Quentin Tarantino und Roman Polanski gesehen und wusste einfach, dass er ein außergewöhnlicher Schauspieler ist. Wir sind uns bei einer Preisverleihung vor ein paar Jahren über den Weg gelaufen und haben beide gesagt: „Wir müssen unbedingt miteinander arbeiten.“ Was mich an ihm fasziniert ist, dass die Welt ihn nicht kannte, bis er 52 Jahre alt war und in Quentins Film („Inglourious Basterds“) mitgespielt hat. Und auf einmal ist er einer der größten Stars der Welt und gewinnt zwei Oscars. Das ist unglaublich. Das macht einen sehr interessanten Menschen aus ihm, weil er so viele Jahre trotz seines Talents nicht gesehen wurde. Dabei staut sich Frust und Neid an und lässt einiges an düsteren, unschönen Dingen in einem Menschen aufkochen. Und ich dachte, dass das bei jemanden wie Qohen sehr nützlich sein könnte.

Sie verwenden gerne dieselben Schauspieler für mehrere Filme. Würden Sie mit Christoph Waltz wieder zusammenarbeiten?

Gilliam: Oh ja. Er ist großartig. Wir haben es sehr genossen, zusammen zu arbeiten. Wir haben eine ähnliche Art von Intelligenz. Er ist ein ganz anderer Mensch als ich, aber wir haben so viel zusammen gelacht. Wir lachen beide sehr viel, nehmen unsere Arbeit aber sehr ernst. Und er hat so viele gute Ideen. Ich liebe es, Ideen hin- und herzuwerfen, weil das die Arbeit leichter und schneller macht. Wir hatten bei diesem Film nur zehn Wochen Zeit für die Vorbereitung und den Dreh.

Und sehr wenig Geld. Es scheint überhaupt, als ginge kein Projekt von Ihnen problemlos vonstatten. Über den Kampf, den Sie um „Brazil“ und sein Ende austrugen, wurde sogar ein Buch geschrieben, „The Battle of Brazil“. Haben Sie immer noch so viel Kampfgeist wie damals?

Gilliam: Nein, ich glaube nicht. Ich bin auf gewisse Weise ausgelaugt. Es ist heute leichter für mich, Kämpfen aus dem Weg zu gehen. Ich hatte auch nie das Gefühl, dass es richtig gekracht hätte. Das war einfach nur meine Art, mit Hollywood umzugehen. Ich bin außerhalb von Los Angeles aufgewachsen und hasste die Vorstellung von Hollywood. Als von dort also Widerstand gegen „Brazil“ kam, fühlte ich mich, als hätte ich jahrelang auf diesen Kampf gewartet. Deshalb war es ein leichter Kampf.

Und wie ist das heute?

Gilliam: Heute geht es eher um Durchhaltevermögen. Ich muss meine Leidenschaft ein bisschen rationieren. Denn wenn ich mich für ein Projekt begeistere und es nicht zustande kommt, werde ich ziemlich deprimiert. Also treibe ich meine Ideen weiterhin voran, halte meinen Enthusiasmus aber im Zaum, bis ich wirklich loslegen darf.

Wie gelingt Ihnen das selbst bei einem Projekt wie „Don Quixote“, das bisher so oft gescheitert ist?

Gilliam: Keine Ahnung. Ich schätze, ich bin Don Quixote (lacht).