Morrissey stimmt Flamenco-Gitarren traurig

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Morrissey stimmt Flamenco-Gitarren traurig

Die Regierung ist böse, die Erde ein einsamer Planet und das Tier besser als der Mensch: Dass Ex-Smith-Sänger Morrissey seinen Glauben in die Menschheit verloren hat, ist ein alter Hut. Seine Musik leider nicht mehr. Auf dem ersten Album seit fünf Jahren grätschen zu oft breitbeinige Rock- und gewöhnungsbedürftige Flamenco-Gitarren in die Schönheit der Melancholie.

55 Jahre Morrissey und noch immer steht die Welt kurz vor dem Abgrund: Die Menschheit isst weiterhin Tiere wie die Barbaren, während Morrissey nur auf Festivals auftritt, wenn kein Fleisch verkauft wird. Die Wähler gehen stetig brav wählen, anstatt auf die Barrikaden. Und die Leute glauben weiterhin an das Gute im Menschen – eine Einstellung, die Morrissey schon lange überdacht hat.

Der ehemalige Sänger der Smiths, eine Indie-Rockband, die für den „NME“ einflussreicher war als die Beatles, war schon immer eine Art fünftes Geschlecht (höre „I’m Not A Man“) und ein wenig feinfühliger als der Mainstream. Genau diese Verletzlichkeit hat ihn zu immer radikaleren Aussagen und Ansichten gebracht. So nennt er seine Songs 2014 „Earth Is The Lonliest Planet“ oder „Smiler With Knife“ und Titelsong und Album gleich vorwurfsvoll „World Peace Is None Of Your Business“.

Auf seinem ersten Album seit fünf Jahren formuliert das Heiligenbild der Briten seine provokanten Thesen und Themen ein weiteres Mal: Der große Exzentriker jubiliert, wenn der Stier den Stierkämpfer aufspießt, nicht andersrum. Aus tiefster Seele werden hier die Regierungen der Welt gehasst, allgemein bekannte Nihilisten-Weisheiten – der Mensch ist unmenschlich – verbreitet oder Pubertäts-Erkenntnisse wie „Sex is not the same as love“ umschmückt.

Nachdem sich die weithin bekannten Messages, Forderungen und Anfeindungen von Morrissey nicht ändern werden, solange sich die Welt nicht ändert, sollte man 1. schleunigst Vegetarier werden und 2. sich auf die Musik konzentrieren. Leider hat auch die schon heller geleuchtet. Natürlich geht das Licht auch auf diesem Doppelalbum niemals ganz aus, natürlich bleibt die Stimmung immer einzigartig, sobald Morrisseys unantastbare Stimme einsetzt, die natürlich noch immer klingt wie die pure, reine Melancholie. Die nahezu omnipräsenten lateinamerikanischen Einflüsse in Gitarren- und Flötenform fügen sich dem noch ganz gut. Die Traurigkeit hält auch noch einem Akkordeon stand, das im Hintergrund lustige Zirkusmelodien spielt. Aber es gibt eine Grenze.

Theatralik, Musical-Gesang und große Streicher-Gesten gehören zu Morrisseys Markenzeichen, werden hier aber nur teilweise gewinnbringend eingesetzt. Produzent Joe Chiccarelli ist wohl dafür verantwortlich, dass allzu oft breitbeinige Rockgitarren in die Melancholie grätschen, sie zerreißen und manchmal sogar in triefenden Pathos verwandeln. Er sollte es mit seinem Erfahrungsschatz (U2, Tori Amos, The Strokes…) eigentlich besser wissen. Auf jeden Fall hat hier jemanden leider auf weiten Strecken das Feingefühl verlassen.