Yann Tiersen: „Ich hasse dieses Frankreich-Klischee“

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Yann Tiersen: „Ich hasse dieses Frankreich-Klischee“

In Deutschland ist Yann Tiersen vor allem für seinen musikalischen Beitrag zum Kultfilm "Amélie" bekannt. Dabei hat der bretonische Klangkünstler weder etwas für Paris, noch für Film-Soundtracks übrig, wie er im Interview mit spot on news erklärt. Sein neues Album handelt stattdessen von Steinen und Unendlichkeit.

Yann Tiersen ist einer von Frankreichs erfolgreichsten Musikexporten, ein echter Klangkünstler. Nur in Deutschland kennt man den mittlerweile 43 Jahre alten Multi-Instrumentalisten immer noch vor allem für seinen Beitrag zum verspielten Piano-Soundtrack zum französischen Musterfilm „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Das ist ein etwas paradoxer Zustand – denn der Bretone Tiersen hat nun wirklich so rein gar nichts für Frankreich-Klischees übrig, wie er der Nachrichtenagentur spot on news verraten hat.

Und auch an Soundtracks glaubt Tiersen nicht, wie er mit erstaunlich jugendlich klingender Stimme am Telefon verrät: „Ungefähr so, als würde man sich auf einen Felsen stellen und das Meer auf der Geige begleiten“, findet er den Versuch, Klang zu Filmbildern zu entwerfen. Und mit diesem Szenario muss sich Tiersen schließlich auskennen. Er wohnt seit Jahren auf einem kleinen Eiland vor der bretonischen Küste – und hat sein mittlerweile zehntes Studioalbum „Infinity“ der Unendlichkeit, dem Meer und den Steinen gewidmet. Am heutigen Freitag kommt es in Deutschland in die Läden.

Herr Tiersen, Ihr neues Album klingt erstaunlich stark nach nördlichen Gefilden. Ist das Absicht?

Tiersen: Na ja: Ich lebe auf einer kleinen Insel vor der bretonischen Küste. Ich habe das Album in Island begonnen und dann die meiste Arbeit hier gemacht, wie ich das eigentlich bei all meinen Alben tue. Das sind dann natürlich nicht gerade sehr südliche Vibes, die man da abbekommt.

Das Album heißt „Infinity“. Geht es auch in den Texten um Unendlichkeit?

Tiersen: Nicht wirklich. Das Album handelt aus irgendeinem Grund von Steinen.

Von Steinen?

Tiersen: Ja, Steine! Ich mag den Gedanken des unvorstellbar Alten, das Steine an sich tragen. Das ganze Album handelt von diesem Gefühl unerdenklichen Alters.

Ich weiß nicht genau, warum – aber ich wohne ja auf einer Insel ohne Bäume. Nur eine kleine Insel, 800 Einwohner, acht Kilometer lang. Und ich verbringe den größten Teil meiner Zeit hier. Es ist gut zu sehen, wie ein kleines Territorium eine ganze Welt bedeuten kann – und dann passiert es auch noch ab und zu, dass ich mich einen Monat nur im Süden dieser winzigen Insel aufhalte. Manchmal fühle ich mich wirklich gut, wenn ich an solchen Orten arbeite. Man fühlt, dass dieser Ort vor den Menschen da war. Vielleicht ist es ein Weg, Druck zu vermeiden und sich vorzustellen, man habe ohnehin keine Bedeutung, um sich sorglos seiner Aufgabe widmen zu können. Dann tut man das einfach und fühlt einfach nur die Natur um sich herum und alles wird leichter.

Ich habe gehört, Sie haben diesmal erstmals streng auf täglicher Basis und regelmäßig an dem Album gearbeitet.

Tiersen: Ja, ich denke, es ist besser so zu arbeiten. Ich glaube nicht wirklich an diesen „Inspirations-Mythos“, der das kreative Arbeiten umgibt. Man entscheidet sich einfach zu arbeiten – und dann hat man Spaß daran. Für dieses Album bin ich zum Beispiel mit einem Koffer voller Spielzeug-Instrumente nach Island gefahren, weil ich davor so verrückt nach elektronischen Instrumenten war. Der Plan war, alle Ideen, die ich habe, ob gut oder schlecht, aufzunehmen und als Basis, als Geräusch, als Ausgangsmaterial zu verwenden… Und einige waren wirklich schlecht!

Eine andere Frage an den Musiker Yann Tiersen: In Deutschland sind Sie bis heute vor allem für die Soundtracks zu „Amélie“ und „Goodbye Lenin“ berühmt. Ist das in Ordnung so für Sie? Oder wären Sie lieber etwas weniger bekannt und hätten dafür breitere Beachtung für Ihre anderen Alben erhalten?

Tiersen: Das ist schon okay so. Aber ich muss klarstellen: „Amélie“ war kein Soundtrack, sondern eine Kompilation meiner frühen Arbeiten! Schon als „Amélie“ herausgekommen ist, waren die Songs sechs Jahre alt. Was für mich etwas unangenehm ist: Die Hauptsongs des Films sind für mich sehr, sehr eng mit meiner Heimat, der Bretagne verbunden. Mindestens so sehr wie mein neues Album. Es geht genau um das: Um das Meer, um Inseln – und hat überhaupt nichts mit diesem Paris-Klischee zu tun! Das ist etwas, das ich wirklich hasse. Es ist für mich sehr eigentümlich, mit diesem Frankreich-Klischee oder dieser Frankreich-Folklore in Verbindung gebracht zu werden, von der ich nun wirklich kein Teil bin.

Ist der Film für Sie dann…

Tiersen: … nein, ich mag die Geschichte des Films! Nur diese Klischees gefallen mir nicht.

Fühlen Sie sich auch eher als Bretone denn als Franzose?

Tiersen: Ja, absolut! Ich fühle mich immer weniger und weniger als ein Teil Frankreichs. Ich bin nicht so oft in Frankreich unterwegs. Und die Bretagne hat ihre eigene Kultur – die ungefähr das Gegenteil der französischen Kultur ist.

Was sind denn die größten Unterschiede?

Tiersen: Oh… Wir sind eine keltische Kultur, Frankreich eine romanische. Also: Es ist wirklich so ziemlich das Gegenteil.

Würden Sie dann in Zukunft genauer auswählen, für welche Filme Sie Musik schreiben?

Tiersen: Ich fühle mich mit dem Gedanken eigentlich generell nicht wohl. Für mich ist Musik nicht Sprache. Sie hat keine Bedeutung in diesem Sinne – die Schönheit der Musik ist einfach die Zusammenstellung von Klängen. Ich glaube wirklich sehr stark, dass man den besten Soundtrack bekommt, wenn sich der Regisseur einfach aussucht, was ihm gefällt. Man kann mit einer norwegischen Death-Metal-Band einen Liebesfilm unterlegen und es kann das Romantischste sein, was du jemals gehört hast. Und man kann Musik nicht zu Bildern schreiben, das ist doch einfach dumm. Ungefähr so, als würde man sich auf einen Felsen stellen und das Meer auf der Geige begleiten.