„Der Hundertjährige“: Zwischen „Forrest Gump“ und „Michel aus Lönneberga“

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„Der Hundertjährige“: Zwischen „Forrest Gump“ und „Michel aus Lönneberga“

Ab dem 20. März läuft die schwedische Komödie "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" auch in den deutschen Kinosälen. Wie gut ist die Verfilmung des Bestseller-Romans, der die Menschen weltweit begeistert?

Ja, „es ist, wie es ist, und es kommt, wie es kommt“. Darauf hatte Allan Karlssons Mutter ihren Sohn vor ihrem frühen Tod immer hingewiesen… und wie recht sie doch behalten sollte. Nur wenige Hundertjährige dürften ein so erfülltes Leben wie Allan gehabt haben. Aber was erwartet man auch von einem schwedischen Jungen, dessen aufrührerischer Vater nach Russland auswandert, um dort seine eigene Micro-Republik zu gründen. Diese Geschichte erzählt die Roman-Verfilmung „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ – ab dem 20. März in den deutschen Kinos.

Doch wer hatte eigentlich die Idee dazu, den Bestseller des schwedischen Journalisten und Schriftstellers Jonas Jonasson (53) auf die Leinwand zu bringen? Die Initiative dazu kam von Filmproduzent Henrik Jansson-Schweizer, wie Regisseur Felix Herngren (47) im Interview mit spot on news verrät. „Er rief mich vor gut dreieinhalb Jahren an und sagte, dass ich das Buch über diesen alten Mann lesen solle und wir es verfilmen sollten. Ich liebte den Ton und den Humor des Romans und so habe ich Henrik direkt zurückgerufen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich das Buch gerade einmal halb gelesen“, gesteht Herngren.

Heute ist der Ehrentag von Allan Karlsson – er macht die Einhundert voll. Nur das interessiert den Greisen mit dem schütteren weißen Haar und dem unsicheren Gang überhaupt nicht. Er vegetiert gelangweilt im Altersheim vor sich hin, bis zu diesem einen Schlüsselmoment: Aus dem Fenster seines Zimmers beobachtet er einen Jungen, der auf dem nahen Friedhof kleine Gegenstände in die Luft sprengt. Wie eine Explosion muss es sich innerlich angefühlt haben, als Allan beschließt, noch kurz vor der Feier zu türmen. Wie eine Neuentfachung seiner früh entdeckten Liebe zu sämtlichen Sprengstoffen, besonders dem Dynamit, das eine tragende Rolle in seiner Entwicklung und seinem späteren Leben haben sollte.

Es sind die vielen kleinen Dinge, die dem Film „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ ungewöhnlich viel Leben einhauchen. Die Szene gleich zu Beginn zum Beispiel, in der Allan mühsam versucht, seinem Zimmer durch ein Fenster zu entfliehen. Fast schmerzhaft umständlich wirkt es, wie der Alte mit Hilfe eines Stuhls den Sims erklimmt und sich in Richtung Freiheit hievt. Mutig, wie Allan in Morgenmantel und Hausschuhen einen Satz aus der Erdgeschoss-Zelle macht, und prompt mitten im Blumenbeet des Altersheims landet. So sperrig der Titel der Roman-Verfilmung sein mag, so leichtfüßig komödiantisch präsentiert sich die ungewöhnliche Mischung aus etwas wehmütiger Komödie, bewegter Krimigeschichte und sprunghaftem Roadmovie.

Jonasson hat es 2009 mit seinem Roman geschafft, verschrobenen Humor und überbordende Fantasie gekonnt miteinander zu verknüpfen. Regisseur Herngrens Verfilmung steht dem nun kaum nach. Etwas weniger als zwei Stunden unterhält „Der Hundertjährige“ als eine Mischung aus dem einfallsreichen, sechsfachen Oscar-Gewinner „Forrest Gump“ und den lausbübischen Erzählungen Astrid Lindgrens im „Michel aus Lönneberga“ oder der „Pippi Langstrumpf“. Im Interview bestätigt Herngren, dass die Kinderbuchautorin und die Verfilmungen ihrer Geschichten durchaus eine Rolle in seinem Schaffen spielen könnten. „Es schmeichelt mir, dass Sie das sagen, denn ich liebe diese alten Filme. Ich habe sie meine gesamte Kindheit über gesehen, vielleicht kommt das im Film etwas durch“, fragt sich der Regisseur.

Nach dem Ausbruch geht Allan auf eine ungewöhnliche Reise, auf der er nicht nur allerhand erlebt, sondern auch aus seinem bisherigen Leben erzählt. Ähnlich Tom Hanks‘ Charakter ist der grandios vom schwedischen Komiker Robert Gustafsson (49, „Verschwörung im Berlin-Express“) verkörperte Allan Karlsson ein unbekanntes Bindeglied zwischen historischen Ereignissen. Nach und nach erfährt der Zuseher, wie der einfache Mann den spanischen Diktator Francisco Franco und den Sowjet-Despoten Josef Stalin traf – und was Allan mit dem Manhattan-Projekt zu schaffen hatte.

Bei diesen – und bei weiteren geschichtlichen Ereignissen – spielte der Sprengstoff-Fanatiker immer eine zunächst kleine, doch dann unerwartet tragende Rolle. Das wirkt natürlich weit hergeholt, aber gleichzeitig fantastisch erdacht und äußerst witzig erzählt. Nicht durch die Karikierung der Personen, als vielmehr durch die Absurdität der Lage entsteht meist der Humor. Dabei wirkt die Figur des Allan Karlsson zwar oft arg blauäugig und übertrieben bodenständig, aber niemals dumm oder gar lächerlich.

Witzig auch, was Regisseur Herngren über die Dreharbeiten zu berichten hat, die wohl teils genauso chaotisch abliefen wie das Leben der Filmfigur. „Wir haben diese Szene mit Stalin in Russland gedreht, bei der alle besoffen sind – auch in der Realität. Wir haben den Darstellern viel Wodka und Whiskey ausgeschenkt, weil ich wollte, dass sich die Szene authentisch und real anfühlt. Wenn Leute versuchen, besoffen zu spielen, endet das oft nicht gut, weil es aufgesetzt wirkt“, erklärt Herngren seine Sicht. Er fasst zusammen: „Wir waren im Nationalmuseum in Budapest, mit all diesen extrem teuren Bildern um uns herum. Und da waren also 20 Leute – die bis auf Robert alle kein Englisch sprachen – und sie waren super betrunken. Ich musste alle anleiten und jeder war am schreien und der Alkoholgestank war echt schlimm.“

In der filmischen Gegenwart kreuzt in gleicher Weise so manch kurioser Charakter die Fahrbahn des Hundertjährigen. Zunächst reist Allan per Bus in den schwedischen Outback und luchst nebenbei so mir nichts dir nichts einem aggressiven Rockerclub-Mitglied seinen Koffer ab. Im Kleinstkaff Byringe angekommen, macht der Jubilar sich Julius Jonsson (Iwar Wiklander, 74) zum Freund – einen grundsympathischen Tunichtgut, der Allan prompt zu Essen und Schnaps einlädt.

Wie die beiden bald feststellen, hat der Hundertjährige nicht nur ein paar Lederklamotten geklaut, sondern 50 Millionen Schwedische Kronen. Es versteht sich von selbst, dass die Motorradgang alles daran setzt, sich die Kohle wieder zu beschaffen. Weitere Zufallsbekanntschaften und die Polizei haben ebenso ein Wörtchen mitzureden. Dass bei der Hatz mancher Häscher zu Schaden kommt, ist auf der einen Seite zwar vorhersehbar, doch andererseits überraschend drastisch in Szene gesetzt. So kommt es durch eine der zahlreichen Explosionen unter anderem zu einer explizit dargestellten Enthauptung, deren grausiger Effekt jedoch durch die makaber-humorige Situation stark abgeschwächt wird.

Um den Hundertjährigen gut in Szene zu setzen, musste natürlich auch das Garderobe- und Schmink-Team ganze Arbeit leisten. „Schon vor über zwei Jahren führten wir einen großen Test durch, weil ich zuvor wissen wollte, ob das Make-up-Team es schaffen würde, [Robert] wie einen 100 Jahre alten Mann aussehen zu lassen“, erzählt Regisseur Herngren. Passend resümiert er: „Ich mag das Make-up sehr. Sie haben einen fantastischen Job gemacht, der entscheidend für den Film war.“

Im zweiten Drittel des Films verliert der „Hundertjährige“ zwar immer weiter an Fahrt, aber im Ganzen gefällt die charmante und anfangs unverhofft temporeiche Geschichte um das gealterte Schlitzohr Allan Karlsson äußerst gut. Vor allem dank der oft sitzenden Situationskomik und durch die kauzigen Charaktere, die glücklicherweise nicht dem sinnentleerten Klamauk verfallen. Wer andere skandinavische Komödien kennt, zum Beispiel „Flickering Lights“ und „Adams Äpfel“ des Dänen Anders Thomas Jensen, der weiß, welch schrullig-bizarrer Humor ihn erwartet. Es ist halt, wie es ist.