„Jurassic World“: Der Fressfeind meines Fressfeinds ist mein Freund?

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„Jurassic World“: Der Fressfeind meines Fressfeinds ist mein Freund?

22 Jahre nach "Jurassic Park" brechen endlich wieder die Dinos aus. Doch kann Chris Pratt als furchtloser Raptoren-Flüsterer überzeugen?

Sie sind überaus gerissen und jagen immer im Rudel. In „Jurassic Park“ von 1993 verputzten sie einst sogar den Inbegriff der Coolness, Samuel L. Jackson (66), mit Haut und Haaren. Auch in „Jurassic World“ gehen die Velociraptoren, jener Grund schlafloser Nächte von Jugendlichen der 1990er, auf die Pirsch. Doch halt: Sie machen nicht Jagd auf Hauptdarsteller Chris Pratt (35), sondern jagen mit ihm? Der vierte Teil des Dino-Epos besinnt sich oft auf seine Vorgänger und macht doch alles anders. Aber ist das gut, oder mit den drastischen Worten von „Jurassic Park“-Zyniker Ian Malcolm alias Jeff Goldblum (62) ausgedrückt ein „riesen Haufen Scheiße“?

Alles bleibt anders

Wie im echten Leben sind auch im Film 22 Jahre vergangen, seit John Hammonds (Richard Attenborough) Plan, einen Dino-Freizeitpark für Jung und Alt zu erschaffen, mächtig in die Hose ging. Doch auch nach dieser langen Zeit und zwei Fortsetzungen sind die Menschen nicht schlauer geworden, auch wenn der Erfolg zu Beginn von „Jurassic World“ Recht gibt. Auf derselben Insel, auf der einst Alan Grant (Sam Neill, 67) und Co. um ihr Leben rannten, ist ein gigantischer Vergnügungspark entstanden. Riesige Touristengruppen wuseln tagtäglich durch die Anlage, um die prähistorischen Urzeittiere aus nächster Nähe betrachten zu können.

So auch die Kids Zach (Nick Robinson, 20) und Gray Mitchell (Ty Simpkins, 13), die ihre Tante und Park-Managerin Claire (Bryce Dallas Howard, 34) auf der Insel besuchen. Doch die unterkühlte Karrierefrau hat kaum Zeit für ihre Neffen, schließlich muss sie gutbetuchte Investoren davon überzeugen, ihr Geld in „Jurassic World“ zu pumpen. Denn nach all den Jahren reißt ein gewöhnlicher Tyrannosaurus Rex niemanden mehr vom Hocker, immer größere und gefährlichere Dinos müssen her. Also wird im hauseigenen Labor kurzerhand eine neue Kreatur namens „Indominus Rex“ zusammengeschustert. Wie Alfons Schuhbeck (66) rühren die Wissenschaftler die wildesten Kombinationen zusammen, nur anstelle von Ingwer, Chilli und einer Prise Muskat vereinen sie etwas Frosch-DNA hier, ein wenig Oktopus-Erbgut da, und schmecken das Ganze mit einer gehörigen Portion Dinosaurier-Mischmasch ab.

Auch in „Jurassic World“ sind zwei Kinder wieder mitten drin in der Dino-Hatz

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Dass der so entstandene Super-Saurier alles andere als eine gute Idee ist, scheint nur Wildhüter und Raptoren-Trainer Owen Grady (Pratt) zu ahnen. Doch hat er mit seinen ganz eigenen Problemen zu kämpfen: Ein skrupelloser Mann vom Militär, Vic Hoskins (Vincent D’Onofrio, 55), will die von Grady abgerichteten Raubtiere als Kriegs-Waffe einsetzen. Ein genmutierter Monster-Saurier und freilaufende Raptoren – was könnte da schon schiefgehen?

Mehr ist weniger

Mehr Dinos, mehr Action, mehr Schauwerte: „Jurassic World“ geht den altbekannten Weg einer Filmfortsetzung und versucht in Hinsicht auf „Jurassic Park“, in allen Belangen eine Schippe draufzulegen. Doch auf dem Weg nach mehr Bombast bleiben leider zumeist alle Tugenden des Meisterwerks von 1993 auf der Strecke. Was nutzen spektakulär computergenerierte Dinosaurier, wenn einem dafür ihre menschliche Beute komplett egal ist? Denn mit Ausnahme von Howards Charakter bleiben alle anderen Figuren absolut eindimensional und teilweise gar karikaturenhaft. Und ihren Wandel vom kinderfeindlichen Eigenbrötler zum Liebling aller Kids durchlief exakt so schon Neills Dr. Grant in Teil eins.

Apropos Karikatur: Wie ein vielschichtiger und durchaus nachvollziehbarer Bösewicht aussehen kann, zeigte D’Onofrio als Widersacher in der Marvel-Serie „Daredevil“ eindrucksvoll. Seine Rolle als Antagonist in „Jurassic World“ hingegen ist derart plakativ, beinahe wundert man sich, dass er keine weiße Katze streichelt, während er Laserkanonen an den Köpfen der Velociraptoren anbringen lässt – und kein Witz, er kommt diesem Klischee aus „James Bond“ verdammt nahe.

Owen Brady, der Wildhüter, dem die Raporen vertrauen

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Computer versus Animatronics

Die inzwischen 22 Jahre alten Effekte von „Jurassic Park“ können noch immer dem kritischen Auge des Zuschauers standhalten – zumindest die meisten von ihnen. Denn während es speziell die Computereffekte des ersten Teils sind, die schon in den 1990er Jahren nicht sonderlich gut gealtert waren, die Roboter-Modelle der Dinosaurier flößen auch im Jahr 2015 noch Angst ein. Auch auf die Gefahr hin, den technischen Fortschritt in der Filmindustrie maßlos zu unterschätzen, aber: Niemals wird ein rein computergenerierter Dino denselben Effekt haben können, wie ein lebensgroß gebauter T-Rex-Roboter, der durch die Scheibe eines Jeeps kracht, kurz nachdem er eine Ziege gemampft hat. Auf die Frage, wen er als Hauptwidersacher des Streifens ausgemacht hat, antwortete Hauptdarsteller Pratt: „Der eigentliche Bösewicht ist der Fortschritt“. Wie Recht er doch damit hat.

Tatsächlich liefert der Film die besten Argumente gegen sich selbst. Wie schon gesagt, ein Charakter merkt zu Beginn des Streifens trocken an, dass nach Jahren selbst ein T-Rex keinen Besucher mehr hinter dem Ofen hervorlockten könne. Dieser marktorientierten Analyse hinsichtlich ihrer Produkte, wie die Parkleitung die Dinos andauernd bezeichnet, widerspricht Pratts Figur Grady vehement, aber erfolglos. Also wird ein hochintelligenter Super-Saurier gezüchtet, der als Publikumsmagnet dienen soll – und von da ab läuft alles schief. Aber exakt dieses Frevels macht sich „Jurassic World“ selbst schuldig. Ein „einfacher“ Tyrannosaurus war nicht genug für die Leinwand? Es musste ein wärmebildsehender, farbwechselnder Hybrid kommen, der, von diesen Gimmicks mal abgesehen, aber nur wie ein etwas windschnittigerer T-Rex aussieht? Von abgerichteten Velociraptoren ganz zu schweigen…

Dino ex machina

So verkommt das Finale von „Jurassic World“ auch wenig überraschend zu einer Monster-Schlacht, wie sie zuletzt in „Godzilla“ zu sehen war. Die guten Dinos kämpfen gegen die bösen Dinos, und die inzwischen zur Powerfrau mutierte Parkmanagerin sprintet in ihren Stöckelschuhen selbst dem einstigen und neuen König des Tierreichs locker davon. Doch damit das klappt, muss der Helden-Dino zunächst aus seiner Kiste befreit werden – denn wie rettet man die ohnehin schon stark dezimierten Parkbesucher am einfachsten? Richtig, indem man noch einen Killer-Saurier in die Freiheit entlässt. Und das Beste: Selbst an den Aufhänger für eine Fortsetzung wurde bereits gedacht.

Filmfans wissen, welchen Saurier man mit einer Leuchtfackel anlocken kann

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Kommt also gar kein „Jurassic Park“-Feeling in den knapp zwei Stunden Laufzeit auf? Die Antwort auf diese Frage ist ein glasklares Jein. Gerade in den Szenen bei Nacht wirken die CGI-Dinos wirklich überzeugend. Und ob man nun will oder nicht: Beim Anblick einer hochhausgroßen Urzeit-Echse frohlockt das Kind in einem automatisch. Zudem gibt es in der Mitte des Films durchaus charmante Bezüge auf den ersten Teil. Und auch der ohne Wenn und Aber atemberaubende Soundtrack des Streifens, der den Score des Originals immer wieder gekonnt aufgreift, lässt das ein oder andere Haar aufstehen. Doch diese Momente verschwinden zumeist schneller, als sie gekommen sind. Und auch die Hommage an die vielleicht berühmteste Szene aus „Jurassic Park“ wird – wie so vieles in „Jurassic World“ – maßlos überreizt. Denn wenn der Kopf des Indominus Rex zum fünften Mal dicht neben den kauernden Protagonisten auftaucht, sorgt das eher für Gähnen, denn für Schreie der Aufregung.

Fazit

Hanebüchene Story, blasse Charaktere und nur sehr vereinzelt echte „Jurassic Park“-Gänsehaut: Wie die Teile zwei und drei schafft es auch „Jurassic World“ nicht annähernd, an das Original von 1993 heranzureichen. John Hammond musste am Ende des ersten Teils feststellen, dass der Vorsatz, „weder Kosten noch Mühen“ zu scheuen, nicht zwangsläufig ein zufriedenstellendes Ergebnis bedeutet. Ähnliche Schlussfolgerung muss leider auch bei „Jurassic World“ gezogen werden.