Edgar Selge: „Für mich ist ‚Miss Sixty‘ ein 68er-Film“

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Edgar Selge: „Für mich ist ‚Miss Sixty‘ ein 68er-Film“

Vom Charakterdarsteller zur Romantikomödie: Im Interview mit spot on news erklärt Edgar Selge, was er vom Kinderkriegen mit 60plus hält und warum sein neuer Kinofilm "Miss Sixty" ein echter "68er-Film" ist.

Mörder, Kommissare, Menschen mit Neurosen – diese Figuren nimmt man Edgar Selge (66, „Angsthasen“) sofort ab. Vielleicht auch, weil er sie so oft spielt. Mit dem am Donnerstag startenden Kinofilm „Miss Sixty“ begibt sich der Charakterdarsteller in die Niederung des Genres Romantikomödie. Doch wie könnte es anders sein: Selge und seine Filmpartnerin Iris Berben (63) würden wahrscheinlich auch aus einer stinknormalen Schnulze etwas Sehenswertes machen. In diesem Fall ist die Komödie aber alles andere als gewöhnlich; vielmehr dient sie als Vehikel, um aktuelle gesellschaftliche Themen ans Publikum zu bringen.

Die Tatsache, dass sich viele vor allem gut ausgebildete Frauen ihren Kinderwunsch immer später erfüllen, wird in „Miss Sixty“ gekonnt auf die Spitze getrieben. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt der Schauspieler, was er vom Kinderkriegen mit 60plus hält, warum sein neuer Kinofilm ein echter „68er-Film“ und es zugleich ein sehr menschlicher Zug ist, ihn in der Rolle des romantischen Helden zu akzeptieren.

Ein Baby mit 60plus. Wie gefällt Ihnen diese Vorstellung?

Edgar Selge: Was mir daran gefällt, ist die Tatsache, dass für Frauen, die aufgrund ihres Alters normalerweise keine Kinder mehr bekommen können, dank der Reproduktionsmedizin heute diese Möglichkeit besteht.

Ältere Frauen, die Mutter werden oder werden wollen, werden nicht selten dafür kritisiert. Warum ist in ihren Augen auch ein später Kinderwunsch legitim?

Selge: Weil das Leben vielfältig und die Lebensverläufe unterschiedlich sind. Wer es auf sich nehmen möchte, in einem solchen Alter ein Kind zu bekommen, der soll das tun – einfach ist es schließlich in keinem Alter.

Künstliche Befruchtung, ältere Mütter – bräuchte es da mehr gesellschaftlichen Diskurs?

Selge: Ob man es darf oder nicht darf, interessiert mich nicht, weil mir Lagerdenken vollkommen fremd ist. Ich glaube aber, dass es eine Diskussion darüber geben sollte, was ein solches Vorhaben für diejenigen bedeutet, die es machen wollen. Frauen, Männer, nahe Angehörige und gute Freunde sollten wissen, was dabei auf sie zukommt. Denn es ist medizinisch zwar möglich, aber deshalb noch lange nicht ganz unkompliziert. So kann eine solche Schwangerschaft zum Beispiel von Depressionen begleitet werden.

Wie passt diese Geschichte, die Sie im Film erzählen, zur 68er-Generation?

Selge: Die 68er-Generation ist für mich eine, die davon ausgeht, dass alles möglich ist, man muss es nur machen. Es gibt keine Probleme, die man nicht besprechen und oder lösen kann. Insofern ist „Miss Sixty“ für mich ein 68er-Film.

Ein bisschen ist der Film auch ein Trost für Menschen, die keine Kinder haben.

Selge: Das stimmt. Ein Leben ohne Kinder kann genauso sinnvoll, freudvoll und turbulent sein. Man ist ja viel unabhängiger. Ich selber habe Kinder und bin auch froh darüber, aber Kinder nehmen einen auch in die Pflicht. Wenn man das wirklich ernst nimmt, muss man auch bereit sein, Dinge zu lassen, die man sonst vielleicht gerne gemacht hätte.

Der Film ist auch ein Plädoyer gegen Nesthocker.

Selge: Ja, das würde ich auch sagen. Wenn man den Moment verpasst, als Heranwachsender aus dem Elternhaus auszuziehen, besteht schon eine große Gefahr, dass man skurril wird.

Frans hat einige unfreiwillig komische Sex-Szenen mit einer wesentlich jüngeren Frau. Fühlt man sich da als Mann vorgeführt?

Selge: Nein, absolut nicht. In einer Romantikomödie braucht man immer eine Figur, die es einem am Anfang etwas schwer macht, sie so richtig zu mögen – wobei man in unserem Filme eigentlich beide Protagonisten erst so ganz langsam zu mögen beginnt.

Sie als romantischen Helden zu sehen, ist ein sehr großes Vergnügen, kommt aber nicht oft vor. Was bringt es einem Film, die Rollen entgegen der Klischees zu besetzen?

Selge: Es lohnt sich immer, gegen das Klischee zu besetzen, weil die Figuren dadurch komplexer werden. Wenn man als Schauspieler das Klischee von Haus aus schon erfüllt, muss man versuchen, die entgegengesetzte Seite herauszuholen. Denn es sind doch die Widersprüche, die bei allen Menschen am interessantesten sind. Was gibt es spannenderes, als jemanden zu treffen, von dem man denkt, er ist so und so, und dann entpuppt der sich als ganz anders.

Oder wie in Ihrem Film…

Selge: Genau. Da erwartet man vielleicht einen romantischen Helden, der ganz anders aussieht, nicht so kompliziert spricht… aber man akzeptiert ihn trotzdem. Das hat etwas sehr Menschliches, das dem Zuschauer helfen kann, sich selber ebenfalls nicht in eine Schublade zu stecken, sich stattdessen komplexer zu sehen.

Wie viel Mut braucht es dafür von Seiten der Filmemacher und Produzenten?

Selge: Immer noch sehr viel. Da wir immer alles optimieren und ökonomisieren und am liebsten auch die Zuschauerzahlen schon im Voraus berechnen wollen, geht man kein Risiko in der Besetzung ein. Das geht aber sowieso nicht auf, also lieber gegen den Strich besetzen!