Sierra Kidd: „Ich habe mir mit einem Hammer die Hand gebrochen“

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Sierra Kidd: „Ich habe mir mit einem Hammer die Hand gebrochen“

Er ist ein echter Senkrechtstarter: Mit nur 17 Jahren spielt Sierra Kidd auf Festivals wie Rock am Ring vor zehntausenden Fans und wird bei Stefan Raabs "Bundesvision Song Contest 2014" performen. Doch im Leben des Musikers ist nicht alles so märchenhaft verlaufen wie es scheint.

Mit nur 17 Jahren hat Sierra Kidd schon viel erlebt: Nachdem er im letzten Jahr als Internet-Phänomen gefeiert wurde, ist er in diesem Sommer Stammgast auf den Festivalbühnen, bringt sein Debüt-Album „Nirgendwer“ heraus und wird bei Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest 2014“ antreten. Doch der junge Musiker hatte es nicht immer leicht. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news spricht Sierra Kidd oder Manuel Jungclaussen, wie er abseits der Bühne heißt, über Ängste, Selbsthass und Mobbing.

Haben Sie denn schon realisiert, wie blitzartig Ihre Karriere bisher verlaufen ist?

Sierra Kidd: Ich bin noch immer dabei, ich glaube nicht, dass man das so schnell realisieren kann. Vielleicht wird es soweit sein, wenn ich die Tour hinter mir habe.

Hat sich Ihr Umfeld verändert? Wollen plötzlich Leute mit Sierra Kidd befreundet sein, die Manuel gemieden haben?

Sierra Kidd: Das fällt schon auf, aber ich halte mich von diesen Leuten fern. Ich habe mein Team und wenige gute Freunde, die wie eine zweite Familie für mich sind. Von Personen, die vermutlich nur etwas wegen meiner Bekanntheit mit mir zu tun haben wollen, distanziere ich mich.

Haben Sie sich denn selbst verändert?

Sierra Kidd: Ich denke schon. Ich habe eine Zeit lang alles und jeden verflucht, auch mich selbst. Jetzt habe ich einen Schritt nach vorne gemacht und bin aus dem Tief draußen.

Sprechen Sie hier Ihre Vergangenheit an, in der Sie gemobbt wurden?

Sierra Kidd: Ja, viele glauben vielleicht, ich erzähle das Ganze, damit sich meine Musik besser verkauft oder weil es interessant klingt, aber das ist nicht der Fall. Denn diese Attacken auf mich waren nicht nur verbal, sondern auch physisch. Aus diesem Grund habe ich mich nicht mehr getraut, einfach mal in die Innenstadt zu gehen. Ich hatte Angst, geschlagen zu werden. Ich habe zwei Jahre lang – außer für die Schule – nicht mehr das Haus verlassen.

Und selbst die Schule haben Sie geschwänzt.

Sierra Kidd: Ich habe gut drei Monate die Schule geschwänzt, weil ich nicht mehr konnte. Ich hatte Angst, weil ich dort verprügelt wurde und es von Tag zu Tag schlimmer wurde. So dachte ich, ich geh nicht mehr hin. Ich lass mir von denen nicht mein Leben zerstören. Doch das hat vieles noch schlimmer gemacht, weil meine Noten immer schlechter wurden. Und die Leute, die dafür verantwortlich waren, hätten es fast geschafft, mein Leben kaputt zu machen.

Stimmt es, dass Sie sich selbst verletzt haben, um nicht in die Schule zu müssen?

Sierra Kidd: Ja, ich wollte einfach nicht mehr in die Schule und war so verzweifelt, dass ich mir selbst mit einem Hammer die Hand gebrochen habe. Zu dieser Zeit habe ich die Welt und mich selbst gehasst. Ich dachte mir oft, wenn mich so viele Menschen hassen, muss an mir einfach etwas falsch sein. Ich war davon überzeugt, dass ich im Inneren so ein hässlicher Mensch sein muss, sodass dies einfach auf die Umgebung ausstrahlt und ihr böses Verhalten rechtfertigt.

Sie haben also die Schuld für das Verhalten der anderen bei sich selbst gesucht?

Sierra Kidd: Eine Zeit lang schon. Dann hatte ich wieder eine Phase, in der ich allen anderen die Schuld gab und dann wieder mir, bis ich einfach alles gehasst habe. Mittlerweile bin ich reifer und weiß, dass beide Seiten Fehler gemacht haben und Kinder nun mal sehr grausam sein können.

Haben Sie denn niemandem davon erzählt?

Sierra Kidd: Doch, ich habe es meinen Lehrern erzählt. Die haben mir aber nur gesagt, dass die Mobber spätestens in zwei Jahren wegen schlechter Zensuren von der Schule fliegen. Mehr Unterstützung kam da nicht. Mittlerweile geht es mir besser und ich habe aus diesen Vorfällen sogar Kraft gewonnen. Einige der Täter haben sich, nachdem sie durch meine Musik erfahren haben, wie ich mich damals gefühlt habe, bei mir entschuldigt. Dies gibt mir Hoffnung, dass ich mit meinen Liedern nicht nur Opfern Mut machen kann, sondern auch einige Mobber zur Einsicht bewege.

Erhalten Sie in dieser Hinsicht Feedback von Ihren Fans?

Sierra Kidd: Nach einem Auftritt ist ein Junge zu mir gekommen und meinte, dass auch er in einer ähnlichen Situation wäre und durch mich nun den Mut aufbringen würde, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Und ich versuche natürlich auch über Facebook Erfahrungen auszutauschen.

Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zu Ihren Fans über solche Plattformen?

Sierra Kidd: Der ist mir sehr wichtig und ich versuche, auf alles zu antworten. Leider gelingt mir das nicht immer. Für mich sind das auch nicht wirklich Fans, sondern Personen, mit denen ich mich auf einer bestimmten Ebene sehr verbunden fühle. Vielleicht wäre sogar Freunde der bessere Begriff als Fans. Und da sich Freunde unterstützen, versuche ich, auf alle Fragen zu reagieren.

Obwohl Sie nun reifer sind, sprechen Sie in dem Lied „Strom“ Ihre Mobber bewusst an.

Sierra Kidd: Als ich den Song geschrieben habe, gab es einfach dieses Gefühl, dass ich mich nochmal zu dem Thema äußern muss. Zu diesem Zeitpunkt sind noch immer einige Leute auf mich zugekommen, die meinten, ich hätte noch nicht genug gelitten, noch nicht genug geblutet. Deshalb wollte ich abschließend ein Statement abgeben. Heute würde ich den Song wahrscheinlich nicht mehr machen, aber leider gehören Rachegedanken zu so einer Entwicklung dazu.

War das Mobbingthema auch der Grund dafür, weshalb Sie anfangs Ihr Gesicht nicht zeigen wollten?

Sierra Kidd: Ja, ich habe mich einfach geschämt und befürchtet, dass die Leute sagen: `Der kleine Junge, das Opfer, macht jetzt auch noch Musik`. Damit hätte ich ihnen noch mehr Angriffsfläche geboten. Ich hatte Angst und wollte deshalb meine Identität erstmal geheim halten.

Sensibilität und Hip Hop – passt das eigentlich zusammen?

Sierra Kidd: Auf jeden Fall! Auch Rapper haben eine sensible Seite; wahrscheinlich haben sich bisher nur wenige getraut, diese so offen zu zeigen. Deshalb denke ich nicht, dass mich irgendwelche Kollegen nun als unmännlich beschimpfen werden, nur weil ich zu meinen Gefühlen stehe. Außerdem ist gerade der Rap sehr gut dafür geeignet, um seine Gedanken und Emotionen auszudrücken.